Moskau
Russland - Schluss mit lustig!
Die Protestbewegung ist tot, es lebe die Protestbewegung
In den letzten drei Monaten hat die Arbeit als Korrespondent in Moskau wirklich Spaß gemacht, genauer gesagt: Sie war wirklich lustig. Der Tag begann damit, im Internet nach neuen Videos, Cartoons oder Bildern zu suchen, mit denen junge Russen sich über die Obrigkeit lustig machten, zu Demonstrationen oder Flash-Mobs aufriefen, oder ihre Protestaktionen mit Youtube-Videos dokumentierten. Zu sehen war ein Moskau, das sich in Bezug auf Kreativität, Sarkasmus, Weltoffenheit und handwerkliches Internet-Können nicht hinter anderen Metropolen wie New York oder Berlin verstecken musste. Die Revolte hatte endlich die kreative Energie die in dieser Stadt steckt freigesetzt.
Die "Macht – Vlast", wie die Obrigkeit in Russland genannt wird, hatte dem wenig entgegenzusetzen. Die "kreativen" Kreml-treuen Blogger beschränkten sich in der Regel darauf, Ideen der Kreml-Kritiker schlecht zu kopieren und waren damit im besten Fall peinlich. Doch bereits kurz vor der Wahl begann die Obrigkeit gegen diese kreative Klasse vorzugehen: Am Samstag wurde ein Angehöriger der Künstlergruppe "Voina-Krieg" verhaftete, die sich unter anderem dadurch einen Namen gemacht hat, dass sie in St. Petersburg einen 60 Meter hohen Penis auf eine aufklappbare Brücke gegenüber der lokalen Zentrale des Geheimdienstes FSB gemalt hat. Verhaftet wurden auch zwei Mitglieder der Punk-Gruppe „Pussy Riot“, die vor eineinhalb Wochen in einer Perfomance unter dem Titel „Gottesmutter, Erlöse uns von Putin“ den Altar der zentralen Christ-Erlöser-Kathedrale in Moskau gestürmt hatten. Am Montag wurde dann die Anklage bekannt gegeben: Den beiden jungen Frauen droht wegen Herabwürdigung der Religion eine Haftstrafe von bis zu sieben Jahren. Sieben Jahre! Beide haben kleine Kinder, sie sind aus Protest gegen die Untersuchungshaft inzwischen in Hungerstreik getreten.
Die Obrigkeit ist hier offenbar nicht zu Scherzen aufgelegt. Um die Identität der maskiert auftretenden Band auszuforschen wurde sogar die Redaktion des Radiosenders „Russkaja Sluschba Novostej“ durchsucht, dem die Band vorher ein Interview gegeben hatte. Der Auftritt rüttelte nämlich an einer Grunddoktrin des neuen Putinismus: Russland + starke Führung + Orthodoxie = neue Großmacht.
Hier ein Beispiel dafür wie sagenhaft peinlich die Internet-Aktivitäten der Putin-Anhänger waren. Ein Spot aus der Serie „Das erste Mal nur aus Liebe“, in dem junge Mädchen bei Arzt, Psychologe, Hellseherin fragen, worauf man denn beim ersten Mal achten müsse: Es müsse ein vertrauenswürdiger Partner sein, „Nur aus Liebe“ - verbunden mit einem Schwenk auf ein Bild von Putin.
Diesem - nennen wir es einmal freundlicherweise - plumpen Auftritt stehen inhaltlich und technisch hoch-professionelle Videos der Opposition gegenüber. Hier nur drei davon, im Internet gibt es dutzende.
12 Jahre Putin in zwei Minuten
Das ganz großartige Lied "Preved Medved" von Vasja Oblomov, dem IT-Girl Xenia Sobchak und dem grandiosen Fernsehjournalisten Leonid Parfjonow, eine Satire auf den Noch-Präsidenten, frei übersetzt "Papa Medwedew, und foi net"
Und eine Satire auf die Pro-Putin-Spots im Fernsehen in denen Prominente erklären warum sie für Putin stimmen. Darin sagt Xenia Sobchak, warum sie jetzt doch nicht mehr für die Opposition ist. Die Auflösung kommt dann bei Sekunde 54.
In einigen Kommentaren der vergangenen Wochen habe ich gesagt: Die Protestbewegung der letzten Wochen hat gezeigt, dass der Kaiser Putin in Wirklichkeit nackt ist. Heute würde ich das anders ausdrücken: Zar Putin ist nicht nackt, er trägt den Kampfpanzer der Einsatzpolizei.
Und noch eine Karikatur der "Liga der Wähler" zu der gestrigen gewaltsamen Auflösung der Demonstration am Puschkin-Platz. Die Sonderpolizei OMON hat alle am Platz verbliebenen Demonstranten weggetragen. Und Puschkin sagt dazu: "Halt, ich bin doch ein Denkmal!"
Für Russisch-sprachige Menschen hier eine Analyse des Polizeieinsatzes durch den Buchautor und Geheimdienstexperten Andreij Soldatov. Kurz gefasst: 12.000 Polizisten und Soldaten waren im Einsatz. Sie hatten die schwerste, verfügbare Ausrüstung dabei, waren aber so schlecht geführt, dass es ihnen nicht gelungen ist, die Situation unter Kontrolle zu halten, obwohl es praktisch keinen Widerstand gegeben hat.
