Moskau
Die Kirche lässt ihre Muskeln spielen
Die orthodoxe Kirche wird wieder zu einem wesentlichen Teil des Macht-Apparates
Die interessanteste Entwicklung in Russland ist zur Zeit die rasend schnelle Transformation der russisch-orthodoxen Kirche zu einem wesentlichen Pfeiler der politischen Ordnung unter Putin 3.0. Schon davor war die Kirche wichtig und seit meiner Ankunft in Russland vor zweieinhalb Jahren ist zu spüren, wie ihr Einfluss langsam aber stetig wächst. Doch seit die Kirche nach der "Schneerevolution" im Dezember ihre Loyalität zu Putin bekundet hat, ist nichts mehr wie es war: Alle Zeichen deuten jetzt in Richtung Staatskirche, also eine Kirche, die untrennbar mit dem staatlichen Institutionen verschmolzen ist. Für die Kirche ist das ein Machtgewinn, für die Religion wahrscheinlich nicht.
Am deutlichsten war das an diesem Wochenende bei einem allrussischen Gebetstag zur Verteidigung des Glaubens zu spüren. Beten statt Demonstrieren, das war die Antwort von Patrirarch Kirill, dem Oberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche, auf die Frage, was er von den Protesten gegen die Wahlfälschungen halte. Dementsprechend war die Veranstaltung auch keine Demonstration, wie von den Kirchenvertretern immer wieder betont, sondern ein Gebet. Auch wenn die Unterschiede sich nur einem Eingeweihten erschlossen haben. Die Inszenierung, der Massenaufmarsch, der Inhalt - das alles erinnerte an die Veranstaltungen von Wladimir Putin im Wahlkampf.
Wir sind viele, wir sind stark
Anlass der Veranstaltung war die Aktion der feministischen Punk-Band Pussy Riot, die im Februar in der Christ-Erlöser-Kathedrale gegen die enge Verbindung der Kirchenführung mit dem Regime von Wladimir Putin protestiert hatten. Drei der jungen Frauen sitzen inzwischen in Isolationshaft, die vergangene Woche bis 24. Juni verlängert wurde - eine Justiz-Groteske. Auch der Spott über die Uhren-Affäre des Patriarchen, war wohl mit ein Grund für diese Gegen-Offensive der Kirchenführung.
Aber nein, natürlich stimmt das alles nicht, sagt die Kirche. Weder Uhren-Skandal noch Pussy Riot sind der Anlass für das landesweite Gebet. Vielmehr herrsche in der Gesellschaft eine feindliche Stimmung gegenüber der Kirche und der Religion. Die Kirche werde angegriffen und müsse um ihr Überleben kämpfen. Nicht nur Pussy Riot habe die Religion angegriffen, in Südrussland habe ein Mann Ikonen zerstört. Dagegen müsse die Kirche auftreten und zeigen, dass sie den Angreifern nicht wehrlos gegenüberstehen. "Wir sind viele, wir sind stark" war eine der Lösungen.
"Die Gefahr besteht darin, dass Blasphemie und Verspottung des Heiligen als Teil der gesetzlich garantieren Meinungsfreiheit dargestellt wird, die in einer modernen Gesellschaft geschützt werden müsse", sagt Patriarch Kirill und bringt damit auf den Punkt, was die Kirche eigentlich will: Jene Meinungs- und Gedankenfreiheit einschränken und verbieten, die der Kirche nicht zu Gute kommt. Ich habe mir am Sonntag die meisten Reden und Predigten angehört. Ich hätte auch keine andere Wahl gehabt. Nach dem Beginn des fast zweistündigen "Gebets", wurde niemand mehr vom Platz gelassen. Dabei hatte ich nicht den Eindruck, bei einem Gottesdienst zu sein sondern bei einer politischen Veranstaltung. Der einzige Unterschied: die Redner am Podium waren eigenartig verkleidet. Von christlicher Nächstenliebe keine Spur.
Vielmehr ging es um Macht, um die Verteidigung des Heiligen Russland gegen seine Feinde und Zerstörer. Wer sich gegen die Kirche richte, sei ein Feind des Landes, so die klare Botschaft. Kirill selbst verstieg sich dabei in ziemlich groteske Vergleiche, etwa als er den sowjetischen Marschall Schukow, Eroberer von Berlin im Jahr 1945, als Verteidiger des Heiligen bezeichnete.
Noch interessanter waren Videoeinspielungen von Prominenten, etwa einer gewissen Olga Karmuchina, die lang und breit über die großen und gezielten Angriffe sprach, denen sich die russisch-orthodoxe Kirche ausgesetzt sieht. Starke Kräfte würden hinter diesen Angriffen stehen, die die Religion an sich auslöschen wollten. Wer diese Kräfte sind, sagte sie nicht. Vielleicht irgendjemand von der "Ostküste"? Oder doch das berühmt-berüchtigte "GosDel", also das US-State-Departement, das in Russland gerne für alles und jedes verantwortlich gemacht wird?
Oder Natalja Narotschnizkaja: Das entchristianisierte Europa starre gebannt auf die Entwicklung in Russland und erhoffe sich einen neuen Aufschwung durch die Stärke der russischen Kirche. Das säkularisierte Europa ist überhaupt die Horror-Vorstellung der orthodoxen Kirche. Schon mehrmals haben mir Priester und Bischöfe mit Schaudern von ihren Besuchen in leeren Kirchen und Klöstern in Europa erzählt. Ganz anderes die Entwicklung in Russland, wo die Klöster kaum mit dem Andrang junger, religiösen Männer zurecht kommen.
Ich bin Orthodox, glaube aber nicht an Gott
Wie genau die Rolle de Kirche unter Putin 3.0 aussehen wird, ist noch offen, aber es gibt Indizien: In der Duma hat sich gerade eine Fraktionsübergreifende Plattform christlicher Abgeordneter gegründet, die auch bereits mit ersten Initiativen von sich reden macht. Etwa mit einem Gesetzesvorschlag, der "Propaganda für Homosexualität" unter Strafe stellen soll. Immer öfter wird über Einschränkungen bei Abtreibungen geredet, über das Verbot der Mission durch "nicht traditionelle" Religionen in Russland (Die traditionellen Religionen sind Orthdoxie, Islam, Judentum, Buddhismus - also die Religionen der großen ethnischen Minderheiten in Russland).
Es ist aber nicht nur die Politik: Im Sommer wollte ein Gericht in Sibirien einen Teil der Upanischaden verbieten, einen heiligen Text des Hinduismus: Er verbreite interreligiösen Hass, so die Begründung. Je nach Umfrage bezeichnen sich bis zu 8o Prozent der Russen als orthodox, obwohl nur weniger als fünf Prozent die Regeln der Kirche kennen und weniger als zwei Prozent regelmäßig in den Gottesdienst gehen. "Orthodoxie" ist ein Synonym für das große kulturelle Erbe des russischen Volkes, seine Traditionen. Bis zu 15 Prozent der Russen geben bei Umfragen an, sie seien zwar orthodox, würden aber nicht an Gott glauben. Kein Wunder dass die Kirchenführung ihren Schäfchen bei diesem völligen Mangel an religiös-theologischem Wissen einreden kann, was immer sie will.
Der Staat hilft, wo er nur kann
Dabei wird die Kirche immer mächtiger und stärker: Ab Herbst gibt es an den Schulen verpflichtenden Religionsunterricht. In den nächsten Jahren sollen 7.000 Gebäude und Grundstücke an die Kirche rückerstattet werden, zusätzlich zu jenen, die sie bereits bekommen hat. Die moralischen Appelle, die die Kirchenführung an die Bevölkerung richtet, werden von Premier und Präsident wiederholt und bei Bedarf in Gesetze gegeossen. Und für den Fall, dass ein Staatsanwalt oder ein Richter einmal nicht wissen sollte, was er zu tun hat - etwa im Fall Pussy Riot - wird ihm auf diskretem Weg schnell mitgeteilt, welches Strafmaß die Staats- und Kirchenführung für angemessen halten.
Für die Religion an sich eine traurige Entwicklung. Die russisch-orthodoxe Kirche befand sich vor der Oktoberrevoltion in einer Krise und im Umbruch. Es deutete einiges darauf hin dass die Macht der Mönche und des Klerus in der Kirche aufgebrochen werden könnte, die Macht der Laien und der normalen Gläubigen hingegen verstärkt. Diese Entwicklung wurde durch die Kommunisten radikal gestoppt. Auch jetzt ist von einer Beteiligung der Gläubigen an der Kirchenführung nicht viel zu spüren. Der einzige Nicht-Priester, der bei der Entwicklung der Kirche etwas mitzureden hat, sitzt im Kreml.