Reportage
Der Wächter vom Fleischmarkt
Abtreibung ist immer noch ein Tabuthema in Österreich. Trotz liberaler Gesetze sind die Kosten hoch und die Möglichkeiten mangelhaft. Oft wird der Weg zur Klinik zum Spießrutenlauf, wenn radikale Abtreibungsgegner Frauen belästigen. Warum es am Fleischmarkt in Wien keine Schutzzone gibt sondern nur einen Portier.
Auf der rechten Seite des Eingangs steht die Frau, mit gesenktem Kopf. Trotz des warmen Frühlingswetters trägt sie einen dicken Mantel, über die schwarze Haube ist die Kapuze gezogen. Um den Hals trägt sie ein großes Plakat. „Leben“ steht in gelben Lettern drauf. Darunter sind vergrößerte Aufnahmen von Embryos zu sehen und ein lächelndes Kleinkind. „Tod“ heißt es auf der anderen Seite in schwarz, darunter eine weinende Frau und etwas, das aussieht wie ein blutiges Gemetzel. Ihre Augen sind nach unten gerichtet, in den Händen hält sie einen Rosenkranz und betet. Währenddessen wiegt sie sich leicht hin und her, ganz versunken, fast als wäre sie in Trance. Mit keinem Blick beachtet sie den weißhaarigen älteren Mann, der auf der linken Seite des Eingangs steht. Er ist der Portier der Einrichtung, gegen die sie protestiert.
Hier am Fleischmarkt hatten zu Zeiten der Monarchie die Fleischhacker ihre Marktstände. Mittlerweile ist die Straße im ersten Wiener Gemeindebezirk zum Synonym für Abtreibung geworden. Seit über 30 Jahren gibt es dort die Privatklinik Prowoman, die Schwangerschaftsabbrüche und Sterilisationen durchführt und Beratungen zu Verhütung anbietet. Als im Jahr 1975 die Fristenlösung eingeführt wurde, war das Ambulatorium am Fleischmarkt für viele Frauen erstmals die Möglichkeit zu einem legalen Abbruch der Schwangerschaft.
Doch genauso lange wie es die Klinik am Fleischmarkt gibt, gibt es auch ihre Gegner. Immer wenn in der Klinik Schwangerschaftsabbrüche vorgenommen werden, stehen auch die Aktivisten von Human Life International (HLI) vor der Tür. Die radikale, christliche Organisation kämpft gegen das, was sie als Massenmord betrachtet. Mit Gebeten, dem Übergeben von Broschüren oder Plastikembryos. „Manchmal sprechen sie die Frauen an, sie sollen ihr Kind nicht umbringen“, erklärt Elke Graf, die Geschäftsführerin von Prowoman.
Als die 28 jährige Roberta* vor einiger Zeit ungewollt schwanger wurde, traf auch sie am Fleischmarkt auf die Aktivisten von HLI. Beim Verlassen des Ambulatoriums, drückte ihr eine Frau einen Rosenkranz in die Hand. „Ich dachte sie fragt mich jetzt nach dem Weg oder der Uhrzeit“ sagt Roberta, die, obwohl sie von den Gegnern wusste, überrumpelt war. „Man ist einfach anders, komisch drauf in dieser Situation“, meint sie heute. Doch viel prägender als die Aktivisten waren für sie die Schaufenster. Das Geschäftslokal nebenan wurde von HLI gekauft und jetzt sind dort, nur ein paar Meter vom Eingang zur Klinik entfernt, große Plakate zu sehen, mit Bildern von Föten und Embryos in jedem Stadium der Schwangerschaft.
- Ein Pärchen betrachtet die Schaufenster von HLI, direkt neben dem Eingang zur Klinik (c)Friederike Mayer
Für den Schutz von Frauen wie Roberta; hat die Klinik einen Portier angestellt. Eigentlich könnte man ihn eher als den Wächter bezeichnen. Er wacht über die Hereinkommenden, beobachtet, behält die Situation im Blick. Der Portier war früher Lehrer, dreißig Jahre hat er am Gymnasium unterrichtet. Heute ist er pensioniert und verdient sich mit der Arbeit als Portier etwas dazu. „Das gibt uns Sicherheit und gibt auch den Frauen Sicherheit“ meint Elke Graf.
„Was wäre, wenn er nicht da wäre? Wir sind einfach nicht in der Lage zu sagen, wir brauchen den Portier nicht und lassen die Frauen ihren Weg finden, in unsere Klinik zu gehen. Das würde ich mich einfach nicht trauen“
(Elke Graf, Geschäftsführerin Prowoman Ambulatorium)
Den Portier gibt es, weil es keine Schutzzonen gibt. Die Forderung nach Schutzzonen, ähnlich wie auch vor Schulen oder rund um Wahllokale, gibt es schon länger, zuletzt sprach sich Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek dafür aus. Damit würde es bestimmten Leuten verboten sein, sich in der Nähe von Einrichtungen, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen, aufzuhalten. So funktioniert es zum Beispiel in Frankreich. Bei HLI dagegen heißen Schutzzonen Bannmeilen. Die Organisation war, trotz mehrmaliger Anfrage von Paroli, nicht zu einem Interview bereit. Auf ihrer Webseite (www.hli.at) findet sich allerdings eine Stellungnahme des Direktors Dietmar Fischer. Im Jahr 2007 schreibt er zu der Forderung nach Schutzzonen von Nationalratspräsidentin Barbara Prammer:
„Sie will die Lebensretter von der Unfallstelle wegweisen bzw. sogar noch eine Bannmeile um die Stätten des Todes machen, damit die Handlanger des Todes, die Abtreiber, mit der Not der Frauen sicher ihre Geschäfte machen können und die vom Tod bedrohten Opfer auch „ungestört“ sterben bzw. durch Abtreibung ermordet werden können."
Das Ambulatorium am Fleischmarkt kann, wie betroffene Krankenhäuser auch, Aktivisten polizeilich wegweisen lassen. Dieses so genannte Wegweiserecht ist eine Vorstufe zur Schutzzone. In der Praxis allerdings wenig wirksam, denn es gilt nur für zwölf Stunden. Weist die Polizei die Aktivisten weg, dann kommen sie am nächsten Tag wieder. „Es bringt gar nichts“ meint auch der Portier. Trotzdem wendet die Klinik es regelmäßig an, auch um zu zeigen, dass es gebraucht wird, dass immer wieder Frauen unter Druck gesetzt und bedrängt werden.
Doch die Mitglieder von „Human Life International“, sind nur eine kleine Gruppe, wenigstens in Wien. Und keinesfalls gleichzusetzen mit der katholischen Kirche. Für die gilt beim Thema Schutzzone allerdings das Recht auf Meinungsfreiheit. Abtreibung ist Sünde, aber die Gesetze werden respektiert. Die grundsätzlich ablehnende Haltung der Kirche zu Abtreibung hat aber Einfluss auf die öffentliche Wahrnehmung und damit auch auf die Art der Debatte.
Österreich hat zwar europaweit eines der liberalsten Gesetze was Schwangerschaftssabbrüche betrifft, die Kosten zwischen 300 bis 800 Euro sind allerdings gleichzeitig mit die höchsten. Da es keine Kostenübernahme der Krankenkassen gibt, werden auch keine Zahlen erfasst, Schätzungen sind schwierig. Österreichweit gibt es zwischen den Bundesländern ein klares Ost-West-Gefälle, je westlicher umso schwieriger auch der Zugang zum Schwangerschaftsabbruch. Für viele Frauen bedeutet das, mitunter lange Wege in Kauf nehmen. Einzig in Wien gibt es ein ausreichendes Angebot und private spezialisierte Kliniken.
„Das große Problem in Österreich ist die fehlende wohnortnahe medizinische Versorgung und die fehlende Kostenübernahme“ (Christian Fiala, Leiter des Gynmed Ambulatoriums, Wien)
Wenn immer Schwangerschaftsabbruch in der Öffentlichkeit diskutiert wird, geht es um Grundsätzliches. „Darf man das denn überhaupt und: wie schlecht ist das? Dann sind wir wieder bei der Fristenlösung. Und das hat nichts mit der Frau zu tun und mit dem Respekt vor der Frau, die sich diese Entscheidung nicht leichtmacht“ sagt die Geschäftsführerin der Klinik am Fleischmarkt. Sie meint, es fehle der politische Wille. So ist das Wegweiserecht wie es Wien eingeführt hat, Sache der jeweiligen Länder, die Einrichtung von Schutzzonen allerdings Bundesgesetz. Und auf bundesweiter Ebene passiert nur wenig.
Es liegen Welten zwischen den selbsternannten „Lebensschützern“ von HLI und den Angestellten der Klinik am Fleischmarkt, die dort fast täglich an ihnen vorbei gehen. Doch man hat sich eingerichtet, man ignoriert sich. Ist gewohnt, sich zu ignorieren. Roberta hat mittlerweile ein Kind bekommen. Immer wenn sie jetzt in der Stadt Abtreibungsgegner sieht, schimpft sie leise vor sich hin. „Ich hasse solche bekehrenden Menschen“ sagt sie.
Der Portier redet kaum mit den Aktivisten von HLI, die meisten wollen nicht mit ihm sprechen. Er solle sich einen anderen Job suchen, wurde ihm einmal gesagt „sonst mache ich mich mitschuldig“ erzählt er und lächelt. Während er redet, schweifen seine Augen immer wieder umher, erfassen alles, was rund um die Klinik passiert. Würden Schutzzonen eingerichtet, wäre er seinen Job los. Doch es sieht so aus, als würde es ihn noch lange geben müssen, den Wächter vom Fleischmarkt.
Quellen
Broschüre "Ungewollt schwanger"
Österreichischer Frauengesundheitsbericht 2010/2011
Informationen zum Schwangerschaftsabbruch
Interview mit Elke Graf, Prowoman Ambulatorium
Christian Fiala, Gynmed Ambulatorium
Portier, Prowoman Ambulatorium
Interview mit Roberta
*Name geändert