Paroli
Wiener Momente
Wenn man auf dem Land aufwächst, hört man selten ein gutes Wort über Wien. Wenn „Wien“, dann im Zusammenhang mit „Sozi-Gfraster“ oder „groß-kopferten Politiker-Bonzn“. Zu den Wiener Energieferien im Februar verdunkeln sich die Mienen der Einheimischen in Wintersportorten in ganz Österreich. Vielleicht wollte ich deshalb auch nie nach Wien. Zum Studium nur nach Innsbruck, da wo die Berge sind und die Welt noch in Ordnung. Es kam doch anders und ich fand mich in der Reihe zum Inskribieren an der Uni Wien wieder.
Die Stadt und ich hatten einen schwierigen Start und dieser wollte auch im zweiten Jahr nicht zu Ende sein. Vielleicht bin ich auch ein bisschen naiv an die Sache herangegangen. Dass man Straßenbahnen per Zuwinken zum Anhalten bewegen kann, wie mir Ortskundige versicherten, stellte sich als falsch heraus. Noch immer überkommt mich ein kalter Schauer, wenn ich das Dauerklingeln einer Straßenbahn höre, auch wenn ich jetzt nicht mehr wild gestikulierend am Straßenrand stehe und mich fast vor die Garnitur werfe.
In Wien kann man lebenslanges Lokalverbot in einer Trafik bekommen, weil die Jausensemmel die Zeitungen voll bröselte. Hier blockieren Taxifahrer gerne mal die Straße, um aus dem Auto herauszuspringen und „Faustwatschen“ anzu drohen, nur weil ihnen mein Fahrradfahrstil nicht behagt.
Am schlimmsten ist aber der Wind. Ich habe ihn „pannonischen Wind“ getauft. Ständig bläst aus Nordwest die kalte Luft. Im Winter ist es noch schlimmer und wenn es im Sommer einmal warm wäre, muss ich mir trotzdem einen Pullover anziehen. Plötzlich ist Stille. Windstille. Biegt man aber dann um die nächste Hausecke, schlägt einem der kalte Wind wieder ins Gesicht.
Dann war ich letztes Jahr weg. In China, fernab der zivilisierten Küste im Hinterland, das in vielen Aspekten Mordor ähnlicher ist, als es die Vorstellung von der aufstrebenden Wirtschaftsmacht zunächst vermuten lässt. Die Stadt meiner Wahl lag mitten in der Wüste, Temperaturen fielen auf minus 20 °C und die Fenster waren eher dazu gedacht, die Fliegen draußen zu halten als die Wärme drinnen.
Ich kehrte nach Wien zurück. Warm, ruhig und verschlafen präsentierte sich das Städtchen im Gegensatz zu der Sauron-Version des Ruhrpots von vor 30 Jahren, in der ich die letzten Monate verbracht hatte. Sanft streichelte mich die „panonnische Sommerbrise“. Die Menschen am Gepäcksband am Flughafen prügelten sich nicht um die Plätze ganz vorn und beim Einsteigen in die U-Bahn dürfen die Menschen zuerst aussteigen, bevor alle anderen einsteigen. Die Taxis sind hier zwar teurer, die Fahrer haben in Wien dafür nicht so viele „Cousins“, die Tee zum „besten Preis“ verkaufen.
Heute, weniger naiv und gelassener, sind Wien und ich gute Freunde geworden. Innsbruck ist ganz nett, aber dieser ständige Föhn...
Schickt uns eure "Wiener Momente"
Jeder hat sein eigenes Wien. Jeden Tag kann es uns begegnen, wenn wir die Augen offen halten. Ab dem 16. April fängt im Format mæp'tɛkst die Fortsetzungsreihe "Wiener Momente" an. Wiener Momente sind skurril, lustig aber auch kurios. Schick uns ein Foto von deinem Wiener Moment an chefredaktion@ Können wir gemeinsam ein neues Bild von Wien zeichnen? paroli-magazin.at