aus dem Sinn

Paradise Lost

Der Hunger nach Ressourcen geht immer mehr zu Lasten der Natur. Wie man die Erde vor der Zerstörung durch den Menschen retten kann, weiß niemand. Einen Meilenstein setzt Ecuador: dort plant die Regierung, Ölfelder im Regenwald unangetastet zu lassen, wenn die internationale Gemeinschaft dafür aufkommt. Das könnte der Beginn einer neuen Ära in der globalen Umweltpolitik sein. Das kleine Land erntet aber nicht nur Lob dafür.


1979

Yasuní wird zum Biosphärenreservat ernannt

September 2007

Vor der UN- Vollversammlung präsentiert Ecuador das Yasuní- ITT Projekt

2008

Als erstes Parlament sichert der deutsche Bundestag Unterstützung zu

November 2011

Deutscher Bundestag lehnt Unterstützung endgültig ab

Dezember 2011

100 Millionen Ziel laut Regierung erreicht

Jänner 2012

Ecuador vergibt neue Öl- Lizenzen

Auf einer Fläche so groß wie ein Fußballfeld, schwirren und krabbeln 100.000 verschiedene Insekten. Sattes grün strahlt von 220 verschiedenen Baum- und Pflanzenarten. Das ist der Yasuní Nationalpark, im Amazonasgebiet Ecuadors, an der Grenze zu Peru. Bereits 1979 wird Yasuní von der Regierung Ecuadors zum Nationalpark erklärt. Zehn Jahre später setzt die UNESCO das Areal als Biosphärenreservat fest. 
Dieses Ökosystem der Superlative, die westliche Amazonasregion, ist zum artenreichsten Gebiet der westlichen Hemisphäre erklärt worden:  „Die Karte zeigt die einmalige Artenvielfalt an Pflanzen, Vögeln, Säugetieren und Amphibien, die dieses Gebiet so einzigartig macht. Dafür haben wir große Datensätze aus mehreren Quellen ausgewertet“, sagt Holger Kreft von der Universität Göttingen.

Artenvielfalt Yasuní

Ecuador liegt wortwörtlich in der „Mitte der Welt“ genau am Nullpunkt des Äquators. Es ist nicht nur Heimat vieler Tiere und Pflanzen, auch indigene Amazonasvölker leben hier in völliger Isolation von der restlichen Welt. Sie sind Jäger und Sammler und entscheiden sich für das Leben abseits der Zivilisation. 

Öl im Paradies

Doch das ist nur die grüne Seite der Medaille. Die andere ist schmierig, pechschwarz und liegt unter der Erde. Riesige Erdölvorkommen lagern im Amazonasgebiet. In Ecuador wird seit mehr als vierzig Jahren Öl gefördert. Die Industrie macht selbst vor geschützten Gebieten nicht halt: etwa eine Million Hektar umfasst das Gebiet des Yasuní Nationalparks, davon sind 190.000 Hektar noch unberührt.
Die Ausbeutung der Öl- Ressourcen hat unwiderrufliche Folgen für  Mensch und Natur: Straßen müssen gebaut und Bäume gerodet werden. Das Trinkwasser wird verschmutzt. Die indigenen Völker sind davon besonders betroffen. Abseits von der Zivilisation lebend, haben sie bisher keine Antikörper gegen herkömmliche Grippeviren und andere Erreger aufbauen können. Wenn die Ölgiganten zu ihnen kämen, würde das für viele den Tod bedeuten.

Geld statt Öl

Aber es gibt Hoffnung. Die ecuadorianische Regierung unter Präsident Rafael Correa hat einen Plan vorgelegt, um einen Teil des Amazonasgebiets vor weiteren Bohrungen zu bewahren. Die Ölfelder Ispingo, Tiputini und Tambococha (ITT), ganz im Osten des Nationalparks, sind noch vollkommen unberührt.

Im September 2007, neun Monate nach Amtsantritt, präsentiert Correa vor der UN Vollversammlung folgenden Vorschlag: Wenn sich die Internationale Gemeinschaft bereit erklärt, die Hälfte des Betrages aufzubringen, den das Land Ecuador durch die Bohrungen erwirtschaften würde, bleibt das Öl im Boden und der Nationalpark erhalten.

Es geht um etwa 846 Millionen Barrel Öl (1 Barrel entspricht 159 Litern) – das reicht beim derzeitigen, weltweiten Tagesverbrauch von rund 85 Millionen Barrel Erdöl für 10 Tage. Etwa 7,2 Milliarden Dollar ist das schwarze Gold wert.  Viel Geld für Ecuador. Der 15 Millionen Einwohner Staat ist, trotz riesiger Erdölvorkommen, eines der ärmsten Länder Südamerikas. Der fossile Brennstoff ist das Hauptexportgut der Ecuadorianer.  Nach den Vorstellungen Correas, soll die Internationale Gemeinschaft 13 Jahre lang die Hälfte des Nettogewinns, etwa 3,6 Millionen Dollar, zahlen. Solidarität für die Umwelt.  

Positive Reaktionen

Das Geld wäre gut angelegt. Die Natur bliebe unberührt und das Weltklima weniger verschmutzt:  etwa 410 Millionen Tonnen an CO2 Emissionen würden eingespart werden. Das ist knapp fünf Mal so hoch, wie der Verbrauch Österreichs pro Jahr. Auf weitere 800 Millionen Tonnen CO2 in der Atmosphäre, könnte durch die umgangene Waldrodung verzichtet werden.  

Der Vorschlag Ecuadors an die Welt, stieß auf großes Interesse und fand viele prominente Unterstützer: neben dem UNO- Generalsekretär Ban Ki Moon sind Prinz Charles, Michail Gorbatschow, Desmond Tutu, Muhammad Yunus, Rita Levi Montalcini und viele andere bekannte Persönlichkeiten gegen die Ölförderung. Auch die EU und zahlreiche internationale Organisationen begrüßen den Vorschlag. Bis Ende 2011 sollten 100 Millionen US-Dollar aufgebracht werden, andernfalls, so die ecuadorianische Regierung, müsse mit der Ölförderung begonnen werden. 

Länder wie Spanien, Chile und die Türkei spenden für den Fonds, andere Staaten und regionale Parlamente geben teils symbolische Summen. Italien bietet Ecuador an, seine Auslandsschulden für den Fonds zu erlassen.
Österreich hingegen hat kein Geld in den Fonds gezahlt. Um Klimaziele zu erreichen, investiert man hier in internationale Klimazertifikate. Die zuständige Finanzierungsagentur Kommunal Public Consulting sagte gegenüber dem Klimabündnis Österreich, eine Unterstützung des Yasuní- ITT Projekts sei nur mit international gültigen Zertifikaten möglich. Der Yasuní- Fonds entspricht diesen Vorgaben aber bislang nicht. 

Auch viele andere Länder zögern - und blicken nach Deutschland. Die Bundesrepublik hat eine Schlüsselrolle für den Erfolg des Yasuní-ITT Projektes. Beobachter meinen, dass viele Länder ihre Zusagen an den Fonds von der Haltung Deutschlands abhängig machen.

Zunächst sah es vielversprechend aus: im Jahr 2008 stimmten sämtliche Parteien des Bundestages für eine Unterstützung des Projekts und die deutsche Regierung versprach Zahlungen von 50 Millionen Dollar jährlich an den Fonds zu erbringen. Die ecuadorianische Regierung ging auf Änderungswünsche, wie die Verwaltung der Gelder durch die UN- Entwicklungsorganisation ein, der Plan zur Rettung des Regenwaldes schien gesichert.

Yasuní Nationalpark

  • ©Joshua Bousel
  • ©Joshua Bousel
  • ©Joshua Bousel
  • ©Joshua Bousel
  • ©Joshua Bousel
  • ©Joshua Bousel
  • ©Joshua Bousel
  • ©Joshua Bousel

Niebel stellt sich quer

Doch dann kamen die Wahlen in Deutschland und Dirk Niebel wurde Bundesentwicklungsminister. Der FDP-Politiker, der zuvor noch dafür plädiert hatte, das Ministerium für Entwicklung und wirtschaftliche Zusammenarbeit abzuschaffen, gestaltet seitdem die deutsche Entwicklungspolitik nach seinen Vorstellungen. Dazu gehört auch, dass er die Yasuní-Initiative vehement ablehnt - nicht nur gegen den Widerstand der Opposition, sondern auch vieler seiner Parteikollegen. Er sehe keinen Grund, "finanzielle Mittel zum Unterlassen von Umweltschädigungen bereitzustellen - genauso, wie ich nicht einen Fonds als Belohnung dafür einrichte, dass vor Somalia keine Schiffe mit Lebensmitteln mehr von Piraten überfallen werden".

Im November 2011 lehnt der deutsche Bundestag Zahlungen in den Yasuní-Fonds endgültig ab. Minister Niebel will zwar Mittel für Ecuador bereitstellen, mit diesen aber herkömmliche Entwicklungsprojekte fördern und unter anderem auch für den Wald-Klimaschutz-Mechanismus REDDplus verwenden. Dessen Nutzen ist bislang noch umstritten, einheitliche Regelungen fehlen und indigene Organisationen fürchten um ihre Rechte.

Niebel hat immer wieder betont, er wolle "ganz bewusst keinen Präzedenzfall schaffen" und meint, eine Zustimmung Deutschlands würde dazu führen, dass auch Länder wie Saudi Arabien zukünftig Kompensationszahlungen für die Nicht-Förderung von Ölressourcen verlangen würden. Der Vergleich zwischen dem ölreichen Wüstenstaat und dem Entwicklungsland Ecuador hinkt gewaltig und verkennt, was das Yasuní-ITT Projekt tatsächlich für den globalen Umweltschutz bedeuten könnte: Ja, es wäre ein Präzedenzfall - einer, der einen revolutionären und präventiven Ansatz für den globalen Umweltschutz verfolgt und weit über die Mechanismen des Kyoto-Protokolls hinausgeht. 

Woher kommt das Geld?

Im Dezember 2011 verkündet die ecuadorianische Regierungsbeauftragte, Ivonne Baki, dass das vorläufige Ziel - 100 Millionen Dollar bis Ende 2011 - erreicht sei. Die Überraschung ist groß: in dem Yasuní Treuhandfonds scheinen bis heute lediglich rund 3 Millionen Dollar an Unterstützung auf. Es wird spekuliert, dass auch die zugesagten Gelder aus Deutschland (die dezidiert nicht an das ITT Projekt gehen) miteingerechnet sein könnten. 

In Ecuador selbst erfreut sich das Projekt überaus großer Beliebtheit. Allein bei der Zeitung „El Universal“, die ihren Sitz in der Hauptstadt Quito hat, finden sich mehr als 5000 Beiträge zu diesem Thema.  Im September 2011 organisierte die Regierung einen Spendenmarathon "Yasunízate", was mit "Vereinigt euch für Yasuní" übersetzt werden kann.  Es kamen über 2 Millionen US-Dollar an Spenden zusammen. 
Dass das Projekt weiterläuft, ist auch für die Regierung von Bedeutung. 

Doppelstrategie der Regierung

Anfang 2012 verkündet die Regierung Correas, dass neue Lizenzen zur Ölförderung im Amazonasgebiet vergeben werden. Die ITT- Region ist davon zwar ausgenommen - die betroffenen Gebiete allerdings sind rund zehnmal so groß. Vor allem chinesische Unternehmen könnten bei der Vergabe bevorzugt werden. So hat die chinesische Regierung bereits im Jahr 2009 günstige Kredite an Ecuador gewährt, im Austausch für rund die Hälfte des ecuadorianischen Erdöls.
Indes läuft das Yasuní- ITT Projekt weiter. In diesem Jahr sollen 291 Millionen Dollar gesammelt werden.
Anfang 2013 wählen die Ecuadorianer ein neues Parlament. Dass Rafael Correa sich wieder aufstellen lässt, ist beschlossene Sache.


FACTBOX

- 846 Millionen Barrel Öl im Wert von rund 7,2 Milliarden Dollar

-  Yasuní-Nationalpark ca. 1 Mio Hektar groß

- 190.000 Hektar im äußersten Osten Yasunís unberührt im Gebiet Ispingo, Tambococha, Tibutini  (ITT)

- Bei Nichtförderung: Einsparung von 407 Millionen Tonnen Ausstoß CO2 durch Verbrennung und 800 Millionen Tonnen COdurch die vermiedene Entwaldung

- Insgesamt 4000 Pflanzen-, 180 Säugetier-, 200 Reptilien- sowie Amphibien- und 570 Vogelspezies und pro Hektar rund 100. 000 Insektenarten. Darunter einige endemische und/oder vom Aussterben bedrohte Spezies

- Indigene Völker: Huaorani, Tagaeri und Taromenani

- Verwendung des Fonds: Investitionen in erneuerbare Energien (Wind, Solar, Wasserkraft), Aufforstung und Programme zur Erhaltung der Wälder, Bildungs- und Gesundheitsprogramme für die ärmste Bevölkerung