aus dem Sinn

U wie Unmoral

Eigentlich sind sie das schärfste Kontrollinstrument des Parlaments, in der Realität scheitern sie aber an sich selbst: Untersuchungsausschüsse. Moralansprüche und Ergebnisse verschwinden meist in der Versenkung eines politischen und medialen Verwirrspiels.


1949
Der erste Untersuchungsausschuss der Zweiten Republik 

1966
„Strengberg“-Affäre und zweiter U-Ausschuss

1980
Schmiergeld-Affäre beim Bau des AKHs wird untersucht

1988
Der „Fall Lucona“ wird Gegenstand eines U-Ausschusses

1989
„Noricum-Skandal“ wird zum Untersuchungsgegenstand

2006
Eurofighter-Beschaffung wird Thema im Parlament

2006
Banken-Ausschuss zu BAWAG und Hypo Alpe Adria

2008
Untersuchungsausschuss zu "Abhör- und Beeinflussungsmaßnahmen im Bereich des Parlaments"

2011
Korruptions-U-Ausschuss startet

Korruption – kaum ein anderes Wort geisterte in den letzten Monaten öfter durch die österreichische Medienlandschaft. Grund dafür ist ein seit Oktober 2011 eingesetzter parlamentarischer Untersuchungsausschuss, der sich gleich mit sieben Causen beschäftigt: Telekom-Skandal, BUWOG-Privatisierung, Faymann-Inserate, Medienpräsenz der Ministerien, Glücksspiel, Blaulicht-Funk und gekaufte Staatsbürgerschaften.

Ein ambitioniertes Projekt, meinen viele. Die wenigsten sind jedoch von einem erfolgreichen Abschluss überzeugt. Aktuelle Umfragen zeichnen ein eindeutiges Bild: Die österreichische Bevölkerung ist der Meinung, dass der Korruptions-U-Ausschuss wenig bis gar nichts ändern oder gar aufdecken wird. Grund genug, sich das politische Kontrollorgan und dessen „Leistungen“ in der Vergangenheit genauer anzusehen.

Prägende Anfänge

Seit 1945 hat das Parlament insgesamt 19 Untersuchungsausschüsse eingesetzt. Der erste U-Ausschuss der Zweiten Republik fand von 1949 bis 1952 statt. Auf Antrag der ÖVP wurden damals die „Tätigkeiten der Vertreter der Creditanstalt, der Länderbank und der Bundeshandelskammer in New York (ERP-Hilfe)“ ausgeforscht. Der ERP-Fonds (European Recovery Program) diente dem Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg. In der US-Regierung erhärtete sich der Verdacht, dass ERP-Mittel missbräuchlich verwendet worden waren. Bereits damals spielten Medien eine wichtige Aufdecker-Rolle: Den Anstoß für den Ausschuss lieferte ein Artikel in der „New York Times“. Während heute ein Imageschaden für die nächste Wahl im Vordergrund steht, fürchtete die Regierung damals die Einstellung der für Österreich überlebenswichtigen Marshallplanhilfe. Versucht wurde daher, den Zugang der Öffentlichkeit stark einzuschränken. Nach 45 Sitzungen endete der Ausschuss, Ergebnisse sind keine bekannt.

Im Jahr 1966 folgte bereits ein handfester Skandal: Die „Strengberg-Affäre“. Der damalige SPÖ-Abgeordnete Stephan Tull sprach gar vom „zweifelsohne größten Skandal in der Geschichte der Republik Österreich“. Untersuchungsgegenstand waren auf Antrag der FPÖ „Vorfälle beim Autobahn- und Straßenbau“. Betroffen war die damals alleinregierende ÖVP, genauer das Bundesministerium für Bauten und Technik unter Vinzenz Kotzina, der von 1966 bis 1970 als Minister fungierte. Die Vorwürfe klingen bekannt: Freunderlwirtschaft, Schmiergelder, Preisabsprachen, Geschenkannahmen, Veruntreuung öffentlicher Gelder. Gegen einen Mandatar wurden Vorerhebungen beantragt, mehrere Untersuchungen gegen Vorstände und Angestellte der betroffenen Baufirmen wurden eingeleitet. Bei 93 Prozent der Verdächtigen wurden die Erhebungen eingestellt, politische Verantwortlichkeiten wurden hin- und hergeschoben, die Rücktritts-un-kultur eingeleitet. Heute wissen wir: Dieses wenig ruhmreiche Ergebnis sollte zweifelhaftes Vorbild für kommende U-Ausschüsse bleiben.

Aktenberge, hunderte Sitzungsstunden und Zeugenschwund

Ein Problem, das sich durch fast alle U-Ausschüsse zieht, sind fehlende personelle und zeitliche Ressourcen. Einem Haufen an Aktenbergen stehen oft überforderte Abgeordnete gegenüber. Die Untersuchung stößt hier an ihre Grenzen. Auch die rechtlichen Rahmenbedingungen sind wenig förderlich für einen erfolgreichen Abschluss. Die Oppositionsparteien fordern seit Jahren die Einführung eines Minderheitenrechts. Einrichtung und Beschlussfassung sind jedoch immer noch Sache der Mehrheit – also der Regierungsparteien. Die Folgen: Für SPÖ oder ÖVP unangenehme Zeugen werden nicht zugelassen, Beschlüsse nicht gefasst, Akten geschwärzt und U-Ausschüsse frühzeitig abgedreht. Kein Wunder also, wenn die Ergebnisse wenig ergiebig sind.

Vom AKH-Skandal bis zur Eurofighter-Affäre

Über die Jahre hinweg wurden sie immer mehr zur treibenden Kraft: Die Medien. Mit der Bereitschaft der PolitikerInnen, Verantwortung zu übernehmen, ist es in Österreich bekanntermaßen nicht weit her. Aus diesem Grund war nicht selten erst ein öffentlich gewordener Skandal Auslöser für eingeleitete Untersuchungen. Die Rolle der Medien als "Public Watchdog" wurde bei der Enthüllung des "AKH-Skandals" zum ersten Mal wirklich sichtbar. Der Journalist Alfred Worm deckte die Schmiergeld-Affäre beim Bau des Allgemeinen Krankenhauses auf. Wien geriet als Hochburg sozialdemokratischen Netzwerkens erstmals ins Visier des Parlaments.

Fast unglaublichen Krimi-Stoff bot eine weitere Causa, in die SPÖ-Granden verwickelt waren: Der "Fall Lucona". Zentrale Figur des Skandals war Udo Proksch, damals Besitzer der Hofzuckerbäckerei Demel und Gründer eines SPÖ-dominierten Polit-Clubs, dem „Club 45“. Die Geschichte dahinter: Im Jahr 1977 startete das Schiff „Lucona“ mit einer von Udo Proksch um über 15 Millionen Euro versicherten Ladung. Im Indischen Ozean wurde das Schiff mit Sprengstoff aus österreichischen Heeresbeständen gesprengt, die Ladung war in Wirklichkeit nur knapp 70.000 Euro wert – das Ganze daher Betrug. Der Druck auf die SPÖ wuchs, die Beziehungen zu Proksch wurden der Partei zum Verhängnis. Der damalige Innenminister Karl Blecha und Nationalratspräsident Leopold Gratz (beide SPÖ) traten 1989 zurück. Proksch wurde 1992 wegen sechsfachen Mordes verurteilt. Blechas Rücktritt geschah auch in Zusammenhang mit dem "Noricum-Skandal" – illegale Waffenlieferungen an den Iran und Irak – der auch Gegenstand eines U-Ausschusses war. Blecha wurde sogar verurteilt.

Aufsehenerregende Tatsachen brachte auch der Eurofighter-U-Ausschuss zur „Beschaffung von Kampfflugzeugen" auf Antrag von SPÖ, Grünen und FPÖ ans Licht. Die PR-Agentur des Ehepaares Rumpold soll Millionenaufträge von der Rüstungsfirma EADS erhalten haben. Fazit des Ausschusses: Über 400 Sitzungsstunden, 142 Zeugenbefragungen, tausende Seiten Protokoll und noch mehr eingescannte Aktenseiten. Vermutet wurde Parteienfinanzierung zugunsten des BZÖ, dies konnte im U-Ausschuss aber nicht nachgewiesen werden. Die Causa wurde 2011 juristisch neu aufgerollt. Der zeitgleich stattfindende Banken-Ausschuss zu den Affären rund um BAWAG und Hypo Alpe Adria förderte nicht einmal einen gemeinsamen Endbericht zutage und wurde von SPÖ und ÖVP frühzeitig abgedreht.

Verwirrspiel und Polit-Show

Die Erfahrung zeigt: Je komplexer der Untersuchungsgegenstand, desto geringer dessen Erfolgschancen. Die breite Öffentlichkeit versteht die Zusammenhänge nicht mehr, hunderte Medienberichte und viele Involvierte sorgen für Verwirrung. Nicht nur werden betroffene Regierungsmitglieder nicht zur Rechenschaft gezogen – nein, sie dürfen alles tun, um ihre Partei zu schützen. So geschehen auch beim letzten U-Ausschuss, in dem unter anderem Spitzel- und Spionagevorwürfe im Parlament behandelt wurden. Nach 17 Sitzungen, 120 Arbeitsstunden und 36 befragten Auskunftspersonen, bezeichnete der Obmann des Untersuchungsausschusses Martin Bartenstein (ÖVP) das Ergebnis in einem mündlichen Bericht als „kein Renommierstück des Parlamentarismus“.  Die Gründe sind schnell erklärt: Die Koalition verweigerte allerlei Zeugenladungen, es kam kein gemeinsamer Endbericht zustande, der letzte Punkt – die Untersuchung der Geheimdienstaffäre rund um den kasachischen Ex-Botschafter Rakhat Alijew und dessen Beziehungen zur heimischen Politik – wurde frühzeitig abgedreht, eine geforderte Reform des U-Ausschusses nie umgesetzt.

Die fehlenden Ergebnisse wurden mit den Jahren durch steigende mediale Präsenz ersetzt. Zunehmendes öffentliches Interesse stellt jedoch gleichzeitig eine Bühne für parteipolitische Interessen dar. Das Instrument politischer Kontrolle verkam immer mehr zum Racheinstrument an politischen Gegnern und zur „Polit-Show“. Bestes Beispiel ist der aktuelle Ausschuss mit dem schwammigen Titel "Untersuchungsausschuss zur Klärung von Korruptionsvorwürfen". Noch nie waren so viele (Ex-)Abgeordnete involviert wie diesmal: Im Visier stehen vor allem Minister und Freunde der Haider-Partie, das BZÖ und auch die ÖVP. Der Komplex „Telekom“ wurde bereits abgeschlossen. Seit Dienstag wird die BUWOG-Privatisierung unter die Lupe genommen. Der prominente Zeuge Karl-Heinz Grasser diente jedoch mehr den Kameras als der Aufklärung.

Massenhaft Vorwürfe und verwirrende Versteckspiele, Liveticker und Medienchaos – der politische Auftrag droht im Blitzlichtgewitter zu verschwinden. Vertuschung wird weiter auf der Tagesordnung stehen, solange die Regierungsparteien das letzte Wort haben. Das Aufdecken politischer Unmoral kann so jedenfalls nicht funktionieren.


Factbox: Untersuchungsausschuss

Ein Untersuchungsausschuss ist ein Kontrollinstrument des Parlaments. Der politische Auftrag lautet, die Tätigkeiten der Regierung im Hinblick auf strafbare Handlungen oder einer Schädigung des öffentlichen Interesses zu prüfen. Sie sind keine Gerichtsverfahren, Gerichte und andere Behörden sind aber dazu verpflichtet, auf Verlangen Beweismittel (z.B. Akten) vorzulegen. Es besteht weiters die Pflicht zur wahrheitsgemäßen Aussage und die „Verfahrensordnung für parlamentarische Untersuchungsausschüsse" regelt das Vorgehen.

Seit 1945 wurden 19 Untersuchungsausschüsse eingesetzt. Einige der aufsehenerregendsten davon waren der "AKH-Skandal", die "Lucona-Affäre" und der "Eurofighter"-U-Ausschuss.