Moskau
Photoshop, erhöre uns!
Die Orthodoxe Kirche hat ein immer größer werdendes Problem mit ihrer Glaubwürdigkeit
"Die Führung der orthodoxen Kirche ist sehr eng mit der Staatsführung verbunden. Wenn die Bevölkerung mit der Regierung zufrieden ist, muss sich deshalb niemand größere Gedanken machen. Aber wenn die Bevölkerung unzufrieden wird, wird das auch für die Kirche zum Problem." Diese, aus heutiger Sicht, fast prophetische Einschätzung, stammt vom Religionswissenschaftler Boris Falikov, mit dem ich für die TV-Sendung Orientierung Anfang Februar ein Interview gemacht habe. Damals war die Kirche noch unter dem Eindruck der so genannten Schnee-Revolution und versuchte sowohl bei Putin als auch bei den Demonstranten Punkte zu sammeln. Kurz darauf entschied sich die Kirchenführung ganz auf Putin zu setzen. Es folgten, mehr oder weniger offene, Unterstützungserklärungen.
Dann passierte der Skandal um die Band Pussy Riot, bei dem offensichtlich wurde, wie eng die Spitze der Kirche und des Staates zusammenarbeiten. Was Falikov erwartet hatte, traf auch ein: Der Zorn der Protestbewegung begann sich gegen die Russisch-Orthodoxe Kirche zu wenden. Sehr ähnlich übrigens die Einschätzung des Künstlers und Aktivisten Dmitrij Gutow, den ich für Ö1 interviewt habe. Die Russen würden alle hassen, die die Staatsmacht für ihre eigenen Zwecke benützen. Daher rechne er mit einem starken Anstieg der anti-klerikalen Stimmung in Russland.
Der Patriarch und seine Uhren
Nach der Verhaftung der jungen Frauen von der Band Pussy Riot, flutete eine ganze Welle von kompromittierendem Material über die Kirche durch das russische Internet. Der Kirchenführung wird schon länger ein nicht unbedingt asketischer Lebensstil nachgesagt, der sich etwa in einer 36.000 Dollar Uhr der Schweizer Marke Breguet zeigt, die Patriarch Kirill gerne trägt. Erstmals aufgefallen ist die Uhr als Kirill während der Wirtschaftskrise in der Ukraine zu Bergarbeitern sprach und sie aufforderte, die schwierigen Zeiten geduldsam zu ertragen - mit einer 36.000 Dollar-Uhr am Handgelenk.
In einem Interview wurde er auf seine Uhr angesprochen, worauf er behauptete, so eine Uhr nicht zu besitzen. Und frei nach 1984 - wer die Vergangenheit kontrolliert, kontrolliert auch die Gegenwart - wurden auf der offiziellen Homepage Patriarchates die Bilder, die den Kirill mit der Uhr zeigen, "nachbearbeitet". Allerdings etwas schlampig.
Auf einem der Bilder wurde beispielsweise die Uhr entfernt, aber nicht ihre Spiegelung auf der Tischplatte. Im Internet ergoss sich daraufhin Spott und Hohn über den manipulierenden Patriarchen. Das oberste Bild ist das Original mit Uhr. Das zweite Bild war auf der Homepage des Patriarchates zu sehen, ohne Uhr. Anlass genug für die kreative, russische Internet-Gemeinde, weitere Bilder zu kreieren.
Die Angelegenheit wurde innerhalb von zwei Tagen sogar der Kirchenführung unangenehm. Es sei ein "peinlicher Fehler" passiert, der nicht auf eine Anweisung von oben zurückzuführen sei,, sondern auf eine einfache Mitarbeiterin, die übrigens keine Nonne war sondern eine normale Angestellte. "Die junge Frau werde streng bestraft", lautet die offizielle Erklärung des Patriarchen. Aber zu spät. Wer in Google oder Yandex die Stichworte кирилл часы eingibt (Kirill Uhr), findet dutzende peinliche Bilder. Kirill mit Uhr bei allen möglichen Gelegenheiten oder mit seinem Freund und ebenfalls Uhren-Liebhaber Wladimir Putin. Auf dem Bild lehnt sich Putin zu Kirill und fragt: "Hör mal, was hast du denn da für eine Uhr?" "Aber Vova", entgegnet der Patriarch, "Das ist doch alles nur Photoshop!"
Die Geschichte von der Uhr ist nur eine von vielen. Wild spekuliert wird über die Frage, wer denn die Frau ist, die schon seit Jahrzehnten in der Wohnung des Patriarchen gemeldet ist (Orthodoxe Bischöfe sind Mönche und dürfen folglich nicht verheiratet sein). Missbrauchsfälle in kirchlichen Kinderheimen werden diskutiert, ein Kindergarten muss schließen, weil das Gebäude an die Kirche rückerstattet wird, etc.
Die Kirche hat, durch die enge Verbindung zum Staat, wieder Macht, Besitz und Einfluss. Moralische Autorität hat sie allerdings keine mehr. Amnesty International hat die jungen Frauen von Pussy Riot vor kurzem zu "Prisoners of Conscience" erklärt. Auch zu Sowjetzeiten gab es politische Gefangene, viele von ihnen wurden wegen ihres Glaubens und der Zugehörigkeit zur Kirche verfolgt. Man könnte meinen, dass da jemand aus der Geschichte nichts gelernt hätte.
Noch ein Hinweis: Ich möchte alle bitten der Facebook-Gruppe "Rettet das Funkhaus" beizutreten! Die ORF-Geschäftsführung hat angekündigt die drei Wiener Standorte zusammenzulegen, also Küniglberg, Funkhaus und Ö3. Glaubt man den in Medien kolportierten Plänen und Berechnungen wäre eine Auflassung des Funkhauses mit deutlichen Personaleinsparungen verbunden und zwar gerade in dem Bereich, in dem der öffentlich-rechtliche Auftrag eindeutig erfüllt wird: Dem ORF-Radio. Beim Radio kracht es schon jetzt an allen Enden, weitere Einsparungen bedeuten Verschlechterung der Qualität. Und das wäre wirklich ein großer Verlust!
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