Interview

"Ich zimmere die Musik aus der Stille heraus."

Zanshin (im bürgerlichen Namen Gregor Ladenhauf) ist eine Hälfte des Straßenfeger-Exportschlagers "Ogris Debris" und sprach mit Karl Schönswetter über Musik, sein Soloprojekt, über Japan und warum elektronische Musik auch mal eine Portion "Melancholie" verträgt.


Zanshin. Das klingt exotisch. Ich habe hier die Assoziation mit Japan, Samurais und ernsten Gedanken. Wie kommen Sie auf diesen Namen?

Konkret auf den Namen kam ich beim Studium eines Buches über japanische Kultur. Im Prinzip bedeutet der Begriff, dass man sich konzentriert, ohne sich zu konzentrieren. Diese Idee ist für mich wahrnehmungspsychologisch sehr interessant, weil man als Musiker oft nicht in der Lage ist, Musik wirklich zu genießen. Man zerlegt die Tracks, versucht hinter die Struktur zu kommen und vergisst dabei oft die Wirkung des Werks. Ich will mich daran erinnern, Musik unbelastet zu genießen.

In der Zeit, als ich Zanshin kennengelernt habe, war Japan richtig in Mode. Ich erinnere mich da beispielsweise an die Referenzen von Photek oder Source Direct, die ihren Drum & Bass auch immer mit der Ästhetik des Samurai-Kampfes verbunden haben.

Nicht nur bei Drum & Bass war das so, auch im Hip-Hop war es nicht irrelevant. Ich erinnere mich sehr gut daran, wie ich nach dem Kinobesuch von "Ghost Dog" auf dem Weg nachhause lange über das Thema nachgedacht habe. Es kommt bei mir noch hinzu, dass "Gregor" aus dem griechischen kommt und "der Wachsame" bedeutet. Ich habe einfach ein Faible für diese Art der Konzentration, die es braucht, um Kunst erfahren zu können.

Konzentration ist ein gutes Stichwort. Ihre Tracks sind für das Publikum ja auch immer eine Art von Herausforderung. Genießen Sie das?

Zanshin-Tracks sind nichts für das "nebenbei Hören". Meine Musik erfordert schon eine gewisse Aufmerksamkeit. Aber ich produziere nicht auf die Komplexität hin. Das wäre übertrieben. Bei "Ogris Debris" arbeiten wir zu zweit und als Zanshin mache ich vor allem das, was mir Spaß macht. Das heißt weniger Kompromisse. Für mich waren Dinge immer interessanter, wenn sie mich herausgefordert haben. Ein Track, den ich nicht gleich verstehen konnte, war für mich immer das, was mir letztendlich am meisten gebracht hat. Von solcher Musik habe ich immer viel gelernt. Aalglattes ist einfach generell nicht meins.

Sie haben die Arbeit bei Ogris Debris angesprochen. Fans haben schon eine gewisse Erwartung an Tanzflächentauglichkeit. Ist es schwierig, mit dieser Erwartung im Hintergrund, einen Zanshin Live-Act zu spielen?

Ich mache Zanshin schon länger. Dieses "Problem" wäre ich jetzt also schon gewohnt. Ich würde es auch vermessen finden, wenn ich vom Publikum erwarten würde, dass sie jetzt auf Zanshin genauso reagieren, wie auf Ogris Debris. Das wäre eigenartig, oder? Wenn man an den Grenzen der Massentauglichkeit arbeitet, kommt man wohl manchmal zu früh, das muss man als Produzent auch akzeptieren. Das liegt in der Natur der Sache und würde ich nur mit der Motivation von ewiger Euphorie auf die Bühne gehen, dann hätte man doch gleich verloren. Wollen wir wirklich nur gefallen? Im Übrigen machen wir das ja bei Ogris Debris auch nicht!

Ich kenne Zanshin Tracks schon sehr lange, habe Sie aber eine Zeit aus den Augen verloren und höre auf dem aktuellen Album viel von dem, was ich schon gekannt habe. Ist Zanshin ein sehr persönliches Werk?

Das heißt dann wohl, dass ich so etwas wie eine eigene Handschrift gefunden habe! Viele Leute, die mich wirklich gut kennen, sagen, dass Zanshin gut zu mir passt. Ich finde es auch lustig, dass diejenigen oft Ogris Debris Sachen nicht akzeptieren, weil sie sofort die Show erkennen. Zanshin liegt wohl wirklich sehr nah bei mir, das liegt vielleicht an der Art und Weise, wie ich Zanshin-Tracks produziere.

Wenn ich mir Zanshin als Kunstfigur so vorstellen müsste, dann wäre das für mich jemand, der ernst ist. Wie kommt es zu dieser Stimmung, die Ihre Musik uns vermittelt?

Das sehe ich gar nicht so. Aber darüber denke ich wohl nicht viel nach. Ich weiß nur, dass viel Musik, die ich höre, kein Augenzwinkern braucht und eine konzentrierte Art der Kunst präsentiert. Auch bei Depart (ein weiteres audio-visuelles Projekt von Gregor Ladenhauf, Anm.) bedienen Leo und ich gerne mal düstere Themen. Vielleicht entspringt dies einer gegenwärtigen Notwendigkeit. So viel in der Clubkultur ist Euphorie. Das ist aber nicht der Mensch. Für mich ist Kunst ja auch mal gut, wenn sie mich überwältigt, sie muss mich nicht immer nur unterhalten. Ich vergleiche das gerne mit einen Gewitter. Das ist auch recht eindrucksvoll, hat etwas Düsteres und Dunkles und trotzdem viel Power. So kann auch Kunst für mich wirken. Wenn wir ehrlich sind, ist der Euphorielevel in der Clubkultur derzeit so hoch, dass es, um als dark oder düster zu gelten, schon vollkommen ausreicht, einfach ganz normal zu sein. Wenn ich selber dann mal etwas schreibe, das versucht ganz happy zu sein und ich mir es dann ein paar Tage später nochmal anhöre, dann sage ich mir oft "na, das passt jetzt irgendwie nicht." Ist wohl nicht so meins.

Wie schreiben Sie Ihre Nummern überhaupt? Wie ist Ihre Herangehensweise bei der Produktion der Tracks?

Ich sehe mich eigentlich als Bildhauer. Ich zimmere die Musik aus der Stille heraus. Manchmal gibt es Ideen, die halte ich mit einem Field Recorder fest, aber diese Schnipsel sind nur Gewürze meiner Nummern. Im Prinzip arbeite ich mit Sounds. Ich denke mir, dass gewisse Sounds die Musik schon in sich tragen, ich meine damit, dass ich mir oft sicher bin, dass ich mit einem gewissen Sound gar keine andere Melodie hätte spielen können, als ich es letztendlich dann getan habe. 

Das hört sich sehr spielerisch an. Darf Kunst aus dem Zufall entstehen?

Zufall? Was ist das? Schon Bach hat gesagt, dass die Musik da ist und man sie nur richtig erwischen muss. Wenn ich den Regler in einem Moment nach links drehe, ist das dann der Zufall von dem du sprichst? Das wird sofort eine philosophische Frage. Nur weil ich das Handwerk beherrsche, heißt das ja nicht, dass ich mit dem Material nicht spielen darf. Trial and Error ist eine Strategie, die unser Leben schreibt. Niemand kann von vornherein alles. Ich kann mir schwer vorstellen, dass Kunst so etwas Geplantes ist. Ich glaube nicht, dass es per se etwas Neues gibt, es kommt darauf an, aus bestehendem Material etwas zu machen. Es gibt den Spruch "Wenn du einen Fehler machst, dann wiederhole ihn so lange, bis man glaubt, es war Absicht!". Ich halte Fehler für eine gute Sache. Alles wäre sonst so glatt und vorhersehbar!

Wie sieht bei Ihnen das Verhältnis zwischen Produktion und Live-Act aus?

Ein Album ist für mich schon ein abgeschlossenes Ding. Das hat einen Bogen und wird als Werk präsentiert. Daher spiele ich Live keine Albumtracks. Leider ist es heutzutage oft ganz üblich als Live-Act, einfach den Play-Button zu drücken und es dabei zu belassen. Mich interessiert das nicht, mir ist es wichtig, dass der Live-Auftritt für mich immer eine Art von Challenge ist. Ich verwende das Material meiner Tracks wie ein Orchester und Live bin ich dessen Dirigent, der versucht, den Sound zu bändigen. Es freut mich, dass es derzeit in den Clubs wieder mehr broken beat Sachen gibt. Diese Ästhetik macht es einem einfacher, ein bisschen mehr Experiment zu wagen, weil die Struktur der Tunes offener ist. 

Sie erwähnen Broken-Beat. In den letzten Jahren hat Dub-Step dazu beigetragen, die Clubkultur wieder toleranter sein zu lassen.

Ich muss zugeben, dass ich Dub-Step eigentlich für ein Monster aus London hielt, dass sich selbst wieder auffressen würde. Es überrascht mich, dass dieser Stil so lange überlebt hat. Für mich ist Dub-Step ein ganz eng umrissener Stilbegriff und es gibt da das Problem, dass viel unter dem Label Dub-Step verkauft wird. Ich finde es schade, dass viele Dub-Step Produzenten, wohl aus nachvollziehbaren wirtschaftlichen Gründen, gezwungen sind, ihre Nummern mit Pop-Appeal auszustatten. Für mich ist Dub-Step oft so ein Style, der einen so anschreien muss. Das hängt vielleicht auch mit der jugendlichen Energie zusammen.

Steckt viel Pop in diesen Tracks?

Nicht bei allen. Ich frage mich nur, was aus den Zeiten geworden ist? Hier hat sich im Musikgeschäft viel verändert. Ich kann mich gut daran erinnern, dass es sich elektronische Musik vor ein paar Jahren noch erlauben konnte, auf Pop vollkommen zu verzichten. Auch Melancholie war noch erlaubt. Ich denke an Squarepusher und an Portishead - da war viel möglich. Ich merke es ja selber, wenn ich mich als DJ auf einen Club-Abend vorbereite. Flächige Tunes, düstere Sachen nehme ich gar nicht erst mit, ich weiß von vornherein, dass diese Tracks nicht funktionieren werden. Damit bin ich wohl auch selbst, Teil dieser Entwicklung.

Ich erinnere mich sehr gut an den Auftritt von Dark Star im WUK, der überhaupt nicht funktioniert hat.

Ich war nicht dort, aber ich habe auch gehört, dass das nicht funktioniert hat. Ein Veranstalter muss Künstlern schon auch ein Setting schaffen, damit ihre Kunst sich entwickeln kann. Umgekehrt finde ich es sehr schade, dass dieses Aufbereiten heute so notwendig geworden ist. Wieso ist man als Publikum im Club nicht auch mal in der Lage, einfach nur zuzuhören?

Noch einmal zurück zu Ihrem Album. Woher die ganzen eigenartigen Namen?

Ich habe immer schon gerne mit den Worten gespielt. Ich möchte, dass die Titel meiner Nummern schön sind, immerhin habe ich lange an ihnen gearbeitet! Ich habe eine große Affinität zur englischen Sprache und daher kommt es wohl zu diesen Worten, "Shadoubt Shaps", "Jinxed Sphinx" oder "Umps Unzin". Ich bin ein wenig inspiriert von Autechre. Die haben z.B. einen Tune, der heißt "Second Bad Vilbel". "Bad Vilbel" ist ein Ort in Deutschland, sie haben das Ortsschild mal bei einer Tournee entdeckt. Durch "Second" wird aus dem "Bad" aber das engl. "bad" (schlecht). Ich mag diese Spiele. So wie bei meinen Tracks, sind die Buchstaben und Worte das Material, aus denen etwas Neues geschaffen wird.


  • Zanshin @ Pratersauna (Live-Act)

Discographie

The Humdrum Conundrum EP [aff 007]

Rain Are In Clouds [aff 008]

  • Albumcover "Rain Are In Clouds"