Moskau

Der hohe Norden

Eine Reise nach Sibirien, Salechard, Klimawandel


Der Job als Korrespondent hat den Vorteil, dass man Orte sieht, die einem normalen Touristen praktisch verschlossen sind. Eine dieser verschlossenen Gegenden ist der russische hohe Norden. Es gibt zwar regelmäßige Flüge und sogar Züge, manche Orte sind aber nach wie vor nur mit einer Sondergenehmigung zugänglich. Und ohne Hilfe der großen Firmen, die diese Städte am Leben erhalten, ist man sowieso völlig hilflos. Wie soll man etwa ohne die Hilfe des Gas-Giganten Gasprom zu einem Ergdasfeld kommen, das mitten im Nirgendwo liegt und zu dem es keine reguläre Straße gibt?

Wir waren daher sehr dankbar für eine Pressereise nach Salechard im Jamalo-Nenzischen, einem autonomen Gebiet in Westsibirien, die die russische Eisenbahngesellschaft RZD organisiert hat. Und die RZD hat hier etwas zu sagen: Die Bahn ist das wichtigste Transportmittel für den hohen Norden, denn Straßen gibt es hier nur sehr wenige.


Salechard liegt knapp hinter dem Ural und wurde 1595 gegründet. Davon zeugt auch die Nachbildung eines kleinen Kosakenforts, das vor kurzem errichtet wurde. Man wisse leider nicht genau, ob das Fort wirklich hier stand, meinte unsere Begleiterin, denn nach und nach versinke hier alles im Permafrostboden. Der einzige Ausweg sind meterlange Betonstützen mit denen die Häuser direkt auf der Eisschicht fixiert werden, die einige Meter unter der Erdoberfläche beginnt. Zu den neuen Gebäuden zählt auch eine Moschee für Gastarbeiter aus dem Süden Russlands aus Zentralasien, eine der nördlichsten Moscheen der Welt (die nördlichste Moschee steht in Manitoba-Kanada - danke Thomas Schmidinger).

Salechard liegt direkt am Polarkreis, das Polarkreis-Denkmal ist daher auch eine der wichtigsten "Sehenswürdigkeiten" der Stadt. Direkt daneben steht eine alte Dampflokomtive, etwas kurios, da Salechard keinen Bahnhof hat. Die Eisenbahn endet am gegenüberliegenden Ufer des Flusses Ob. Der sowjetische Diktator Stalin wollte in den 1950ern eine Bahnlinie entlang des Polarkreises aus dem Boden stampfen. Bei Stalins Tod war sie fast vollständig fertiggestellt. Doch durch die Amnestierung der politischen Gefangenen, gab es keine Arbeitskräfte mehr. Der Bau wurde eingestellt, die halbfertige Bahn verfiel und versank im Permafrostboden. Darüber wie viele Gulag-Häftlinge bei diesem Wahnsinnsprojekt starben, kann nur spekuliert werden.

Daneben noch ein weiteres Denkmal für die "Romantiker der 1970er" - Jungkommunisten die sich damals freiwillig hierher versetzen ließen, um auch in Tundra und Taiga am Aufbau der kommunistischen Gesellschaft zu mitzuarbeiten.


Im hohen Norden dauert der Winter sieben bis acht Monate, drei Monate ist Sommer, dazwischen liegen ein kurzer Herbst und ein kurzer Frühling. Das hat auch Vorteile: den Großteil des Jahres braucht man keine Tiefkühltruhe, es reicht den Fisch nach dem Fangen einfach im Freien liegen zu lassen. Schon ist er tiefgefroren.

Auch der Globalen Erwärmung kann man hier positive Aspekte abgewinnen. Der Boden taut auf und immer wieder findet man sehr gut erhaltene Mammut-Skelette und Mammut-Mumien, von denen gleich mehrere im lokalen Museum ausgestellt sind. 

Noch eine Besonderheit an Salechard: Bei fast allen Autos hängt ein Stromkabel aus der Motorhaube: So werden die Motoren aufgeheizt, bevor sie gestartet werden. Die Fassaden der Stadt sind extrem bunt: Wenn die Häuser auch noch weiß wären würde man in dieser Schneelandschaft endgültig trübsinnig, meint unsere lokale Begleiterin.


Der dauernde Frost hat noch weitere "Vorteile": man braucht weniger Brücken. Im Winter reicht es einfach den Schnee vom Eis wegzuräumen, fertig ist die Eisbrücke. Im Sommer verkehren über den Ob Fähren, im Herbst und Frühling Hover-Crafts. Zugegeben: Etwas Spooky ist die Fahrt über das Eis schon...


Richtig spannend wird es, wenn man die festen Orte verlässt. Das Transportmittel der Wahl ist ein sogenannter "Vesde-Chod", zu deutsch etwa "Überallhin-Fahrzeug", eine Mischung aus Wohnmobil und Kettenfahrzeug. Alternativen dazu wären Schneeschuhe und Hundschlitten - nicht besonders praktisch für einen Sonntagsausflug, aber in den kleinen Dörfern an der Bahnstrecke gibt es auch wenig, was man unternehmen könnte. Das gelbe Häuschen ist das Geschäft einer Eisenbahnersiedlung an der Strecke.

Und immer wieder Ruinen: Die Reste des Gulag. Die Menschen im hohen Norden haben übrigens einen eigenen Humor. Als unser Zug an einer kleinen Siedlung vorbeifährt, brüllt einer der Bahnmitarbeiter: "Hier sitzt Lebedev ein", gemeint ist Platon Lebedev, der frühere Geschäftspartner von Michail Chodorkowski, der ebenfalls zu mehreren Jahren Lagerhaft verurteilt wurde. Der Miene des Eisenbahners nach zu schließen, dürfte er stolz darauf sein, dass dieser "Staatsfeind" hier "verwahrt" wird.


Der offizielle Grund der Reise war, dass die RZD ihr Gerät zur Schneeräumung vorführen wollte. Und ja: Schneeräumen können sie wirklich. Fast zwei Stunden lang wurde eine etwa einhundert Meter lange Strecke von drei Bulldozern mit Schnee zugschüttet. Die Räumung mit einer Riesenschneefräse dauerte dann gerade einmal 15 Minuten. Das nennt man Technik!

Und á propos Technik: Am Flughafen von Salechard stand dann eine Tupolew 134, ein Flugzeug das schon seit 30 Jahren nicht mehr hergestellt wird. Nach einer Serie von Flugzeugunfällen letzten Sommer, erließ Präsident Medvedev ein Dekret, mit dem diese alten Flugzeuge aus dem Verkehr gezogen werden sollten. Bis Salechard hat sich das aber offenbar noch nicht herumgesprochen.