Pro & Kontra

Mein Kampf - Jetzt in Ihrer Buchhandlung

Die Wissenschaft ist seit langem dafür, Opfergruppen sprechen sich strikt dagegen aus: "Mein Kampf" und andere NS Hetzschriften sollen nun wiederveröffentlicht werden. Was dafür spricht - und was dagegen.


PRO

„Der böse Mann mit dem kleinen Bart ist noch gar nicht tot“, singt Jan Delay in einem seiner Songs. Tatsächlich wird uns Adolf Hitler wohl schon recht bald wieder von Zeitungen und auch Buchcovern finster entgegenblicken. Das Projekt „Zeitungszeugen“, betrieben vom britischen Verleger Peter McGee, publiziert schon jetzt nationalsozialistische Propaganda und Zeitungen wie das radikale Hetzblatt „der Angriff“ – kommentiert und erklärt von renommierten Historikern wie dem Antisemitismus-Forscher Wolfgang Benz. 

Am Abdruck von Passagen aus Hitlers 1925/26 erstmals erschienener Hetzschrift „Mein Kampf“, hinderte McGee jedoch der Rechteinhaber, das bayrische Finanzministerium. Dorthin fielen nämlich nach 1945 die Rechte auf Abdruck und Vervielfältigung zurück. Die Bayern reichten Beschwerde wegen vermuteter Urheberrechtsverletzung ein und erreichten vorerst eine Unkenntlichmachung der Passagen.

Wie gefährlich ist eine neue Konjunktur derartiger Publizität? Die Demokratie hierzulande wie auch in Deutschland sei gefestigt genug, das - schlecht geschriebene und in seiner Weltanschauung ekelhaft triviale - Buch würde niemanden mehr auf extremistische Gedanken bringen oder gar zu Taten anstiften, meinen nicht nur führende Historiker. Im Gegenteil, die Chance, dass durch wissenschaftliche Begleittexte breite Schichten über die Hintergründe von Hitlers Judenhass, seinen Antimarxismus wie Antikapitalismus und radikalen Nationalismus aufgeklärt werden könnten, sei ein Grund mehr für eine Wiederveröffentlichung einzutreten. Früher oder später wird das „unlesbare Buch“, wie es McGee spöttisch nennt, sowieso wieder in den Buchhandlungen verfügbar sein. 2015 ist Hitlers Selbstmord 70 Jahre her, die Urheberrechte verfallen, und damit kann jedermann das Buch neu auflegen. 

Um der spätestens 2016 zu erwartenden Welle von „Mein Kampf“ Paperbacks in den Buchläden die Dynamik zu entziehen, fordert das Münchner Institut für Zeitgeschichte schon seit langem eine kommentierte Neuauflage, die vor dem Rechteverfall erscheinen sollte. Bisher ohne Erfolg. Das hartnäckige Verbot ist Teil einer seit 1945 andauernden Tabuisierung des Buches und bekanntlich schafft alles Verbotene erst Recht Mythen und wird damit interessant. Wer die (stilistisch wie sprachlich äußerst primitive) Schreibe des „Führers“ wirklich lesen will, kann dies ohnehin bereits tun. Außerhalb Westeuropas, speziell im arabischen Raum, den USA wie auch in Osteuropa, ist „Mein Kampf“ ein Verkaufsschlager, es existieren unzählige Auflagen in verschiedenen Sprachen.

Auch im Internet kursieren Versionen. Auf amazon.com kann man neben der englischen auch die deutsche Ausgabe bestellen - Kostenpunkt 35 Dollar. „Wenn man wissen will, wieso der Holocaust passieren konnte, kommt man an der Lektüre dieses Werkes nicht herum. Mein Kampf muss gelesen werden, es dient uns als Erinnerung daran, dass das Böse viel zu leicht wiederauferstehen kann“, so der Klappentext. 

Letzte Woche tagte erstmals ein „Runder Tisch“ mit Vertretern des deutschen Finanz-, Wissenschafts- und Justizministeriums sowie mit Experten aus der Wissenschaft. Er soll den Umgang mit dem bisher verbotenen Buch regeln. Die Zeit ist wohl reif für seine Entmystifizierung. 

KONTRA

Auch wenn die Themen, Feindbilder und Agitationsweisen von Neonazis und Rechtsextremen heute natürlich völlig andere sind – die Vorstellung einer erneuten massiven Publizität von Propaganda aller Art verursacht ein mulmiges Gefühl. Die Sprache mag schwülstig und veraltet sein, der Rahmen historisch und ohne konkrete Bezüge zur Gegenwart, doch die „Rezepte“, die Hitler als Lösungen zu verkaufen sucht, sind teilweise von erschreckender Aktualität. Auch heute regiert der Pessimismus, die Angst, ein wachsender Antikapitalismus, das alles bietet den Rechten erneut die Chance, sich als die Männer mit den Lösungen zu präsentieren. In einer Zeit von diffuser Untergangsstimmung kommt auch die Stunde der selbsternannten Welterklärer. 

Eines der fatalsten Machwerke des 19. Jahrhunderts, die "Protokolle der Weisen von Zion", sind Grundbaustein der mächtigsten aller Verschwörungstheorien und auch heute noch – fragmentarisch – in fast allen Welterklärungsmodellen wie auch Hetzschriften zu finden. Umberto Eco, der sich selbst gegen Zensur ausspricht, hat mit seinem Roman "Der Friedhof in Prag" ein beeindruckendes Werk über Entstehung, Inhalt, Wirkung und Verbreitung dieser für den modernen Antisemitismus bedeutenden Fälschung vorgelegt. 

Schriften wie "Mein Kampf", die sich auf die nicht nur in Deutschland unter Volksverhetzung fallenden "Protokolle" stützen und sich vor allem in Bezug auf den vertretenen Antisemitismus dieses großen Verschwörungsmythos bedienen, ist mit rationalen Argumenten nicht beizukommen. Solche Texte sprechen emotionale Bedürfnisse an, sie richten sich nicht an den Intellekt, sondern an Grundhaltungen, subjektive Gefühle wie Angst, die Vorstellung, unterlegen zu sein oder bedroht zu werden. Feindbilder sind bekanntlich nur allzu leicht austauschbar. 

Die Frage ist also, ob es Sinn macht, derartiges verfügbar zu machen. Viel klüger wäre es, die Werke jenen zugänglich zu machen, die sich wissenschaftlich damit auseinandersetzten wollen, anstatt damit groß ins Geschäft zu kommen. Es geht dabei nicht darum, ein neonazistisches Schreckensszenario an die Wand zu malen, sondern darum, die Öffentlichkeit für geistigen Müll zu begrenzen. "Für die wissenschaftliche Forschung ist eine Neuauflage nicht notwendig", meint auch der Generalsekretär der Israelitischen Kultusgemeinde Wien, Raimund Fastenbauer. Verbote lösen nichts. Allgemeine Verfügbarkeit von verschwörungstheoretischer und radikaler Literatur wird aber kaum einen Bildungseffekt haben. Jedes Kind weiß: Mit dem Feuer spielt man nicht. 


Literaturempfehlung

Umberto Eco, Der Friedhof in Prag. Roman, Hanser Verlag, 2011. 

Wolfgang Benz, Die Protokolle der Weisen von Zion. Die Legende von der jüdischen Weltverschwörung, Reihe C.H. Beck Wissen, 2. Aufl. 2011. 

Fotocredit Startseite: Gennie Catastrophe © Flickr