aus dem Sinn

Obama: Beim Wort genommen

Eine deutlich ernstere Stimmung und ein älteres Publikum. Trotzdem erinnert die Zeremonie bei der alljährlichen Verleihung des Friedensnobelpreises in Oslo irgendwie an die alljährliche Oscar-Nacht. Den Oscar bekommt ein Regisseur allerdings erst für den fertigen Film.


Oktober 2009
Verleihung des Friedensnobelpreises an US-Präsident Barack Obama

Juli 2008
Obamas Rede vor der Berliner Siegessäule

März 2007
Obamas Idee über Verhandlungen und Verträge, die Produktion von Kernwaffen zu verbieten

April 2010
Obama und Medwedew unterzeichnen in Prag den Strategic Arms Reduction Treaty

März 2011
Erneute Spannungen zwischen den USA und dem Iran

Juni 2009
Obamas Rede an der Universität in Kairo

September 2010
Obama lädt Netanjahu und Abbas zu Friedensgesprächen ein

Mai 2011
US-Spezialkräfte haben das Versteck Osama bin Ladens in Pakistan gestürmt und ihn erschossen

Mai 2009
Nach nur vier Monaten im Amt, bricht Obama seine Versprechen

Wegen seiner „außergewöhnlichen Bemühungen zur Stärkung der internationalen Diplomatie und zur Zusammenarbeit zwischen den Völkern“, hatte sich das Nobel-Komitee 2009 zur Verleihung des Friedensnobelpreises an US-Präsidenten Barack Obama entschlossen. Man habe „dabei besonderes Augenmerk auf Obamas Vision und seine Arbeit für eine Welt ohne Atomwaffen gelegt“, hieß es weiter von Seiten des Komitees. „Dialog und Verhandlungen“ würden von Obama wieder als „vorrangiges Mittel angesehen, um selbst die kompliziertesten internationalen Konflikte zu lösen“. 

Und: „Es kommt nur sehr selten vor, dass eine einzelne Person es in dem Maße wie Obama schafft, die Aufmerksamkeit der ganzen Welt auf sich zu ziehen und den Menschen die Hoffnung auf eine bessere Zukunft zu geben. Sein Verständnis von Diplomatie gründet sich auf der Überzeugung, dass diejenigen, die in der Welt den Ton angeben, dies auf der Grundlage von Werten und Maßstäben tun, die der Großteil der Erdbevölkerung teilt.“

Obama war gerade einmal neun Monate im Amt, hatte kaum Erfolge als Präsident oder gar als Friedensstifter vorzuweisen, als er den Preis entgegennahm. Den stufenweisen Rückzug aus dem Irak hatte noch der scheidende G.W. Bush befohlen. Und in seiner Rede an die Gäste der Zeremonie in Oslo merkte Obama an, dass Frieden manchmal nicht genug sei. Es brauche manchmal Gewalt, um ihn zu sichern. Er sprach von Afghanistan. Und dem Erbe des „War against Terror“, das er angetreten hatte. Der Saal applaudierte ihm.

Kontrast und Bildschärfe

Bush ging, Obama kam und alle atmeten hörbar auf. Regierungen in aller Welt begrüßten das Wahlergebnis in den USA, teils überschwänglich. Barack Obama stand damals in den Augen vieler Regierungen und in den Artikeln der internationalen Medien für die Rückkehr der Vernunft ins Weiße Haus. Stets hatte er Irakkrieg und Guantanamo scharf kritisiert, die Überlegenheit besonnener, internationaler Diplomatie über kriegerische Alleingänge und fragwürdige Allianzen betont. Ein ausgezeichneter Rhetoriker war Obama schon zu Beginn seiner politischen Laufbahn als Bürgerrechtler in Chicago, dann als Senatsabgeordneter und später als Senator von Illinois. Bildhaftigkeit, starke und einfache Sprache und Patriotismus zeichneten seine Reden aus, verhalfen ihnen zu großer Aufmerksamkeit innerhalb der Demokratischen Partei und der amerikanischen Medien landesweit. Somit wurde sein Talent als Redner zur Triebkraft seines Aufstiegs zum Präsidentschaftskandidaten.

Während seines Wahlkampfes des „Change“ bereiste Obama 2008 auch Europa und nutzte die Gelegenheit zu einer aufsehenerregenden Rede an die Welt vor der geschichtsträchtigen Berliner Siegessäule: Er sprach von der Zusammenarbeit zwischen den Nationen, die hinsichtlich der Rettung des Planeten notwendig sei.  Wie es bereits möglich gewesen wäre, dem Kommunismus beizukommen, werde man auch dem Terrorismus beikommen können: Gemeinsam. Sei es im Tschad und der Darfurregion, in Burma, Bangladesch oder im Iran: Für Menschenrechte und zum Schutz der Schwachen und Verfolgten müsse man gemeinsam eintreten. Eine zukünftige Welt ohne Atomwaffen: Nur gemeinsam sei sie zu schaffen.

Vom Messen an der Realität

Letzteres begreift Obama auch als Teil seiner Strategie zur Bekämpfung eines globalen Terrorismus, die er bereits 2007 ausgearbeitet hat, und als Präsident umsetzen will: Die Sicherheit von Atomwaffenvorräten und von dafür verwendbaren Materialien zu gewährleisten, sowie die Abrüstung solcher Waffen zu befördern; die Verhandlung von Verträgen aufzunehmen, die die Produktion von weiteren Kernwaffen verbieten. Die in letzter Konsequenz visionäre, atomwaffenfreie Welt Obamas ist ebenso ein realistischer Katalog präventiver Maßnahmen gegen einen nuklearen Terrorismus. Obama erklärte auch seine Verhandlungsbereitschaft gegenüber Teheran und Pjöngjang. Nach Jahren der Isolationstaktik der Bush-Regierung, werde er - als Präsident - einen respektvollen Dialog wieder aufnehmen.

Seit drei Jahren ist Obama nun im Amt. In seinen Bemühungen um Abrüstung hat er mittlerweile einen Erfolg vorzuweisen. Im April 2010 hat er gemeinsam mit dem damaligen russischen Präsidenten Medwedew in Prag den Strategic Arms Reduction Treaty (START) unterzeichnet, einen Vertrag, der beide Staaten zur Abrüstung ihrer Atomwaffenbestände verpflichtet. Zuvor hatte er auf die Stationierung eines von der Bush-Regierung geplanten Raketenabwehrschirms in Polen und Tschechien verzichtet.

Gegenüber Pjöngjang hatte Obama bereits früh innerhalb seiner Amtszeit Gesprächsbereitschaft signalisiert. Nachdem sich kurz darauf die Beziehungen zwischen Süd- und Nordkorea aufgrund eines Scharmützels auf See und nordkoreanischer Waffentests verschlechtert hatten, stellte er sich jedoch demonstrativ auf die Seite Seouls und bezeichnete Nordkorea als „ernste Bedrohung“. Gespräche seien weiterhin möglich betont er, allerdings unter einer ganzen Reihe von Bedingungen. Jüngst hat Nordkorea sein Atomprogramm offiziell eingestellt und will Inspektoren ins Land lassen.

Dem Iran gegenüber hat Obama seit Beginn seiner Präsidentschaft, welche auch seitens Teheran offen beglückwünscht worden war, einen Neubeginn des Dialogs über dessen Atomprogramm angeboten: In einer Videobotschaft,  aus Anlass des iranischen Neujahrs-Festes, übermittelte er dem iranischen Volk 2009 seine besten Glückwünsche für das neue Jahr und der Regierung eben jenen Neuanfang. Teheran reagierte vorsichtig auf das Angebot Obamas: Man sei zwar zu Gesprächen bereit, jedoch müssten diese auf gegenseitigem Respekt fußen.

In einer Videobotschaft von 2011 wendete sich Obama in deutlich aggressiveren Ton an die Bevölkerung, klagte die Regierung offen der Verletzung von Menschenrechten an. Zunehmend eskaliert das Verhältnis zwischen dem Iran und den USA, Israels Regierung fordert immer offener einen militärischen Erstschlag auf den Iran, und Obama schließt einen Angriff nicht mehr aus. Derzeit operieren US-Flugzeugträger im persischen Golf und Obama hat zu harten Wirtschaftssanktionen gegen den Iran aufgerufen. Die EU folgt und will ab spätestens Mitte des Jahres kein iranisches Öl mehr importieren.

Der "Change" kam von außen

Ein wichtiges Signal an die muslimische Welt sendete Obama 2009 in seiner Rede an der Universität von Kairo. Die Anwesenden applaudierten lange und euphorisch. Er hatte von einem Neuanfang in der Beziehung zwischen Amerika und dem Islam gesprochen, von Frauenrechten und Demokratie. Dann kam der Arabische Frühling tatsächlich. Und Obama zögerte und schwieg.

Während sich ein zunehmender Teil der arabischen Welt destabilisierte, blieben Obamas fortgesetzte diplomatische Bemühungen im israelisch-palästinensischen Konflikt bisher erfolglos. 2010 hatte Obama Benjamin Netanjahu und Mahmud Abbas zu Friedensgesprächen nach Washington geladen. Waren sich die beiden Parteien anfangs noch einig, innerhalb „eines Jahres“ zu einer Friedenslösung zu gelangen, so wollte Netanjahu nicht mehr verhandeln, seit sich Abbas Fatah der Hamas angenähert hat. Zu dieser Annäherung kam es allerdings nicht zuletzt durch den fortgesetzten israelischen Siedlungsbau in palästinensischen Gebieten. 

Abbas beantragte nach diesem erneuten Scheitern der Friedensverhandlungen die Vollmitgliedschaft Palästinas als Staates in den Vereinten Nationen. Obama, der sich stets für eine Zweistaatenlösung ausgesprochen hatte, lehnte diese Lösung ab. Nun fordert Obama von den Israelis einen sofortigen Siedlungsstop, Netanjahu fordert von Obama zunehmend den Angriff auf den Iran - Abbas hat sich Gesprächen abgewandt. Obamas Nahostvermittler George Mitchell hat unterdessen entnervt sein Amt zurückgelegt. 

Obamas Wertewandel

Die Besatzung des Irak ist beendet, jedoch der Krieg in Afghanistan, vermehrt auch in Pakistan, unter Obama ist intensiviert worden. Dies war allerdings ein erklärtes Ziel Obamas bereits vor seiner Nominierung als Friedensnobelpreisträger und Präsidentschaftskandidat der Demokratischen Partei. So erklärt er in seiner Strategie zur Bekämpfung eines globalen Terrorismus: „Get out of iraq in order to take the fight to the terrorists in afghanistan and pakistan“ und „I will not hesitate to use military force to take out terrorists“, „to track down, capture or kill terrorists around the world“. Auch die völkerrechtlich fragwürdige Tötung Bin-Ladens hat er hiermit bereits angekündigt.

In seinem Strategiepapier äußert sich Barack Obama auch ausdrücklich zu den Maßstäben und Werten denen er seine Führung verschreiben will: Das Ende des Gefangenenlagers in Guantanamo Bay werde er als Präsident beschließen, ebenso werde er den Military Comissions Act ausser Kraft setzen und damit das anzuwendende Recht im Umgang mit Terroristen zurück auf den Boden der Verfassung stellen – die Bush-Regierung hatte 2006 jenes heftig umstrittene Gesetz erlassen, das eine faktisch unbegrenzte Festhaltung von „feindlichen Kombattanten“ (Kämpfer in einem rechtlich unklaren Raum außerhalb völkerrechtlicher Konventionen) ohne richterliche Haftprüfung in Lagern wie Guantanamo inklusive dortiger Verhörmethoden erst ermöglichte. In genauem Wortlaut führt er an: „When I am President, America will reject torture without exception“ und „As President, I will close Guantanamo, reject the Military Comissions Act, and adhere to the Geneva Conventions.“

Vier Monate nach seinem Amtsantritt und fünf Monate vor seiner Auszeichnung zum Friedensnobelpreisträger revidierte er dieses Versprechen: „Military commissions have a long tradition in the United States. They are appropriate for trying enemies who violate the laws of war, provided that they are properly structured and administered.“

Guantanamo und andere Stützpunkte dieser Art sind somit auch unter Friedensnobelpreisträger Obama weiterhin aktiv. Der Military Comissions Act, ist durch den National Defense Authorization Act verschärft worden. Obama unterzeichnete das neue Gesetz an Sylvester. Guantanamo kann durch die Regelungen des neuen Gesetzes faktisch nicht mehr geschlossen werden, da kein Regierungsgeld den Transport der Insassen aufs US-Festland finanzieren darf. „Sonderregelungen“ zum Umgang mit vormals nur ausländischen „Kombattanten“ sind nun auch auf US-Bürger anwendbar.

 


FACTBOX

Barack Hussein Obama ist seit Januar 2009 der 44. Präsident der Vereinigten Staaten. Im Februar 2007 verkündete der Demokrat seine Präsidentschaftskandidatur. Er versprach ein baldmöglichstes Ende des Irakkriegs, eine erschwingliche Krankenversicherung für alle US-Bürger und eine Energiewende. Zu Beginn seiner Amtszeit versprach Obama den Abzug der US-Kampftruppen aus dem Irak und trat für die zielgerichtete Fortsetzung des Antiterrorkrieges in Afghanistan ein. Nach neun Monaten im Amt, erhielt Barack Obama den Friedensnobelpreis. 

Am 1. Mai 2011 wurde der Al-Qaida-Führer Osama bin Laden in Abbottabad, Pakistan, erschossen. Anfang April 2011 erklärte Obama seine Absicht, sich bei der Präsidentschaftswahl 2012 für eine zweite Amtsperiode als Präsident zu bewerben und startete die Kampagne für seine Wiederwahl.