Interview
"Die Grünen haben ihre Themen nicht an andere Parteien verloren"
Der Grüne Tiroler Landtagsabgeordnete Gebi Mair spricht im Interview mit Sahel Zarinfard über die Schwächen und Stärken seiner Partei, über Steine, die Jungpolitikern in den Weg gelegt werden und warum für die Grünen Einspritzdüsen wichtiger sind als gelbe Autos.
Herr Mair, was unterscheidet die Grünen von anderen Parteien? Was machen Sie besser?
Wir sind die einzige Partei, die sich um die Umwelt kümmert. Wir sind nach wie vor die einzige offene und demokratische Partei und wir sind die einzige Partei, die Aufklärung am meisten ernst nimmt. Die Grünen machen Politik mit Anstand, im Gegensatz zu anderen Parteien. Gerade in den letzten Monaten scheint in den anderen Parteizentralen die Parole zu gelten „bereichert euch“. Die Sozialdemokratie heftet sich an die Brust, die Partei für Arbeiter zu sein. Das sind in Wahrheit wir Grünen.
ÖVP und SPÖ behandeln auch Themen rund um die Umweltpolitik.
Andere Partei bemühen sich zwar darum, das Thema für sich zu vereinnahmen, aber das ist nicht mehr als hübsche Rhetorik. Ein echtes Anliegen ist ihnen das nicht. Man darf eines nicht vergessen: Die Politik ist oft banal. Wenn es beispielsweise um die Frage geht, entscheide ich mich für einen Radweg oder für einen Parkplatz, dann entscheiden sich alle anderen Parteien für den Parkplatz. Und zwar einstimmig. Die Grünen sind die einzige Partei, die sich für den Radweg entscheiden würden. Manchmal muss man gute Sachen den Leuten aufzwingen.
Was machen die Grünen schlechter?
Die Grünen sind schlecht darin, Wahlen zu gewinnen. Das ist ein großes Problem. Die Grünen gewinnen dann Wahlen, wenn sie sich mit Leidenschaft und Engagement für Inhalte einsetzen. Das ist uns in letzter Zeit nicht gelungen. Dabei liegt es nicht an unseren Spitzenkandidaten, viel eher müssen wir schauen, dass wir die Interessen Vieler umsetzen können. Wir müssen als Grüne die Dinge einfach und banal erklären. Damit man sie mit dem Herzen versteht. Die Ratio ist nicht immer der vernünftigste Weg.
Die Grünen kämpfen mit Vorurteilen: Sie hätten beispielsweise keine wirtschaftlichen Kompetenzen.
Ich höre das schon seit Jahren und halte das für völligen Quatsch. Die ÖVP ist keine Wirtschaftspartei sondern eine Bauern- und Beamtenpartei. Sie agiert auch so. Das Land Tirol besitzt eine Landesbank, in der fast alle Sitze von ÖVP Mitgliedern besetzt sind. Die Hypo Tirol hat zu letzt 230 Millionen Steuergeld verschwendet. Da muss offenbar etwas unklar sein. Wir Grünen sollten lernen zu kommunizieren, dass die ÖVP keine Wirtschaftspartei ist, sondern eine Partei, die in die eigene Tasche wirtschaftet. Wenn das die Merkmale einer Wirtschaftspartei sind, dann wird den Grünen zu Recht vorgeworfen, keine wirtschaftlichen Kompetenzen zu haben.
Was ist das Wirtschaftsverständnis der Grünen?
Das Verständnis kommt von einer einfachen Überlegung: Es gibt kein unbegrenztes Wachstum. Es gibt Grenzen, die auch eingehalten werden sollten. Innerhalb dieser Grenzen sollte man leben. Das Ziel ist eine moderne Gesellschaft. So wie Menschen, hat auch der Planet seine Grenzen. Derzeit handeln wir alle auf Kosten der Wirtschaft, der Umwelt und der Menschen. Die Leute merken das, indem sie am Abend von der Arbeit nach Hause kommen und ausgelaugt sind.
Gerade in Zeiten einer Wirtschaftskrise könnten die Grünen mit Themen wie sozialer Gerechtigkeit und gerechter Vermögensverteilung viele Stimmen erreichen. Warum überlässt man dieses Feld anderen Parteien?
Der Aufschrei „Empört euch!“ hallt in Österreich zwar nach, ist aber nicht deutlich zu hören. Diesen Aufschrei sehe ich in New York und in weiten Teilen Deutschlands, aber nicht hier zu Lande. Ich will niemandem zu nahe treten, aber bei der Occupy Demonstration in Innsbruck waren knapp 20 Menschen. Den Grünen ist es gemeinsam mit anderen in Innsbruck gelungen, 700 Menschen gegen ACTA zu mobilisieren. Die Aufgabe einer Partei ist es, und das steht auch so in der Verfassung, das Volk zu vertreten.
Ist der Leidensdruck in Österreich nicht hoch genug oder liegt es eher an einer Ausrede, dass die Grünen ihre Kernthemen an andere Parteien verloren haben?
Die Grünen haben ihre Themen nicht an andere Parteien verloren. Ich werde es an einem Beispiel handfest machen: Wenn man ein Auto verkaufen will, dann muss man erklären, dass es vier Räder hat, ein Lenkrad, dass es vor allem fahren kann und meinetwegen noch, dass das Auto gelb ist. Was man nicht erklären muss ist, wie die Einspritzdüse funktioniert. Wir Grünen erklären sehr gern wie die Einspritzdüse funktioniert. Deshalb versteht uns auch niemand. Universitätsprofessoren als Wähler allein werden auf Dauer nicht genügen.
Den Grünen wird auch vorgeworfen, sie hätten zwar gute Inhalte, könnten diese aber nicht nach außen kommunizieren. Sehen Sie das ähnlich?
Bei den Grünen existiert eine Scheu, dem Volk aufs Maul zu schauen. Diese Angst ist irrational. Man muss als Partei mit der Lebenserfahrung der Menschen mithalten. Wir sind immer so g‘scheit und Oberlehrerhaft, aber das interessiert die Leute nicht. Wir müssen ihnen zeigen, dass wir einer von ihnen und nicht abgehobene Politiker sind. Ich hatte so ein Erlebnis und das hat mich bis heute geprägt: Ich war mit ein paar Schützen im Stubai am Abend aus und je später der Abend wurde, desto größer wurden die Schnapsgläser. Irgendwann sagte der Schützenhauptmann zu mir: „Woascht wos? Du bischt zwoar a Antipatriot, ober du bischt ana von uns“. Es ist uns also gelungen, trotz unterschiedlicher Denkansichten, ein faires Miteinander aufzubauen. Das sollten die Grünen als Partei auch erreichen.
2006 zogen Sie als 22-Jähriger in den Innsbrucker Gemeinderat. Hatten Sie Schwierigkeiten, ernst genommen zu werden?
Man muss als Junger drei Mal so gut sein, wie alle anderen. Allen Jugendlichen wird in der Politik in erster Linie unterstellt, sie seien Deppen. Wenn man sie vom Gegenteil überzeugt hat, dann ist man ein Obergscheiter. Wenn beide Eigenschaften zutreffen, dann ist man lästig. Ältere Politiker haben ein Problem damit, wenn Jugendliche den Mund aufmachen. Wenn man also als junger Politiker erfolgreich sein will, muss man intelligent sein und den Mund aufmachen. Im Übrigen kämpfen junge Politiker bei den Grünen mit ähnlichen Problemen und Vorurteilen.
Welche Probleme und Vorurteile gibt es bei den Grünen?
Wir haben eine ökonomisch starke Generation, die nicht von ihren Posten loslassen kann. Die Leute sind länger gesund und arbeiten dementsprechend länger. Alle, die sich früher auf dem natürlichen Wege verabschiedet haben, sind heute noch im Amt. Das ist nicht per se etwas Schlechtes, aber das hindert sie daran, die Parteistruktur auf natürlichem Weg zu erneuern. Trotz aller Offenheit, die die Grünen haben, ist das ein Problem.
2008 wurden Sie als jüngster Landtagsabgeordneter für den Wahlkreis Innsbruck in den Tiroler Landtag gewählt. Welche Unterschiede gab es zwischen Gemeinderat und Landtag?
Sowohl im Gemeinderat als auch im Landtag wurde es als lästig empfunden, wenn junge Politiker den Mund aufmachen und durchdachte Dinge von sich gaben. Auf Dauer wird aber den alten Hasen nichts Anderes übrigbleiben, als einen Schritt zur Seite zu gehen und uns Jungen den Vortritt zu lassen. Es ist viel Arbeit, sich eine Position zu erarbeiten. Schließlich ist Politik eine Frage der Haltungen. Ganz gleich, wie alt man ist.
Als Sie den Fall Switak im Landtag an die Tagesordnung brachten, hat Sie der Landtagspräsident, Herwig von Staa, regelrecht mundtot geredet. Die Medien sprachen von einem Eklat.
Ich nehme zur Kenntnis, dass man im Landtag nicht alles sagen darf, was man sagen will, aber ich decke Ungereimtheiten und Skandale trotzdem auf. Es gibt den ernsthaften Versuch, Dinge zuzudecken, die nicht für die Öffentlichkeit bestimmt sind. Das wird von vielen ÖVP Funktionären gemacht, weil sie auch am meisten zu verstecken haben. Im Grundsatz unterliegt alles in Österreich einem Amtsgeheimnis. Alles, was passiert, ist in erster Linie geheim. Wenn man einen Grund hat, kann man die Amtsverschwiegenheit aufheben. Ich bin strikt dagegen, dass alles im vornhinein geheim ist, denn dadurch entstehen Schlupflöcher für alle, die in erster Linie an ihren eigenen Profit denken.
Nachdem Switaks Name im Zusammenhang mit Jagdeinladungen der Telekom auftauchte, ist er am 24.02.2012 wegen Korruptionsvorwürfen zurückgetreten. Ein Erfolg für Sie?
Ja, auch. Ein Erfolg für alle Beteiligten. Als meinen Erfolg sehe ich die Penthouse-Affäre, aber der Schritt zum Rücktritt wurde durch viele Beteiligte ermöglicht. Trotzdem blicke ich neidisch nach Deutschland, denn die deutsche Rücktrittskultur ist bewundernswert. In Österreich tritt man zurück, wenn es überhaupt nicht mehr anders geht. Da muss die Scheiße schon richtig am Dampfen sein.
Sie sind neben Ihrer Position als Tiroler Landtagsabgeordneter auch im Vorstand der Lesben- und Schwulenbewegung der Homosexuellen Initiative Tirol. In wie fern hat das einen Einfluss auf Ihre politische Agenda?
Es hat in Tirol vorher nie einen geouteten, schwulen Politiker gegeben. Mich haben viele 15 oder 16 jährige Jungs angerufen und mir gedankt. Ich hätte Ihnen durch meine Präsenz in der Landespolitik bei ihrem coming out geholfen. Schwule und Lesben brauchen nicht unbedingt eine Hella von Sinnen oder einen Alfons Haider. Sie brauchen jemanden vor Ort, damit sie zur Mama oder zum Papa sagen können: „Schau! Er ist auch schwul und trotzdem ein Mensch wie du und ich“.
Ihre sexuelle Orientierung wurde durch den ehemaligen FPÖ Abgeordneten Werner Königshofer zum Thema. Er hat Sie als „Landtagsschwuchtel“ bezeichnet.
Dieser Vorfall hat mich verletzt: Man ist gewohnt, dass Leute etwas unter Anonym in Foren posten und die weit verbreitete Homophobie in Österreich ist bezeichnend dafür, dass Schwule und Lesben noch lang nicht gleichberechtigt sind. Dass Werner Königshofer mich als „Landtagsschwuchtel“ bezeichnet, sagt mehr über ihn aus als über mich. Er kämpft nicht gegen Diskriminierung und strukturelle Homophobie an, sondern fördert sie. Das ist erschreckend für mich. Er hat sich nie bei mir entschuldigt, aber ich habe gewonnen. Königshofer ist nicht mehr in der Politik und ich schon.
In Ihrem Blog kritisieren Sie regelmäßig die Politik von Werner Königshofer und Matthias Venier.
Ich halte diese zwei Personen für besonders gefährlich. Venier betreibt auf einem niedrigen Niveau Hetze gegen Ausländer. Er kampagnisiert massiv gegen ein Flüchtlingsheim. Wenn man es als siebt reichstes Land nicht schafft, jenen wenigen Leuten zu helfen, die es bis nach Österreich geschafft haben, dann steht die Solidarität in Österreich am Abgrund. Da ist es gefährlich, wenn Politiker wie Venier mit so etwas Stimmung machen. Davor muss man Wähler schützen. Wenn man als Partei auf die Schwächsten einer Gesellschaft hetzt, dann kann die Stimmung schnell kippen. Im Prinzip ist jeder eine Minderheit: Ausländer, Schwule, Junge, etc. Deshalb steht jeder vor der Gefahr, innerhalb kürzester Zeit das Ziel solch einer Hetzpolitik zu werden.
Welche rechtlichen Ansprüche für homosexuelle Paare sollten in Österreich etabliert werden?
Wir haben in Österreich eins der schlechtesten Gesetze, was die eingetragene Partnerschaft in den westlichen Ländern betrifft. Es wird dafür eingesetzt, um die Diskriminierung fortzuführen, da es beispielsweise ein eigenes Personenstandsregister gibt. Für Lesben und Schwule gibt es eine Reihe von Verboten: Verbot der Fortpflanzungsmedizin, Verbot der Stiefkindadoption und so weiter. Daher fordere ich ganz konkret eine Gleichstellung im Ehegesetz und ein modernes Partnerschaftsgesetz für Homosexuelle.
Anfang 2012 haben Sie mit Ihrer Forderung, Glawischnig solle nach der Nationalratswahl 2013 zurücktreten, für einen Medienwirbel gesorgt. Ihr Nachfolger solle Georg Willi werden.
Das halte ich für ein Missverständnis. Ich habe nie gesagt, dass Eva Glawischnig zurücktreten soll. Ich glaube nach wie vor, dass Georg Willi geeignet für diese Position ist. Eva Glawischnig möchte ich dennoch nicht in Frage stellen. Sie macht bestimmte Sachen sehr gut, andere weniger gut, aber das ist normal. Wir haben 20 Nationalratsabgeordnete, aber selbst ich tu mir schwer, sie alle im Kopf aufzuzählen. Da sind wir wieder bei dem Kommunikationsproblem. Ich möchte, dass andere gute Grüne Politiker sich trauen, vor den Vorhang zu treten, denn das Glawischnig, Pilz und Kogler gut, kompetent und beliebt sind, wissen eh alle.
„Weder können wir uns dieser Kritik anschließen noch haben wir uns im Vorfeld darüber ausgetauscht“, teilten Klubobmann Georg Willi und Grünen-Landessprecherin Ingrid Felipe in einer Aussendung mit.
Diese Aussendung kannte ich, bevor sie ausgeschickt wurde und sie fand meine Zustimmung. Es ist völlig in Ordnung, dass andere Leute nicht meine Ansichten teilen und auch die Kritik, dass die Diskussion zur falschen Zeit – nämlich im Trubel des U-Ausschusses – angestoßen wurde, sehe ich ein. Eine Partei ist ein dynamischer Prozess und entsteht nur durch interne Kritik. Ich halte mich für lernfähig.
Welche Maßnahmen sollen die Grünen ergreifen, um bei der nächsten Nationalratswahl 2013 mehr Stimmen zu gewinnen?
Wir müssen uns trauen, Dinge konkreter zu benennen und mit mehr Nachdruck zu vertreten. Die Leute laufen den Grünen nicht nach, sowie sie auch nicht den Blauen hinterher laufen. Bei allem inhaltlichen Wahnsinn, gibt es in der FPÖ viele engagierte Politiker, die gut kommunizieren können. Die Methodik kann man sich abschauen, der Inhalt ist zum Schmeißen. Wir müssen mutiger sein.
- Gebi Mair
Lebenslauf
Gebi Mair wurde am 15. Jänner 1984 in Fulpmes, im Stubai als Sohn eines Schmiedes und einer Hausfrau geboren. Er besuchte das Bischöfliche Gymnasium Paulinum in Schwaz mit Internat. Er leistete Gedenkdienst in der KZ-Gedenkstätte Neuengamme, arbeitete als Skilehrer und mit wohnungslosen Jugendlichen zusammen. 2006 zog er für die Grünen in den Gemeinderat von Innsbruck ein, 2008 wählten ihn die InnsbruckerInnen als ersten, offen schwulen Abgeordneten in den Tiroler Landtag.