Kommentar
Wozu ein Ethikkodex?
Matthias Karmasin über die Notwendigkeit eines Ethikkodex und warum das eigene Gewissen nicht ausreicht.
Wozu ein Ethikkodex in einem Medium? Reicht nicht die Mediengesetzgebung und der Ehrenkodex der österreichischen Presse? Reicht nicht das Gewissen als Maßstab, um zwischen richtig und falsch zu unterscheiden? Muss man das verschriftlichen, was eh allen klar zu sein scheint? Meine Antwort – wohl wenig überraschend – Nein!
Ehrenkodex für spezielle Probleme
Gesetze stellen einen wesentlichen Rahmen für journalistisches Handeln dar, aber eben nicht den einzigen. Ohne den Unterschied von Legalität und Legitimität zu strapazieren, zeigt sich gerade im Online, dass nicht alles, was legal ist, auch legitim ist. Den Unterschied zu erkennen und zu benennen, ist wesentlich für Medienverantwortung.
Warum reicht der Ehrenkodex der österreichischen Presse nicht, auf dessen Basis der Presserat agiert? Er ist (bei allen Meriten) nicht für eine ganze Branche gedacht, sondern – wie der Name schon sagt – nur für Printmedien. Ein Code of Ethics spezifiziert den allgemeinen Ehrenkodex der Branche und spricht Probleme an, die in einem spezifischen Medium vorkommen. Die sind eben anders, wenn es sich um ein Modemagazin, eine Autozeitschrift, ein politisches Magazin oder eine Tageszeitung handelt.
Die Frage, ob eine Einladung zu einer Reise nach Südfrankreich mit exklusivem Leihwagen problematisch ist oder nicht, wird anders beantwortet werden, wenn es sich um eine Autozeitschrift oder um ein politisches Wochenmagazin handelt. Hoffentlich.
Bleibt also die Hoffnung auf die inneren Werte, das Gewissen. Reicht das? In einer idealen Welt ohne Zeit- und ökonomischen Druck und ohne soziale Zwänge schon. In der Welt, in der wir leben und vor allem in jener Welt, in der Journalismus heute vor dem Hintergrund von Refinanzieungskrise, Digitalisierung und Konvergenz stattfindet, eher nicht. Denn zu oft werden von einzelnen Journalisten Entscheidungen verlangt, die entweder ihre erlernten Standards gefährden, oder ihren Job.
Das Gewissen allein reicht nicht aus
Die Alternative besteht oft in Heroismus („das mache ich nicht, lieber gehe ich“) oder in Anpassung („es ist schlecht, aber was soll man tun. So ist das eben“). Die Lösung: Ethische Fragen dürfen nicht individuell, sondern müssen kollektiv entschieden werden.
Ein ethischer Kodex bzw. ein problemorientiertes Handbuch, schreibt die Selbstverpflichtungen fest und adaptiert die allgemeinen Regelungen eines Branchenkodex und anderer Rahmenregelungen auf spezifische Probleme. Vor dem Hintergrund einer pluralistischen Gesellschaft ist es nicht erwartbar, dass sich Kodices im Sinne einer Verfassung der Organisationen in materieller Hinsicht gleichen. Aber ihre Publikation macht transparent, auf welcher Wertebasis Entscheidungen getroffen werden und wie mit Wertkonflikten umgegangen wird.
Das gibt allen Beteiligten Sicherheit woran man ist: Publikum und Anzeigenkunden, Interviewpartnern, und Mitarbeitern, Chefs und freien Mitarbeitern. Anders formuliert: Ein solcher Kodex zeigt, dass man es ernst meint mit der Verpflichtung des Journalismus auf seine öffentliche Aufgabe. Und auch, dass man sich selbst ernst nimmt. Gar nicht so wenig, eigentlich.
Univ.-Prof. DDr. Matthias Karmasin ist Ordinarius am Institut für Medien- und Kommunikationswissenschaft der Universität Klagenfurt. Von 1999 bis 2001 hatte Karmasin die Professur für Medienmanagement am Institut für Medien- und Kommunikationswissenschaft der technischen Universität Ilmenau (D) inne. Seit 2009 ist er stellvertretender Vorsitzender des Beirates für Publizistikförderung. Karmasin ist Vorsitzender des Beirates zur Vergabe des wissenschaftlichen Förderpreises des VÖZ. Seine Arbeits- und Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Medienökonomie und Medienethik.