Interview
"Ich bin Rudolf Fußi und mache jetzt ein Volksbegehren. Bitte helft mir"
Rudolf Fußi wird von seinen Gegnern als Wendehals und Wetterhahn bezeichnet. Seine Befürworter feiern ihn als den Retter der SPÖ. Derzeit initiiert Fußi als „heimatloser Linker“ ein Volksbegehren für mehr Steuergerechtigkeit. Unter dem Motto „Her mit dem Zaster, her mit der Marie“, forciert er die Einführung einer Vermögenssteuer, um Arbeitseinkommen zu entlasten. Im Interview mit Sahel Zarinfard spricht Rudolf Fußi von abgeschleckten Jung-ÖVPlern und nennt Werner Faymann eine Marionette des Boulevards.
paroli: Sie waren bereits sehr früh politisch aktiv: Schulsprecher, Mitglied der Schülerunion und der JVP. Was reizt einen Teenager an der ÖVP?
Rudolf Fußi: Gar nichts. Ich habe mich immer schon gern für andere eingesetzt und war das, was man als „verhaltensauffällig“ bezeichnet, ein richtiger Schul-Revoluzzer. An meiner Schule hat es nur die Schülerunion gegeben und durch meine Stellung als Klassen- und Schulsprecher war ich bald Teil der Schülerunion. Der Schritt zur JVP war deshalb kein großer. Damals war ich ein typisch geschleckter Jung-ÖVPler: V-Ausschnitt Pulli, Halstuch, Gel in den Haaren. Alles Staatliche war böse und nur Karriere machen und Geld verdienen war das Wahre. Außerdem hat es mir gefallen, in einer politischen Organisation zu sein. Damals habe ich weder mich, noch die JVP hinterfragt. Ich war einer, der Karl Marx beschimpft hat, ohne ihn jemals gelesen zu haben.
Wofür beziehungsweise wogegen haben Sie als Revoluzzer gekämpft?
Zuerst für einen Cola Automaten in der Aula. Danach gegen den blauen Kandidaten der Direktorenbesetzung. Dieser hatte von 85 Stimmen sieben bekommen. Das war unfassbar für mich. Es folgten mehrere Demonstrationen und Aktionen, die ich organisiert hatte. Ich legte auch meine Funktion als Schulsprecher nieder, weil der Lehrkörper den FPÖler kampflos akzeptiert hat. Gleichzeitig habe ich die Entscheidung getroffen, die Schule zu wechseln. Ich habe es in Kauf genommen, jeden Tag um vier in der Früh aufzustehen, um mit dem Zug in die Schule zu fahren, nur um an meine Prinzipien festzuhalten.
Die Geschichte wiederholt sich: Damals aus ideologischen Gründen die Schule gewechselt, heute aus ideologischen Gründen aus der Partei ausgetreten.
Die Schule zu wechseln war kein großes Thema. Der Parteiaustritt hingegen fiel mir schwer, weil ich damit ja gleichzeitig vielen Parteifreunden den Rücken gekehrt habe. Wenn man die Schule wechselt, dann hat man Alternativen. Tritt man jedoch aus einer Partei aus, ist man Heimatloser. Man kann als Linker zwar als geringstes Übel die SPÖ oder die Grünen wählen, aber mittlerweile geht es nicht mehr um die Ideologie, sondern um das System. Die politische Realität hat sich von der Lebensrealität der Menschen weit entfernt. Es ist der Jugend zu verdanken, dass über gesellschaftlich aktuelle Themen diskutiert wird und daraus eine reflektierte Meinung entsteht. Gerade in den sozialen Foren werden diese Diskussionen täglich aufgegriffen.
Sie haben einmal gesagt, der Sozialismus sei in Ihrer Jugend Ihr größter Feind gewesen. Wodurch hat sich die Einstellung geändert?
Früher habe ich in Muster gedacht und die blöde ÖVP-Rederei nachgeredet. Zu dieser Zeit war ich eben nicht kritisch. Die Selbstreflexion kam sukzessive durch die Erkenntnis, dass es eine kleine Gruppe von Menschen gibt, die extrem viel Geld hat. Die Mehrheit, die wenig Geld hat, ist die andere Gruppe. Der Ausspruch „we are the 99%“ trifft es auf den Kopf. Es ist nicht fair, dass viel Vermögen auf wenige Personen aufgeteilt ist und der Rest für dieses 1% arbeiten geht.
Sind Sie als Ergebnis der Selbstreflexion 1999 aus der ÖVP ausgetreten?
Ja. Es gab aber auch andere Gründe: Einer davon war das Liebäugeln der Schwarzen mit der FPÖ. Außerdem passt man als modern denkender Mensch nicht zur ÖVP. Als ich im Jahr 2002 zur SPÖ beigetreten bin, habe ich viele Werke von Trotzki und Marx gelesen. Nicht alles was sie geschrieben haben, ist intelligent und auf die heutige Zeit umlegbar, aber der Grundgedanke des freien Menschen in einer sozialen Gesellschaft, wo jeder dieselben Chancen hat, ist das faszinierendste Gesellschaftsmodell, das ich mir vorstellen kann.
Vor Ihrer SPÖ Mitgliedschaft gab es ein Intermezzo mit der ehemaligen Partei „Die Demokraten“.
Diese Geschichte ist total überbewertet. Ich habe während des Studiums in der Lugner City gearbeitet und ein Freund von mir war damals der Wahlhelfer von Richard Lugner. Dadurch kam ich zu einem Ferialjob. So wie man die Lugners im Fernsehen kennt, so hatte ich das drei Monate in der Realität. Dieser Freund war Ewald König, vormals Vorsitzender der Demokraten und Mitglied des Ring Freiheitlicher Jugend, aus der er später ausgetreten ist.
Auch der Parteigründer der Demokraten, Mario Ferrari-Brunnenfeld, war ein ehemaliger FPÖ-Politiker.
Mario Ferrari-Brunnenfeld war der Ziehvater von Jörg Haider und ist 1986 aus der Partei ausgetreten, weil er ein überzeugter Liberaler und von Haider enttäuscht war. Er war liberal, definitiv kein Nazi.
Mit 23 Jahren initiierten Sie 2002 das Volksbegehren gegen Abfangjäger. Mehr als 600.000 Unterschriften wurden gesammelt. Wie kommt so eine Initiative zustande?
Ich bin am Abend vor dem Fernseher gesessen und habe die ZIB2 gesehen. Dort hat Herbert Scheibner gesagt, Österreich braucht Abfangjäger. Mir war sofort klar, dass diese korrupte Scheiße verhindert werden muss. Ich besuchte die Homepage des Innenministeriums und erkundigte mich, wie man ein Volksbegehren macht: Ich habe an alle 2.375 österreichischen Gemeinden einen Brief geschrieben und besuchte Zeitungsredaktionen. „Hallo! Ich bin der Rudi Fußi, ich mache jetzt ein Volksbegehren, bitte helft mir“. Wenn du mit 23 Jahren in der Öffentlichkeit stehst, einen gewissen Bekanntheitsgrad erreichst und die österreichische Innenpolitik vor die hertreibst, ohne selbst zu begreifen, was da gerade passiert, dann kann das durchaus lustig für einen selbst sein.
In einem Interview mit der Tageszeitung „Der Standard“ sagten Sie: "Wir müssen etwas gegen den Nichtkurs von Werner Faymann tun". Was haben Sie dagegen unternommen?
Ich habe die SPÖ-Linke, als Versuch einen informellen Zusammenschluss aller linken Personen in der SPÖ zu erreichen, gegründet. Dabei sind zwei Probleme aufgetreten: Einerseits wurde es von der Zentrale als Kritik aufgenommen. Dadurch haben sich viele nicht getraut mitzumachen. Andererseits war ich als Person umstritten. Ich bin nicht in der Sozialistischen Jungend sozialisiert worden, bin nicht bei den Roten Falken im Pfadfinderlager am Lagerfeuer gesessen und habe sozialistische Arbeiterlieder gesungen. Das heißt, ich habe ein völlig anderes Verhältnis zur Partei als andere SPÖ Funktionäre.
Was wurde aus der „SPÖ-Linke“?
Nichts. Inhaltlich waren alle von unseren Punkten überzeugt aber mit meiner Person hatten manche ein Problem. Da habe ich in Linz vor 300 Leuten eine Rede gehalten und die Sprecherfunktion wurde auf zehn Leute aufgeteilt. Dann ist das Projekt leider eingeschlafen.
Einmal sind Sie der Retter der SPÖ, dann wieder ein Wendehals und Wetterhahn. Haben Sie ein Imageproblem?
Mir ist das alles egal. Nur weil ich einer Partei beitrete, muss ich nicht ein Leben lang in diesen Strukturen ausharren. Dass ich immer wieder politisch aktiv werde, ist wahrscheinlich ein Fehler in meinem Gehirn. Mir fehlt der Schalter, nur auf meine Interessen zu achten. Ich meine das aber nicht sozialromantisch und erwarte auch keine Anerkennung dafür. Ich bin nun mal so.
Sie haben Ihren Parteiaustritt aus der SPÖ als eine „überfällige Reaktion auf die Politik der Faymann-SPÖ“ bezeichnet. Wie klassifiziert sich die Faymann-SPÖ?
Die Faymann-SPÖ ist völlig unpolitisch, hat keine Visionen, ist mutlos, beliebig und prinzipienlos. Die Hörigkeit gegenüber dem Boulevard und den Umfragen ist eine Schande. Wobei Werner Faymann nur ein Symptom ist. Er ist ein Symbol für den Zustand der Partei. Die gesamte Führungsriege interessiert sich nicht für Erneuerungen und interne Reformen.
Sie Schreiben in Ihrem Abschiedsbrief an die SPÖ, dass unter Faymann keine interne Kritik zugelassen sei. In der SPÖ herrsche „Friedhofsruhe“.
Man darf keineswegs interne Kritik äußern. Verhindert wird das durch Werner Faymann, Laura Rudas und Josef Ostermayer. Alles wird kritiklos umgesetzt. Werner Faymann kann mit Kritik schwer umgehen. Das Problem ist, dass man mit ihm nicht diskutieren kann, weil er intellektuell völlig unterbelichtet ist.
Was passiert, wenn man interne Kritik äußert?
Sollte man es wagen, Kritik zu äußern, bekommt man sofort einen Anruf, oder wird in die SPÖ-Zentrale zitiert. Dort wird man aufgeklärt, dass es nicht so intelligent ist, Kritik zu üben. Eine Partei, die nur darauf abzielt, Macht zu steigern und diese zu halten, wird sich nur dann inhaltlich neu definieren, wenn sie Macht verliert. Und das ist die eigentliche Tragik. Werner Faymann tut alles, um an der Macht zu bleiben, völlig losgelöst von den Inhalten die er präsentiert. Wenn beispielsweise die Kronen Zeitung sagt, die Wehrpflicht gehört abgeschafft, nimmt er dieselbe Haltung ein. Er ist eine Marionette der Boulevardmedien. Das ist unbestritten. Ich sehe aber auch die Rolle der Medien in diesem Kontext äußerst kritisch, die so ein Puppentheater zulassen.
In Ihrem Schreiben wird nicht nur Werner Faymann kritisiert sondern auch Laura Rudas.
Laura Rudas ist die älteste Jugendliche, die ich kenne. Wie kann man so jung sein und gleichzeitig so alt denken und reden? Ich hab sie privat als Person eigentlich immer geschätzt. Politisch halte ich sie nicht aus. Man hat weder der Partei noch ihr einen Gefallen getan, sie zur Bundesgeschäftsführerin zu ernennen. Sie befördert lauter unpolitische, junge Leute in die Löwelstraße, die gefälschte Leserbriefe schreiben und Facebook-Porno-Freunde für den Kanzler kaufen. Das ist peinlich, keine Partei hat das notwendig.
Durch Ihren Rückzug wird sich innerhalb der SPÖ auch nichts ändern. Benötigt ein Systemwechsel nicht kritische Stimmen?
Ich kann das nicht mehr hören. Abgesehen davon, dass man das System SPÖ nicht von innen heraus erneuern kann, weil es schlichtweg unerwünscht ist, ist diese Vorstellung reichlich naiv. Wo sind denn jene, die etwas zu sagen haben und gegen den derzeitigen Kurs aufstehen? Ich sehe sie nicht. Ich habe keine Lust ständig in der Ecke zu stehen und als Querulant zu gelten, nur weil ich inhaltlich Kritik übe.
Ihr Abschlusssatz aus dem Brief lautet: „Jetzt bin ich das, was viele geworden sind, weil sie es einfach satt haben, jahrelang auf Veränderung zu hoffen: heimatloser Linker. Aber man sieht sich im Leben immer zwei Mal“. Wo wird man Sie das zweite Mal sehen?
Da klingt ein bisschen Hoffnung mit, dass sich die Partei redemokratisiert und resozialdemokratisiert, dann wäre ich sofort wieder begeistertes Mitglied. Jetzt versuche ich mit unserem „Volksbegehren für Steuergerechtigkeit“ einen öffentlichen Diskurs über die ungleiche Verteilung von Vermögen in diesem Land zu erzwingen. Es ist doch pervers, wenn 1% mehr besitzt als die Hälfte der Republik.
Zeitgleich mit Ihnen dankt auch Werner Failmann ab. Nur ein Zufall?
Das ganze Leben ist ein Zufall. Auf Twitter gab es eine eigene Gruppe, die herausfinden wollte, wer Werner Failmann ist. Das war die sogenannte #csifailmann. Das Ergebnis: Wir sind alle Werner Failmann.
Rudolf Fußi
Rudolf Fußi, 33, wurde 2002 als Initiator des Anti-Abfangjäger Volksbegehrens bekannt. Im selben Jahr trat er der SPÖ als Parteimitglied bei. Während seiner Parteimitgliedschaft wurde Fußi von seinen Gegnern als Wendehals und von seinen Fürsprechern als Retter der SPÖ bezeichnet. Im Februar 2012 trat Fußi medienwirksam aus der SPÖ aus. Zurzeit initiiert er erneut ein Volksbegehren für die Einführung einer Reichensteuer.
- Fotos: Florian Stambula