Reportage
Der durchsichtige Bewerber
Unternehmen verlangen immer öfter von Bewerbern exakte Sozialversicherungsdaten – diese können aber heikle persönliche Details enthalten. Ein Beweis, dass Daten mehr zählen als die Menschen dahinter?
Herr K. sucht einen Job. Er bewirbt sich bei einem großen Unternehmen der Finanz- und Versicherungsbranche, schickt Bewerbungsunterlagen, wird zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen und dort über seine bisherigen Jobs befragt. Abschließend wird er dazu aufgefordert, einen Sozialversicherungsdatenauszug zu senden. Herr K. bekommt den Job nicht. Ob es daran liegt, dass er diese Daten nicht hergeben will, kann er nicht sagen. Herr K. will jedenfalls nicht, dass jemand weiß, dass er über einen längeren Zeitraum an einem Projekt für Langzeitarbeitslose teilgenommen hat und dass er mehrere Monate wegen einer Suchterkrankung nicht arbeitsfähig war. Genau das kann einem solchen Sozialversicherungsdatenauszug aber entnommen werden.
Was steckt überhaupt hinter diesem Wortungetüm? Es handelt sich um eine Auflistung aller relevanten Daten, die die Sozialversicherungsträger – also etwa die Gebietskrankenkassen – über eine Person gesammelt haben. Offiziell wird das so ausgedrückt: „Dieser Auszug ist wie ein Kontoauszug – er zeigt jedoch keine Geldbeträge, sondern Versicherungszeiten: Alle Zeiträume, in welchen man versichert war.“ (sozialversicherung.at). Das bedeutet aber: Auch Zeiten längerer Arbeitslosigkeit oder längere Krankenstände sind darin zu sehen. Nur die jeweilige Person kann einen solchen Auszug bei ihrer Sozialversicherung ausheben lassen, das geht beispielsweise über das Internet rasch, problemlos und kostenlos.
- © Robert Prazak
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Herr K. ist kein Einzelfall: Immer öfter werden Bewerber aufgefordert, diese Daten vorzulegen. Drei Beispiele für viele sind die Firmen Spar, Allianz und Swarovski. Die Handelskette Spar (Slogan: „Die Mitarbeiter sind die Quelle unseres Erfolges.“) schreibt bereits bei Stellenausschreibungen im Internet, dass ein solcher Auszug zu bringen ist. Weshalb? Unternehmenssprecherin Nicole Berkmann: „Wir brauchen diesen Auszug ausschließlich deshalb, um die Vordienstzeiten korrekt zu berechnen, damit wir die Einstufung richtig vornehmen können.“ Nicht jeder Bewerber habe für jede seiner früheren Beschäftigungen ein Dienstzeugnis. Tatsächlich hört man dieses Argument von den meisten Unternehmen: Es geschehe wegen der korrekten Einstufung. Wieso dann früher ein Lebenslauf oder eben Dienstzeugnisse (die jeder Arbeitgeber ausstellen muss) ausreichten, wird allerdings nicht gesagt.
Auch bei der Allianz werden Sozialversicherungsdaten eingefordert. Sprecherin Elisabeth Rashid über den Grund: „Weil die Angaben in den Bewerbungsunterlagen oft nicht lückenlos sind.“ Als Finanzdienstleister müsste man aber „besondere Sicherheitsstandards“ anlegen im Hinblick auf eine „spätere Vertrauensposition im Kundenkontakt.“ Der Bewerber wird durchsichtig – auch Kristallglashersteller Swarovski will zukünftige Mitarbeiter ganz genau betrachten können: „Bewerber sind angehalten, lückenlose Angaben zum bisherigen Lebenslauf zu machen“, antwortet Sprecherin Silke Artner auf eine entsprechende Anfrage von paroli-magazin. Die Angabe eines Sozialversicherungsdatenauszugs sei aber „absolut freiwillig“. Allerdings wird von Swarovski bei den im Internet angebotenen Stellen klipp und klar angegeben, dass man sich „vor der Bewerbung“ einen solchen Auszug besorgen solle.
Was also sollten Bewerber tun? Irene Holzbauer, Leiterin der Abteilung Arbeitsrecht der Arbeiterkammer: „Ein solcher Auszug kann ein Nachteil sein, etwa wenn Zeiten der Arbeitslosigkeit aufscheinen, aber auch ein Vorteil, weil die Einschätzung erleichtert wird.“ Es gebe keine Verpflichtung, etwas vorzulegen. Bei der Wiener Gebietskrankenkasse wurde beobachtet, dass solche Versicherungsdatenauszüge tendenziell stärker nachgefragt werden, nicht nur für Bewerbungsgespräche, sondern auch für andere Zwecke wie eine mögliche Kreditaufnahme. Ursprünglich liege der Sinn jedoch darin, dass Arbeitnehmer einen Nachweis über ihre Versicherungszeiten haben sowie die Sicherheit, dass sie korrekt angemeldet waren oder sind. Evelyn Holley-Spieß, Sprecherin der Wr, Gebietskrankenkasse: „Der Versicherungsdatenauszug soll eigentlich dem Arbeitnehmer dienen. Richtig ist, dass der Datenauszug das Erwerbsleben des Einzelnen widerspiegelt und damit etwa auch Zeiten der Arbeitslosigkeit und des Krankengeldbezugs ausweist.“
Problematisch können solche Auszüge etwa für Personen mit chronischen Krankheiten oder mit einer Suchtproblematik sein – bei ihnen gibt es Lücken im Lebenslauf. Auch die Teilnahme an Projekten für Langzeitarbeitslose oder Gefängnisaufenthalte können zu solchen Lücken führen. Früher reichte es, wenn man bei einer Bewerbung das vorlegte, was man vorlegen wollte, den Rest ließ man einfach weg. Heute wollen die Unternehmen eine lückenlose Aufstellung des Bewerberlebens von der Schul- bis zur Jetztzeit. Vielen Menschen wird damit die Rückkehr in die berufliche, ja in die gesellschaftliche Normalität versperrt.
Hans Zeger, Obmann der ARGE Daten, stellt klar: „Das ist ein klassischer Interessenskonflikt.“ Fragen könne ein Unternehmen ja nach Vielem, der Bewerber kann aber Auskünfte verweigern, wenn diese unzumutbar scheinen. „Dann darf man sogar lügen“, sagt Zeger. Jedenfalls gehöre das Begehren nach Sozialversicherungsdaten im Arbeitsrecht geregelt. „Es ist unzumutbar, dass der Schwächere ausgenützt wird.“ Theoretisch könnte sich ein ausgesiebter Bewerber rechtlich dagegen wehren, wenn er ausgesiebt wurde, weil er seine Daten nicht preisgeben wollte; die Beweislage wäre aber kompliziert.
Was passiert, wenn die Daten nicht überbracht werden, machen die Unternehmen deutlich: Bei Spar heißt es, bisher habe sich noch kein Bewerber verweigert, man habe „nur Erfahrungen mit Bewerbern, die daran interessiert sind, korrekt eingestuft zu werden“. Bei der Allianz sieht man die Daten als Voraussetzung, da es um die bereits erwähnten „Sicherheitsstandards“ gehe. Für Hans Zeger ist das Verlangen nach den Sozialversicherungsdaten symptomatisch für etwas, das er als „Scoring-Gesellschaft“ bezeichnet. „Man ersetzt Handeln durch Listen und beschafft sich von unterschiedlichen Quellen Informationen über den jeweiligen Menschen.“ Das sei eine Art „Vorurteilsforschung“. Dabei sagen Statistiken wenig aus über den Menschen dahinter. Aber vielleicht ist der Mensch hinter dem Lebenslauf gar nicht interessant – was zählen sind Fakten, Fakten, Fakten.