Reportage
Handel an der Grenze zum Krieg
Seit dem Ausbruch der Syrienkrise ist eine der wichtigsten Handelsrouten von der Türkei in die arabische Welt blockiert. LKWs stecken tagelang in staubigen Kolonnen fest. Transportunternehmer suchen nach alternativen Routen, um die lohnenden Absatzmärkte auf der Arabischen Halbinsel zu erreichen. Ein Lokalaugenschein im türkischen Grenzgebiet.
Dunkle Wolken hängen über dem Betonportal, das nach Syrien führt. Auf der Straße nach Antakya stauen sich LKWs, Stoßstange an Stoßstange. Seit Stunden haben sie sich keinen Meter bewegt. Der türkische Grenzübergang Cilvegözü liegt an einer der wichtigsten Handelsrouten in die arabische Welt. Im 85 Kilometer entfernten Hafen Iskenderun werden Waren aus Europa gelöscht und von türkischen Frächtern aus Antakya über die Grenze nach Aleppo und weiter bis in die Golfstaaten transportiert. So war es bis Juli 2012. Dann brachen auf der syrischen Seite des Grenzübergangs heftige Gefechte zwischen Rebellen und Assad-Truppen aus. Türkische LKWs gingen in Flammen auf oder wurden geplündert. Die Türkei sperrte daraufhin die Grenze zu Syrien für den Handelsverkehr. „Etwa 120 LKW-Ladungen erreichen täglich Syrien“, sagt der türkische Grenzbeamte. Viel zu wenige, um die steigende Nachfrage zu decken. Denn viele Güter können seit dem Ausbruch des Krieges nicht mehr in Syrien hergestellt werden. „Geliefert werden vor allem Nahrungsmittel“, sagt er. „Aber auch Zement, Eisen und Generatoren.“ Vor dem Krieg waren es bis zu 500 LKWs, die täglich über die Grenze rollten. Doch seit die Türkei die Tore nach Syrien dicht gemacht hat, müssen die tonnenschweren Waren in einer Pufferzone hinter dem Betonportal auf syrische LKWs umgeladen werden. Eine zeitraubende Arbeit und die Kolonne wird täglich länger.
- (c) Lisa Köppl (3)
Hatem lebt seit zwei Wochen am Straßenrand
Vom Schmuggel will der Grenzbeamte nichts wissen. Und doch gibt es ihn. Die mehr als 900 Kilometer lange Grenze ist an vielen Stellen durchlässig. Auf Schleichpfaden werden die mit dem Handelsembargo belegten Waren nach Syrien gebracht. Güter nehmen aber auch den umgekehrten Weg. Nicht selten werden LKWs in Syrien bevor sie ihr Ziel erreichen können, ausgeraubt und die Beute später in die Türkei zurück verkauft. Genaue Zahlen gibt es nicht. Vom ersten Sattelschlepper beim Grenzübergang bis zum Ende der Kolonne sind es zwölf Kilometer, zweispurig. Hatems LKW steckt etwa fünf Kilometer vor der Grenze fest. Seit zwei Wochen lebt er am Straßenrand und schläft in der Fahrerkabine. Dieselgestank. Staub. Langeweile. “Vor dem Krieg dauerte der Grenzübertritt ein bis zwei Tage”, sagt er. Neben seinem Lastwagen hat er Klappstühle für sich und zwei Kollegen aufgestellt. Der Staukasten unterhalb der Ladefläche ist aufgeklappt. Auf der so gewonnenen Abstellfläche stehen Gaskocher und Teekanne, eine Zuckerdose und Gläser. Fünf Tage, so schätzt er, wird es noch dauern, bis er die Ladung Zement an der Grenze umladen kann. „Inshallah“, sagt Hatem und zündet sich eine Zigarette an. Der Grenzübergang Cilvegözü liegt in der türkischen Provinz Hatay. Die Region zwischen der syrischen Grenze und dem Mittelmeer ist wirtschaftlich ganz besonders vom Handel mit Syrien und anderen arabischen Staaten abhängig. Eine Untersuchung des „International Middle East Peace Research Center“ stellt die Auswirkungen der Syrienkrise auf den Grenzverkehr in Zahlen dar: Im Juli 2011 überquerten 15.000 LKWs die Grenze nach Syrien. Das waren in etwa gleich viele, wie noch im Jahr vor dem Krieg. Als mit Dezember 2011 die Sanktionen gegen Syrien zum Tragen kamen, sank die Zahl auf etwa die Hälfte. Im Juli 2012 fuhren noch 3.000 LKWs nach Syrien, bevor die Grenze für den Handelsverkehr Ende Juli dicht gemacht wurde. Damit war die wichtigste Handelsroute von Zentralanatolien und der Südosttürkei auf die Arabische Halbinsel versperrt. Der blockierte Handelsweg hat Unternehmer wie Yahya Önat hart getroffen. Der kahlköpfige Kettenraucher leitet seit 2008 sein Transportunternehmen in Antakya. Wie viele Händler in der Grenzregion spricht der Türke fließend Arabisch.
Das Betonportal beim Grenzübergang Cilvegözü
Die Hauptzielländer der Waren, die er transportiert, sind Syrien und Saudi Arabien. “Die Kosten für den Transport nach Syrien sind erheblich gestiegen”, sagt er. Die 50 Kilometer lange Strecke von Antakya bis zur Grenze kostet ihn wegen der langen Wartezeiten 1.400 USD pro LKW. Um Saudi Arabien weiterhin beliefern zu können, musste er auf den Seeweg ausweichen. Vor dem Syrienkrieg konnten Önats LKWs Saudi Arabien über den Landweg in vier bis fünf Tagen erreichen. Die Schiffsroute dauert acht bis zehn Tage und kostete etwa doppelt so viel. Der Transport über den Seeweg wird über so genannte Roll-on-Roll-off-Dienste abgewickelt; Fährschiffe transportieren die türkischen LKWs und ihre Waren zu den Zielhäfen am Mittelmeer. Vom türkischen Hafen Iskenderun steuern Frachtschiffe den israelischen Hafen Haifa an, von wo aus die LKWs über Jordanien die Arabische Halbinsel erreichen. Eine andere Route führt von Iskenderun in den ägyptischen Hafen Damiette. Vom Schiff geht es im Konvoi durch die Wüste bis zum Hafen Adabiya bei Suez, von dort über das Rote Meer bis nach Duba in Saudi Arabien. Auch der von Assad kontrollierte Teil Syriens wird beliefert. Einmal pro Woche steuert ein Schiff vom türkischen Taşucu die syrische Hafenstadt Tartus an. In Tartus werden die Waren auf syrische LKWs umgeladen, die sie ins Landesinnere transportieren. Yahya Önat zeigt uns ein Foto, auf dem er mit Schildkappe vor einem weißen Sattelschlepper steht. Erinnerung an eine Zeit, als er selber über den Irak nach Iran und weiter bis Afghanistan gefahren ist. Önat hofft auf ein baldiges Ende des Krieges in Syrien, damit das Betonportal beim Grenzübergang Cilvegözü für seine LKWs nicht länger Endstation, sondern wieder Tor zur arabischen Welt ist.