Kommentar

Occupy Burgkino!

Das Durchschnittsalter liegt jenseits der 50 Jahre, die Themenpalette reicht von der Thayatalbahn bis zum EU Austritt. Die Beteiligung "der Jungen" vermissen sie und doch geht es ihnen nicht um den großen Aufstand: Die Wut- und Mutbürger versammelten sich im Wiener Burgkino.


‚Wutbürger‘ will man eigentlich nicht genannt werden: „‘Mutbürger‘ nennen wir uns jetzt“, erklärt Max Edelbacher schmunzelnd, der schon zum wiederholten Male dem Treffen beiwohnt. Das Café Landtmann, in dem sich mit organisatorischer Hilfe der Journalistin Anneliese Rohrer bis vor kurzem die Wut-/Mutbürger zum „Stammtisch“ trafen, war schon beim ersten Mal mehr als ausgelastet. Um die 40 Personen sitzen an diesem Montagnachmittag in einem Kinosaal des Wiener Burgkinos, vorwiegend ältere Damen und Herren mit augenscheinlich eher bildungsbürgerlichem Hintergrund. Sie machen einen aufgeräumten Eindruck. Außer dem „Verein neue Thayatalbahn“, dessen zwei Vertreter deutlich unter 40 Jahren sein dürften, sind kaum jüngere Teilnehmer zu sehen. Dass die gar nicht kommen können, weiß Herta Wessely, Begründerin des Bürgerinitiativen-Zusammenschlusses "Aktion 21". Sie hätten aufgrund des Arbeitsdrucks kaum Gelegenheit, sich zu organisieren und sich Gedanken zu machen. „Deshalb machen wir das, weil wir das können, dazu besser Zeit haben", sagt Wessely. 

Vom Geo-Unterricht über die Parteienfinanzierung bis zum EU Austritt 

Ein Herr in Anzug und Brille steht vor der Leinwand an einem kleinen Podium und stellt das Programm für heute vor. Danach gibt’s Organisatorisches und allgemeine Befindlichkeiten. Es hagelt scharfe Kritik an „der Politik“, dem Missbrauch der demokratischen Einrichtungen, der finanziellen Überanspruchung des Systems, dem allseits verbreiteten Mangel an Anstand und dem Mangel an Transparenz in Politik, Verwaltung und Justiz. Karl Kriechbaum, Vertreter der „Arbeitsgruppe Bildung“, beklagt die Mängel in der „AHS-Oberstufe“. Er verlangt eine bessere Ausbildung, Bewertung und Kontrolle für Lehrer, spricht sich für die Kürzung von „Lernfächern“ aus und ist gegen das Sitzenbleiben. Viel eher solle die Vermittlung von „sozialer Kompetenz“ in den Schulen im Vordergrund stehen. 

Kein Wort über die allgemeine Bildungsmisere, Hauptschule aka „neue Mittelschule“ oder das Desaster an den Unis. Mit den Parteien ist man höchst unzufrieden: „Parteienfinanzierung gehört abgeschafft! Wenn a Partei wos guat mocht, daun übaweis ma ihr 40 Euro!“, lautet der Grundtenor. Außerdem müsste man jeden staatlichen Posten öffentlich ausschreiben, und wenn möglich auch durch eine Kommission besetzen. Man ist sich sicher, Schwarz-Blau wird ansonsten die nächste Regierungskoalition sein. 


Die Piraten providen 

Einige Mitglieder der Wiener Piraten Partei bieten immer wieder lautstark ihre Unterstützung an: "Wir helfen euch, Sachen zu streamen, wir providen euch webspace", waren nicht die einzigen Anglizismen auf dem Podium. Die Zuhörer waren mehr verwirrt als euphorisch. Auch die niederösterreichische Plattform "New Deal" stellt ihre Initiative vor. "Einer von uns war im Besitz der Domäne newdeal.at. Dort haben wir begonnen, uns zu präsentieren. Das hat uns schnell auf den Autor von 'new deal für Europa', Stephan Schulmeister, gebracht, dem wir seither recht freundschaftlich verbunden sind. Unser Mastermind!“, erklärt einer der Vertreter. Einige Reihen weiter vorne raunt es: „Den kenn i. Der is a ganz a Linker!“ 

Der Vorstandsvorsitzende der "EU-Austrittspartei" muss um seine zwei Minuten Redezeit kämpfen. Sie wird ihm schließlich gestattet, mit dem Hinweis, dass man um sechs Uhr raus müsse. Die letzte halbe Stunde ist geprägt von Grundsatzdiskussionen über die Ausrichtung und Organisation. Und darüber, wie es weitergehen soll. Eine Partei gründen oder doch lieber nicht? Herta Wessely will das auf keinen Fall, so mancher im Publikum ist da anderer Meinung. Anneliese Rohrer, die inzwischen dazu gestoßen ist, zweifelt an der Sinnhaftigkeit der Veranstaltung: „Wir können nicht einmal im Monat diesen Kinosaal besetzen“. Sie rät den Versammelten, entweder Aktionen zu starten oder sich bestehenden Initiativen anzuschließen, dem Demokratiebegehren zum Beispiel, zu dem ein Vorredner meinte: „Die halten sich für so stark, dass sie von außen nix wissen wollen!“ 

Audimax für Pensionisten? 

Viele, nein, alle der vorgebrachten Themen sind von Relevanz. Manche mehr, manche weniger. Man denke nur an die eklatanten Missstände bei der Parteienfinanzierung oder der Korruption hierzulande. Bei aller Notwendigkeit für Prostest und allem Respekt für das Erwachen der Bürgerschaft und ihrer Strategie der kleinen Schritte: Man tut sich schwer, das alles ernst zu nehmen. Die Versammlung wirkt wie eine politisch gefärbte Hausversammlung, bei der sich die einzelnen Parteien im Vorbringen ihrer eigenen Probleme zu übertreffen versuchen. Was sie eint, ist die allgemeine Überzeugung, dass es „so ned weitergehen kann“. Ein Triumph der partikularen Interessen über politische Ideologie und fundamentale Kritik. Eine Prise Audimax-Feeling für Pensionisten. 

"Die Welt als Ganzes verändern zu wollen – das ist sinnlos. Nur in kleinen Veränderungen kann man etwas erreichen", meint auch Wessely. Als "fehlgeleitet" bezeichnete Rohrer die #unibrennt Bewegung, die erfolgreichste "junge" Aufstandsbewegung der letzten Jahrzehnte. Ihr Traum wäre, so ergänzte sie, "irgendein #unibrennt unter Elternbeteiligung". Dieser Paternalismus ist leider kein Einzelfall. Und ja, wenn man der Gesamtheit der heute "Jungen" eine unpolitische und unkritische Haltung unterstellt, mag das teils zutreffen. Aber Rohrer wirft der gesamten Generation vor, immer nur auf sich selbst zu schauen, den gesamtgesellschaftlichen, den politischen Blick zu verlieren und lässt an den unbedeutenden Ausnahmen kaum ein gutes Haar. Das Politische, jaja. 


Planlose Sesselkleber-Rebellion 

Ob den Burgkino-Besetzern das gelingen wird, was den Studierenden in den Jahren 2009/10 gelungen ist - nämlich durch konsequenten, lautstarken und organisierten Protest ein Thema von hoher politischer und sozialer Relevanz über Monate hindurch in die Medien zu bringen, dieses lethargische Land ein klein wenig aufzuwecken - ist ob ihrer konfusen Ausrichtung und Vielgliedrigkeit in Frage zu stellen. Dieselbe Kritik, die Anneliese Rohrer, wenn sie sich denn zu einem Kommentar über diesen zwar kleinen, aber lauten Teil "der Jungen" herablässt, so gerne anbringt, gilt in noch viel höherem Maße für die Wutbürgerlichen. 

Die gut situierten, aber bereits ausgeklinkten Teile der Sesselkleber-Generation, haben selbst jahrelang gut angepasst in und mit den bestehenden Verhältnissen gelebt. Jetzt kritisieren sie den „Weltverbesserungsdrang“ der jungen Generation, meinen selbst ein besseres Vorbild abzugeben und kümmern sich doch nur um ihren eigenen Hinterhof, die Garage vor dem Fenster, dieses und jenes Bauprojekt oder den Schultyp, in dem sie jahrelang unterrichtet haben. Was der FM4-Journalist Martin Blumenau etwas derbe ausdrückte, gilt nicht nur für Rohrer, sondern im selben Maße für die zahlreichen Androschs, Bergmanns und alle anderen, die sich jetzt so plötzlich vom Saulus zum Paulus wandeln. Sie alle haben kräftig an der Beibehaltung und am Ausbau der überkommenen Strukturen in Österreich mitgewirkt. 

Im Herbst soll das „Austria Center“ für einen großen Wut-/Mutbürger Kongress angemietet werden. Es bleibt abzuwarten, ob dort mehr organisiert wird, als ein kollektives Absondern heißer Luft.


Wutbürger Versammlung im Wiener Burgkino


"Wir können nicht einmal im Monat diesen Kinosaal besetzten" Anneliese Rohrer weiß zumindest, wies nicht geht.