Moskau

Herr Schennach, bleiben Sie bitte zuhause!

SPÖ-Abgeordneter verteidigt die Präsidentschaftswahl in Russland mit fragwürdigen Argumenten


Vor eineinhalb Wochen wurde in Russland ein neuer Präsident gewählt, eine "Wahl", die von allen relevanten Beobachtern als unfair und nicht demokratischen Standards entsprechend eingestuft wird. Unter den Beobachtern waren auch zwei österreichische Abgeordnete, die nach der Präsidentschaftswahl mit ihren Einschätzungen in der Öffentlichkeit gestanden haben. Einer davon ist Ewald Stadler vom BZÖ. Er stellte der Wahl einen Persilschein aus und griff seinerseits die ausländischen Wahlbeobachter der OSZE, der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, massiv an. Angesicht der Tatsache, dass das BZÖ sich schon seit geraumer Zeit auf äußerst peinliche Art und Weise bei der Putin-Partei „Einiges Russland“ anbiedert, ist ein weiterer Kommentar hier überflüssig. Dass das Russische Außenministerium in seiner offiziellen Reaktion auf den OSZE-Bericht Stadler zitiert, ist wohl alles andere als ein Zufall. Interessant wäre zu wissen, ob und welche Gegenleistungen Stadler und/oder das BZÖ für seine "Beobachtung" bekommen haben, doch das ist ein anderes Thema. 

Schennach: War wohl bei einer anderen Wahl!

Auch Stefan Schennach, Bundesrat der SPÖ und ehemaliger Pressesprecher der Grünen, findet dass die OSZE mit ihrer Einschätzung total daneben liegt: Er sei wohl bei einer anderen Wahl gewesen, meint er gegenüber der Wiener Zeitung und Ö1, schickt eine OTS aus und findet mit seiner Kritik sogar Beachtung in ausländischen Medien. Anders als Stadler ist Schennach in diesem Fall keine Privatperson sondern wurde vom Bunderat als offizieller Wahlbeobachter entsandt. Seine Meinung ist daher mehr als eine private Meinungsäußerung, es ist die Äußerung eines offiziellen Vertreters der Republik Österreich. Es zahlt sich daher aus, seine Kritik genauer anzusehen. Bleiben wir bei seinen Aussagen zum Wahlsonntag in einem Interview mit der "Wiener Zeitung".


"Wirklich hohes Niveau"

 „Wenn man nur den Wahlsonntag betrachtet, war die Wahl auf einem wirklich hohen Niveau - auch technisch, mit Überwachungskameras und elektronischen Wahlurnen. Die Situation in Tschetschenien ist dabei natürlich ausgenommen.“ 

Frage: Wie kann die Wahl auf einem hohen Niveau sein, wenn sie in einer Region mit 1,2 Millionen Einwohnern vollständig gefälscht war? Zur Erinnerung: Putin hat in Tschetschenien 99,7 Prozent der Stimmen bekommen, bei fast 100 Prozent Wahlbeteiligung. In anderen Republiken nationaler Minderheit war das Ergebnis etwas weniger krass, aber ähnlich. Schennach kann in Wirklichkeit also nur für die Region sprechen, in der er beobachtet hat.

„Ich selbst habe als Mitglied der Delegation des Europarates zwei Dutzend Wahllokale besucht. Nur zweimal habe ich die Note "schlecht" vergeben.“

Herr Schennach hat also zwei Dutzend, der mehr als 90.000 Wahllokale in Russland besucht. Er war also in jedem von ihm besuchten Wahllokale maximal 20 Minuten, eher noch weniger wenn man die Wege zwischen den Wahllokalen mit einberechnet. Die Anwesenheit von Beobachtern bleibt natürlich nicht unbemerkt und es wäre überraschend, wenn gerade in diesen 20 Minuten gefälscht wird. Schennach sagt auch nicht, ob er an einer Auszählung teilgenommen hat – also genau an dem Teil der Wahl, der im vorläufigen Bericht der OSZE am schärfsten in Frage gestellt wird.

„Voting was assessed as good and very good in 95 per cent of polling stations visited; however, the process deteriorated during the count that was assessed as bad and very bad in almost one-third of polling stations observed due to procedural irregularities. […] Of 98 counts observed, 29 were assessed as bad and very bad. Observers reported that PEC members did not always follow correct procedures. Also, there were instances of ballot box stuffing.“


Fälschung findet nicht nur am Wahltag statt

Schennach kann diese Angaben in keiner Weise entkräften. Aber als erfahrener Wahlbeobachter weiß er natürlich, dass eine Wahl nicht am Wahltag entschieden wird, sondern lange vorher: Bei der Zulassung oder Nicht-Zulassung der Kandidaten, im Wahlkampf, beim Zugriff des Staates auf die sogenannten „Administrativen Ressourcen“ zur Unterstützung ihres Kandidaten etc. Obwohl er in dieser Phase nicht anwesend war und sich auf Informationen aus zweiter und dritter Hand verlassen muss, traut sich Schennach ein Urteil zu:

"Eine Wahl ist jedoch in ihrem ganzen demokratischen Rahmen zu betrachten und hier hat im Vorfeld die politische Balance gefehlt - insbesondere beim staatlichen Fernsehen als Hauptinformationsquelle für weite Teile dieses riesigen Landes. Trotzdem ist ein spürbarer Ruck durch das Land gegangen, die Meinungsvielfalt wurde jenseits allem politischen Drucks vielfältig gelebt und das soziale Netzwerk im Internet war in jenen Teilen, wo es auch empfangbar war, also rund 65 Prozent des Landes, tatsächlich eine Form von Gegeninformation",

Diese Aussage erscheint ausgewogen, ist dennoch schwer mit Schennachs Hauptthese in Einklang zu bringen: Wie kann eine Wahl fair sein, deren Wahlkampf so abgelaufen ist, wie von ihm hier beschrieben? Ich würde meinen, es ist ein Alibi-Satz, der im Übrigen auch zeigt, wie wenig Ahnung und Verständnis Schennach von der realen Situation in Russland hat. 

Tatsächlich ist die Benutzung des Internet auf die großen Städte des Landes beschränkt, erreicht also  bei weitem nicht 65% der Bevölkerung, die er anspricht. Laut aktuellen Meinungsumfragen nützen nur etwa 40% der Russen regelmäßig das Internet. Außerhalb Moskaus und einiger anderer weniger Großstädte ist das staatliche Fernsehen – es gibt nur staatliches Fernsehen – die einzige Informationsquelle der Russen. Es gab zwar einige Diskussionssendungen, in denen die anderen Präsidentschaftskandidaten auftreten durften, der Rest des Programms glich aber einer 24-stündigen Werbesendung für Wladimir Putin. 


Schennachs Kernsatz

Wie unter diesen Rahmenbedingungen „Meinungsvielfalt, vielfältig gelebt werden kann“, ist nicht wirklich nachvollziehbar. Hier die Beurteilung der OSZE aus dem vorläufigen Endbericht:

“The broadcast media did not provide balanced coverage of the contestants overall, contrary to the legal requirements.13 While newscasts on television stations monitored by the OSCE/ODIHR EOM covered the daily activities of every election contestant, they were outweighed by the extensive coverage of Vladimir Putin’s daily activities, both as a Prime Minister and as a candidate.14 This, together with regular broadcasts of documentaries praising his achievements and articles written by him, created unequal conditions for candidates. State-owned broadcast and print media complied with their legal obligations to allocate free time and space to the candidates. However, contrary to the legal requirements, most free time was allotted outside of peak audience periods.”

Aber kommen wir zum Kernsatz von Schennachs Kritik gegenüber der Agentur Reuters:

"I have to say sorry, it seems to be a politically motivated action.”

Für diesen Satz bleibt Schennach jede Begründung schuldig, auch in anderen Interviews und Aussendungen. Was will er uns damit sagen: Eine (ungenannte) ausländische Macht versuche die politischen Entscheidungen in Russland zu beeinflussen. Die OSZE sei das Instrument dieser (ungenannten) ausländischen Macht. An anderer Stelle wird Schennach deutlicher: Die OSZE sei ein Instrument der USA und verweist auf vergangene Wahlen in Georgien, weitere Belege für seine Behauptung bleibt er schuldig. Was Schennach hier will, außer die OSZE anzupatzen, wird erst klar wenn man sieht, in welchem Umfeld seine Aussagen getätigt werden. Wie wenig Substanz seine Kritik hat, zeigt auch der Bericht der russischen Wahlbobachtungsorganisation GOLOS, der inzwischen auch auf Deutsch vorliegt. Schennach hat diesen Bericht offensichtlich nicht gelesen.


Wie man Wahlbeobachtung irrelevant macht 

Beobachtung und Beurteilung von Wahlen von außen  ist eine der politischen Erfolgsgeschichten der vergangenen 20 Jahre. Länder werden darauf geprüft, ob sie die selbst eingegangenen Verpflichtungen einhalten. Niemand zwingt Russland demokratische Wahlen abzuhalten. Russland ist freiwillig der OSZE, dem Europarat und anderen Institutionen beigetreten und hat sich dabei verpflichtet, sich an die demokratischen Mindeststandards dieser Organisationen zu halten. Nichts anderes wird bei Wahlbeobachtung überprüft. Die Bürger dieser Länder bekommen durch die ausländischen Wahlbeobachter eine Stimme – nicht immer zur Freude ihrer autoritären oder halb-autoritären Regierungen.

Im Lauf der letzten 20 Jahre gab es verschiedene Strategien mit der Beurteilung von außen umzugehen: Zuerst setzten Staaten wie Russland auf Konfrontation und sorgten dafür, dass die Wahlbeobachtung gar nicht erst stattfand. Inzwischen haben sie ihre Vorgehensweise  geändert und eigene internationale Wahlbeobachtungs-Organisationen gegründet, in diesem Fall die Beobachtungsmission der Gemeinschaft unabhängiger Staaten (GUS). Außerdem werden zusätzliche „unabhängige“ Beobachter eingeladen den Wahltag zu beobachten. Das Ziel: Statt einer verlässlichen und begründeten Beurteilung  gibt es eine Kakophonie verschiedener Stimmen, mit der die Kritik mundtot gemacht werden kann. Wie ein Vertreter des Kreml vergangene Woche in einem Interview für Ö1 mit mir meinte: „Viele Leute haben eben verschiedene Meinungen“. Die einen hätten die Wahl so beurteilt, die anderen anders. Putin sei Präsident, den Rest solle man jetzt bitte vergessen. Wer das nicht glauben will, dem sei dieser Artikel in der vorletzten Ausgabe des "Economist" empfohlen.


Herr Schennach, bleiben sie zuhause!

Schennach, Stadler und auch andere Abgeordnete aus Westeuropa betreiben mit ihrer Kritik also das Geschäft der Wahlfälscher, egal ob wissentlich oder unwissentlich. Nach dem Motto: Man könne ja über einzelne Details streiten und bei uns sei ja auch nicht immer alles in Ordnung. Aber im Großen und Ganzen sei bei der Wahl doch alles gut abgelaufen, Putin mit halbwegs ehrlichen Wahlen zur Macht gekommen und jetzt solle man doch bitte aufhören über Wahlen und Menschenrechte zu reden und wieder zur Tagesordnung übergehen. 

Daher: Herr Schennach, wenn Sie einen Beitrag zur Entwicklung der Demokratie in Osteuropa leisten wollen, setzen Sie sich doch etwas genauer mit den Tatsachen auseinander, bevor Sie sich öffentlich äußern, noch dazu als offizieller Vertreter der Republik. Statt mit Ihren Äußerungen die Fälscher zu unterstützen, wäre es besser, Sie bleiben das nächste Mal zuhause!

Zu Gast bei Willkommen Österreich

Inhaltsvoller als die Bemerkungen von Herrn Schennach, war für mich, wie die netten Leute von "Maschek" in Willkommen Österreich über die Wahlen in Russland berichtet haben. Und keine Angst: Ich habe gar keine Katze!