Moskau

Warum Marc Zuckerberg sich beim FSB bedanken sollte


Mein Arbeitstag beginnt mit einem Blick auf Facebook, und zwar seit Dezember letzten Jahres. Erst danach schaue ich in die Nachrichtenagenturen, auf Nachrichtenportalen im Internet und blättere die Zeitungen durch. Am Tag der russischen Parlamentswahl waren die wichtigsten unabhängigen russischen Internetseiten mit einem Schlag blockiert: Die Homepage des Radiosenders Echo Moskvy, die Internetzeitung Gazeta, die Seite der Wahlbeobachtungsorganisation Golos, die führende Plattform der russischen Blogosphäre Livejournal und noch viele mehr. Die Seiten waren offline: Mit verschiedensten Techniken vom Bildschirm verbannt und mit einem klaren Ziel: Die Informationen über Wahlfälschungen und Wahlbetrug sollten sich nicht so schnell verbreiten, die Oppositionsbewegung ihre Aktionen nicht so schnell koordinieren können.

Die Seite, die funktionierte und an diesem Tag all diese Funktionen übernahm, war Facebook. Seither ist Facebook zur wichtigsten Nachrichtenquelle für die Moskauer Opposition geworden. In Gruppen wie "Wir waren am Bolotnaya-Platz und kommen wieder", "Liga der Wähler", "Grazhdanin Nabljudatel" und vielen anderen, werden Termine gepostet, Bilder veröffentlicht und das weitere Vorgehen disktutiert. 

Herr Zuckerberg - bitte übernehmen Sie!

Was in den geschlossenen Gruppen vorgeht, weiß niemand und vor allem nicht der Geheimdienst FSB. Auch viele Medien posten ihre wichtigsten Nachrichten inzwischen auf Facebook, von Echo Moskvy über die Novaya Gazeta bis zur Moscow Times. Lifestylemedien wie "Bolschoj Gorod", die ich auf Facebook bis dahin wegen ihrer Veranstaltungsankündigungen abonniert hatte, waren plötzlich voller politischer Meldungen und sind es noch bis heute. Hier einige Facebook-Bilder der letzten Wochen. 


Das "RUNet" bevorzugt russische Seiten

Russland ist kein einfacher Boden für ausländische Internet-Services. Neben China ist es der einzige große Markt, in dem nicht Google der meist genutzte Suchdienst ist. Platzhirsch ist Yandex  mit seinen vielen Unterseiten: Yandex-Maps, Yandex-Post, Yandex-Photo, Yandex-Fahrplan, Yandex-Taxiservice etc. Und bei den sozialen Netzwerken waren im russischen Internet - auch "RUNet" genannt, bisher die Facebook-Klons VKontakte und Odnoklassniki führend, beide mit großen Nutzerzahlen nicht nur in Russland selbst, sondern auch in vielen anderen ehemaligen Sowjetrepubliken. 

Die erste große russische Seite die zu schwächeln begann, war Livejournal, ein Äquivalent von Blogspot. Unter der Abkürzung ЖЖ - Живой Журнал war es lange Zeit fast ein Synonym für die russische Blogosphäre. Doch ЖЖ wurde fehleranfällig, mühseliger zu Bedienen, langsam, die in der Regel sehr langen Blogeinträge waren schwerfällig im Vergleich zu neuen Diensten wie Twitter oder Facebook. ЖЖ wurde außerdem immer wieder von DDos-Attacken zum Stillstand gebracht, in der Regel kurz nachdem dort  Informationen aufgetaucht waren, die dem Regime unangenehm waren. ЖЖ befindet sich daher im Niedergang. Auch ich habe meinen Blog dort vor kurzem aufgegeben um hierher auf die Seite von Paroli zu übersiedeln.


Der FSB will mitlesen

Auch Vkontakte und Odnoklassniku verlieren an Marktanteilen. Ihr Problem: Die Server und die Kontrolle über die Daten befinden sich in Russland und niemand hier glaubt daran, dass der Geheimdienst FSB nicht mitlesen kann, was in den geschlossenen Gruppen geschrieben wird. Pavel Durow, der Gründer von Vkontakte, ging zwar Mitte Dezember mit der Nachricht an die Öffentlichkeit, er werde den Anfragen des FSB nicht nachkommen, keine Nutzer-Daten weitergeben und auch keine Benutzergruppen sperren. Aber diese Ansage hat ihm bei den Nutzern  offenbar nicht viel genutzt. 

Die Gewinner im RUNet sind Youtube und Facebook, das zeigt die Netz-Analyse von Alexa ganz eindeutig. Youtube war schon davor populär, wurde zuletzt aber noch beliebter. Und Facebook, früher abgeschlagen auf den hinteren Plätzen, hat es inzwischen unter die Top-Ten-Seiten geschafft. Das hat einen einfachen Grund, wie der Journalist und Geheimdienstexperte Andrei Soldatov mir vor kurzem erklärt hat: Die beiden Seiten würden dem FSB ziemliches Kopfzerbrechen bereiten, meinte er. Sie seien nämlich nicht so einfach zu knacken.


Facebook abschalten - das will Putin (noch) nicht

Marc Zuckerberg sollte sich beim FSB also für viele neue Nutzer bedanken. Denn der russische Online-Markt boomt. Es nutzen zwar erst 40 Prozent der Russinnen und Russen regelmäßig das Internet, die jährliche Zuwachsrate lag zuletz aber bei sieben Prozent. Und kaum in einem anderen Land werden Soziale Netzwerke so stark genutzt wie hier, wie eine Analsyse des Warschauer Zentrums Für Ost-Studien zeigt: Wegen der Schwäche der traditionellen Medien sei das Internet für die Meinungsbildung in Russland besonders wichtig, der Staat habe zwar Möglichkeiten das Netz zu beeinflussen, allerdings nicht genug um es vollständig zu kontrollieren.

Es sei denn, der FSB schaltet Facebook in Russland einfach ab, ähnlich wie in China. Aber das würde der ganzen Welt zeigen, wie es um die Meinungsfreiheit im Land wirklich bestellt ist. Und einen solchen Skandal will sich Wladimir Putin offenbar (noch) nicht erlauben.


Der Skandal um die Punk-Band "Pussy Riot" wird inzwischen übrigens immer unappetitlicher. Inzwischen haben die orthodoxen Sittenwächter sich auch die Homosexuellen vorgenommen: Schon das Reden über Homosexualität soll unter Strafe gestellt werden. Dazu ein aktueller Beitrag von mir in der Zeit im Bild und auf meinem Lieblingssender Ö1. Funkhaus rules!


Factbox

FSB = Federalnaja Sluschba Sesopasnosti Rossijskoj Federazii = russischer Geheimdienst

wörtlich übersetzt: Föderaler Dienst für Sicherheit der Russischen Föderation