Interview

Bei den Green Issues war man sich immer einig

Das Umweltthema ist dominierend im EU-Wahlkampf. Weil es auf europäischer Ebene weit nicht so viel Raum bekommt, könnte man hier von einem schwedischen Phänomen sprechen. Die Umweltfrage war auch der einzige gemeinsame Nenner aller Parteien, als es vor 20 Jahren um Schwedens Beitritt zur EU ging. Magnus Blomgren, Politikforscher an der Universität Umeå, im Gespräch


Bedeutet der Fokus auf das spezielle Thema Umweltpolitik, dass die breite schwedische Bevölkerung nicht wahrnimmt, wie weit und in welchen Bereichen der nationalen Gesetzgebung die EU eigentlich Einfluss nimmt?

Absolut. Deswegen haben alle Parteien weiterhin eine Meinung zu Green Issues. Das erfüllt die Erwartungshaltung der Bürger an die EU und die Themen, mit denen sie sich beschäftigen sollte, wenn es nach den Schweden geht. Am Ende des Tages wird die Umweltpolitik am stärksten mit der EU assoziiert. Bei der Wahl 2014 gab es erstmals auch sozialpolitische Punkte, was mit dem Arbeitsmarkt und dem freien Personenverkehr zu tun hat. Die Linke Partei und die Sozialdemokraten haben diese Themen in die Debatte gebracht, um Positionen einzunehmen, die noch links von rechts unterscheiden.

Aber machen jetzt nicht auch die Neuen Moderaten („Das war eine Reform unter Anführungszeichen“, wirft Blomgren ein) genau das zu ihrem Kernthema?

Das ist ihr „neues Ding“. Genauso wie sie vor neun Jahren das „neue“ vor die Bezeichnung als Moderate Partei gestellt haben, machen sie jetzt auf Labour Party mit Tony Blair-Touch. Nur in die andere Richtung. Während Blair die Labour Party etwas nach rechts rückte und sie zu einer mehr oder minder sozialliberalen Partei machte. 2002 stand auf Fredrik Reinfelds Agenda, die alte schwedische Konservative Partei in die Mitte des politischen Spektrums zu rücken. Das war extrem erfolgreich. Die „Neuen Moderaten“ kamen als mittelmäßige Partei bei der letzten Wahl an die Sozialdemokraten heran. Das ist historisch gesehen in Schweden absurd.

Wie entwickelte sich die Beziehung zwischen Schweden und der EU seit dem Beitritt 1995?

Der durchschnittliche schwedische Staatsbürger hat grundsätzlich eine EU-kritische Position. In einem kleinen Zeitfenster rund um das Referendum 1994, waren vielleicht ein paar mehr Leute für die EU, aber alle Umfragen davor und danach bis 2004/05 zeigten, dass bis vor zehn Jahren die Mehrheit der Schweden gegen die Mitgliedschaft in der EU ist. Aber die allgemeine Einstellung hat sich im Laufe der Zeit geändert. Heute sagen 60-65 Prozent, dass die EU-Mitgliedschaft Schwedens eine gute Sache ist, 20-22 Prozent sind nicht dafür.

Wie sieht das in Umeå speziell aus? 

Die Schwedendemokraten haben hier nach wie vor die wenigsten Stimmen geholt, obwohl sie sich gesteigert haben im Vergleich zur letzten Wahl. Schwedendemokraten sind aber grundsätzlich ein Südschwedenphänomen.

Wie gut kennen die Schweden ihre EP-Kandidaten?

Wenn du im Dezember jemanden nach den schwedischen EP-Kandidaten fragst, würdest du sehr wenige Antworten bekommen. Sie haben nur ein begrenztes Wissen darüber, wer diese Typen eigentlich sind.

Wie ernst nehmen die Schweden die EU-Wahl dann? 

Wie auch schon bei der letzten Wahl, ist die Wahlbeteiligung angestiegen. Wir haben jetzt 50 %. Das ist im Vergleich zu vielen anderen Mitgliedsstaaten ziemlich gut. Bei den nationalen Wahlen haben wir circa 68 Prozent. Die Bevölkerung tut sich schwer zu begreifen, worum es in der EU-Wahl geht und was eigentlich damit bestimmt wird. Das liegt sicher auch daran, dass die Parteien keinen relevanten politischen Konflikt die EU betreffend aufgebracht haben. Der Wähler fühlt keine Kraft hinter seiner Stimme. Er denkt sich resigniert „Warum soll ich wählen, was bestimme ich denn eigentlich? Was ist die Debatte?“ Verglichen mit früheren EU-Wahlen, sehe ich aber bei dieser Wahl eine Weiterentwicklung: Wir hatten mehr Inhalt in den Debatten zwischen den Parteien und die Medien waren mehr im Einklang mit den europaweiten Diskussionen. Dadurch stellten sie auch relevantere Fragen an die Politiker. Es war der beste EP-Wahlkampf, den wir jemals hatten in Schweden. 

Ist es aktuell ein Thema, ob Juncker Kommissionspräsident wird?

Wenn wir vom Durchschnittsschweden ausgehen: Nein, der weiß nicht, wer Juncker ist. Die Diskussion mit den Spitzenkandidaten der EP-Fraktionen wurde weder von den schwedischen Medien noch durch die nationalen Parteien an das Volk gebracht. Ok, Schulz war hier, aber das war es dann schon. Nach den Wahlen gab es ein bisschen mediale Aufmerksamkeit. Vor allem wegen des Harpsund Meetings.

Einige Politiker argumentieren damit, dass es ein Schlag ins Gesicht der Demokratie wäre, würde das Wahlergebnis nicht zu Juncker als Kommissionspräsidenten führen....

Das kann man so sagen, wenn man die europäische Demokratie als parlamentarische definiert. Das muss man aber nicht unbedingt: Sieht man die Europäische Union als Mix aus Delegationen und Zuständigkeiten – und das ist sie eigentlich momentan - dann ist Juncker als Kommissionspräsident nicht zwingend die logische Konsequenz. 

Was im Moment vor sich geht ist ein konstitutioneller Konflikt innerhalb des Systems. Das Europäische Parlament hat offensichtlich ihre Position und den Konflikt aufgeblasen, in dem gesagt wurde: „ Ihr müsst jemanden von uns wählen.“ Ich bin nicht sicher, was passieren wird. Niemand weiß es. Klar ist, dass dieser Prozess noch lange nicht abgeschlossen ist.

Was denken Sie über direktes Personenwahlrecht zum Kommissionspräsidenten beispielsweise?

So eine Änderung in Richtung föderales System hat natürlich seine Vor- und Nachteile. Wir diskutieren das ja schon seit den 1950ern. Wenn man zurückdenkt an den Vertrag von Rom, wo die Gründer der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) lediglich als eine erste Etappe auf dem Weg zu einer „Europäischen Föderation“ sahen. In der heutigen Umsetzung sehen wir nur Fragmente. Das ist ein langanhaltendes Thema. Einen direkt gewählten Kommissionschef zu haben ist nur ein Teilchen in dieser Debatte. Cameron und Reinfeldt nehmen eine andere Position ein. Sie wollen, dass die Regierungen der Mitgliedsstaaten das Sagen haben. Reinfeldt argumentiert ja auch damit, dass es keine europäischen Parteien im Bewusstsein der Menschen gäbe und niemand die möglichen Präsidentschaftskandidaten kennen würde. All das würde repräsentative Demokratie unmöglich machen.

Im Grunde geht es hier um die große Frage: Welche Art Europa wollen wir? 

Und, was ist Europa für Sie?

Für mich ist Europa ein Schmelztiegel von Kulturen. Seine Stärke liegt dort nicht unbedingt in der Geschichte. Es könnte noch eine stolze Geschichte entwickeln, wenn es weiterhin seine Vielfalt behält. Auf der Suche nach einer Identität darf es nicht zu einem Einheitsbrei werden, dann hat es selbst den USA jede Menge voraus. Europa könnte ein einzigartiger Platz sein. 

Die Lehrergewerkschaft verlangt auf Parteienkampagnen in Schulen zu verzichten, aus Angst, dass die Schwedendemokraten auch werben würden. Wie geht man damit um?

Die Jugendorganisationen aller Parteien haben traditionell Kampagnen in den Schulen. Es gibt Diskussionsveranstaltungen, Info-Tische und Präsentationen der Parteien. Seit nun bei der letzten Wahl die Schwedendemokraten ein Mandat bekommen haben, sieht man das Ganze weniger entspannt. Bisher war Schweden eine Ausnahme ohne rechte Partei und man musste sich das nicht überlegen. Die Schulen stehen nun vor der Frage: Können wir weiterhin diese Parteiwerbung in den Schulen zulassen und die Schwedendemokraten vermeiden? Das wäre nicht demokratisch. Andererseits sind die Werte, die Lehrer vermitteln, nicht mit der Einstellung der Schwedendemokraten vereinbar. 

Die Jugendorganisation der Schwedischen Sozialdemokraten hat einen Wahlmotivationsclip mit Rainer Höss gedreht. Wie finden Sie das?

Es ist nett gemacht, aber ich habe auch so meine Kritikpunkte. Es ist nicht schwer, gegen Rassismus zu sein. Niemand zweifelt daran, dass Frieden wichtig ist. Das sind leicht erkaufte Punkte und es wirkt ein bisschen so als würde man von momentan aktuelleren Fragen ablenken. 

Welche Fragen wären das? 

Das sind Fragen rund um das Kräfteverhältnis und Zusammenspiel zwischen Europäischer Union und Mitgliedsstaat: Wie viel Kompetenz sollte man abgeben an die EU und was soll auf nationaler Ebene verhandelt werden? Außerdem: die Krise der Arbeitslosigkeit und natürlich, wie anfangs erwähnt: Umweltfragen. 


  • © Juliane Fischer
    Magnus Blomgren © Juliane Fischer