aus dem Sinn

"Heute": Die Boulevarddemokratie in Österreich

So wenig man ihr im Alltag entkommen kann, so wenig weiß man auch über die Hintergründe der Gratiszeitung „Heute“. Nicht einmal die bevorstehende Offenlegungspflicht wird klären können, wer sich wirklich hinter dem Boulevardblatt verbirgt.


31. März 2004
„U-Express“ wird eingestellt

6. September 2004
Heute liegt in U-Bahnen auf

31. Mai 2006
Eva Dichand ist nun auch "Heute"-Herausgeberin

2011
Media-Analyse: „Heute“ erhöht die nationale Reichweite auf 13,1 Prozent

November 2011
"Heute"-Chefredakteur Ainetter gibt Kündigung bekannt

Dezember 2011
Eva Dichand nennt Begünstigte der Periodika-Stiftung

1. Jänner 2012
Medientransparenzgesetz tritt in Kraft

Juli 2012
Veröffentlichungspflicht der Beteiligungsverhältnisse

Es passiert nicht oft, dass Medien in dieser Form Anlass zu neuen Gesetzen geben. Die Rede ist vom neuen „Medientransparenzgesetz“, das seit 1. Jänner 2012 in Kraft ist. Von „Kopfverbot“ bis zur quartalsweisen Bekanntgabe: Ziel ist, die Inseratenvergabe der Regierung und anderer öffentlicher Stellen transparent zu gestalten. Brisante Erkenntnisse versprechen sich manche auch von der gleichzeitigen Änderung des bestehenden Mediengesetzes. Diese soll nämlich mehr Licht ins Dunkel komplizierter Eigentumsverhältnisse österreichischer Medienhäuser bringen. Ab 1. Juli 2012 sind daher Treuhandverhältnisse, Stifter und Begünstigte bekanntzugeben – andernfalls sind öffentliche Inserate verboten. Wird dem nicht nachgegangen oder werden falsche Aussagen gemeldet, drohen Verwaltungsstrafen von bis zu 20.000 Euro.

Treibende Motivation hinter dieser – von der ÖVP geforderten – Regelung: Die sagenumwobenen Eigentümer der Gratiszeitung „Heute“ ausfindig zu machen, hinter denen unter anderem ein SPÖ-Netzwerk vermutet wird. Die Eigentümer verbergen sich bekanntermaßen hinter einer komplizierten Konstruktion, die schon seit der Gründung für allerlei Gerüchte sorgt.

Der „Heute“-Dschungel

Der Verlag hinter dem Boulevardblatt – der „AHVV Verlag“ – ist laut Firmenbuch in der Hand des „Fidelis“-Verlags, der zu 51 Prozent dem SPÖ-nahen Wirtschaftstreuhänder Günther Havranek gehört. Zweiteigentümer ist die „Periodika“-Privatstiftung, in deren Vorstand unter anderem Wolfgang Jansky sitzt, „Heute“-Geschäftsführer und ehemaliger Pressesprecher Werner Faymanns in seiner damaligen Funktion als Wohnbaustadtrat. Jansky ist ebenso Vorstand der „Urbania“-Privatstiftung, früher indirekt beteiligt an „Fidelis“. Von 2003 bis 2004, also zur Zeit der „Heute“-Gründung, saß auch der aktuelle Medienstaatssekretär und die rechte Hand von Bundeskanzler Faymann – Josef Ostermayer (SPÖ) – im „Urbania“-Vorstand. Die Spekulationen über eine mögliche SPÖ-Begünstigung werden auch wegen des Miteigentümers Havranek und seiner Kontakte zur SPÖ laut. Der Wirtschaftstreuhänder bekam zuletzt von Faymann persönlich den Auftrag, die Parteifinanzen zu sanieren. Wie es der Zufall so will, ist Elvira Franta, Pressesprecherin von Ostermayer, außerdem mit Wolfgang Jansky liiert. Eine paroli-Infografik versuchte schon einmal, den komplizierten Beziehungsknoten zu entwirren.

Zurück zu den Wurzeln

Die Entstehungsgeschichte der „Heute“-Zeitung ist eng verbunden mit zwei weiteren Gratisblättern: Dem vom damaligen Wohnressort unter Faymann herausgegebenen Monatsmagazin „Unsere Stadt“ und dem vom verstorbenen „Krone“-Herausgeber Dichand im Jahr 2001 ins Leben gerufenen „U-Express“. Ende März 2004 war der „U-Express“ jedoch bereits zum letzten Mal unterwegs. Offizieller Einstellungsgrund waren steigende Kosten und der damit einhergehende Qualitätsverlust. Tatsächlich wurde die Zeitung von der deutschen WAZ abgedreht, weil sie ohne Zustimmung der Partner gegründet worden war. 

Lange mussten die Wiener jedoch nicht auf eine neue Gratiszeitung warten. Statt „Urbania“ gab es nun die „Periodika“-Privatstiftung, gegründet vom früheren Bank-Austria-Vorstand Heinz Gehl. Gleichzeitig entstand der "Fidelis"-Verlag. Das Ergebnis: Bereits im September 2004 lag die „Heute“ in Wiens U-Bahn-Stationen zur freien Entnahme auf. 

Am 26.November 2005 wurde Eva Dichand neben Wolfgang Jansky als Co-Geschäftsführerin installiert und kurz darauf die Auflage beträchtlich erhöht. Gleichzeitig war sie auch bei „Unsere Stadt“, einer Gratiszeitung für MieterInnen von Wiener Gemeinde- und Genossenschaftswohnungen, tätig. Weniger als ein Jahr später folgte dann auch noch der Posten als „Heute“-Herausgeberin – Unvereinbarkeiten sah Dichand dabei nicht. Derzeit besetzt sie somit gleich drei Posten innerhalb des „Heute“-Gebildes: Herausgeberin sowie Geschäftsführerin der Eigentümer AHVV und Fidelis.

Nährboden für Spekulationen liefert, wie bereits erwähnt, vor allem der Haupteigentümer Havranek. Dieser hat 2010 unter Wahrheitspflicht vor Gericht erklärt, er halte "im eigenen Namen, auf eigene Rechnung" 51 Prozent. Doch dafür verhalte er sich auffällig unauffällig, meinen Beobachter – was viele in der Annahme bestärkt, er halte seine Anteile treuhänderisch für jemand anderen.

Umstrittene Hintergründe

2011 lieferte das Boulevardblatt gleich mehrere Anlässe für Schlagzeilen bei der Konkurrenz. Lediglich eine davon war imagefördernd: „Heute“ erhöhte seine nationale Reichweite laut aktueller Media-Analyse im letzten Jahr von 12 auf 13,1 Prozent. In Wien erreicht die Tageszeitung mit 41,5 Prozent Reichweite über 600.000 Leser – und damit mehr als die „Krone“.

Weniger erfreulich waren die Gerüchte rund um den Abgang von Ex-Chefredakteur Wolfgang Ainetter. Just nachdem in der „Heute“ ein Bericht über Leserbriefe von falschen Facebook-Freunden des Bundeskanzlers  erschien, verließ Ainetter das „Heute“-Boot. Der Grund: „Unabhängiger, kritischer Journalismus wäre aus meiner Sicht nicht mehr möglich gewesen“, so Ainetter gegenüber „medianet“.

Eine weitere Schlagzeile brachte „Heute“ abermals in Erklärungsnot: Die „Wiener Zeitung“ berichtet im September 2011, dass im Falle einer Auflösung der Periodika-Stiftung die St. Anna Kinderkrebsforschung und die Opferschutz-Organisation „Weisser Ring“ davon profitieren würden. Eva Dichand ging in die Offensive und nannte die derzeitig Begünstigten: Der Verein „Rettet den Stephansdom“ und „Weisser Ring“, die unter anderem von Heinz Gehl unterstützt wird. Erstere zeigten sich erstaunt, weitere Begünstigte gibt es laut Dichand aber nicht. Wiederum bestritt die Frau von „Krone“-Chefredakteur Christoph Dichand eine Beteiligung der „Krone“-Eigentümer. In einer Aussendung drohte sie kürzlich sogar damit, alle zu verklagen, die „Heute“ der Familie Dichand zuordnen.

Sogar die Bundeswettbewerbsbehörde (BWB) beschäftigte sich im vergangenen Jahr mit den Besitzverhältnissen der Gratiszeitung. Grund war eine anonyme Sachverhaltsdarstellung, in der von angeblichen wettbewerbsrechtlich relevanten Verflechtungen mit der „Krone“ die Rede ist.

Alles beim Alten?

Keine Offenlegung – keine öffentlichen Inserate: Für die Gratiszeitung „Heute“ wäre dies ein Schlag in die Magengrube. Denn laut Werbebarometer (September 2011) der Agentur Media Focus Research erhält das Blatt 15,5 Prozent der gesamten Polit-Inserate und nur 5,1 Prozent der kommerziellen Werbung. Dass die Inserate mehrheitlich von der SPÖ oder ihr nahestehenden Organisationen stammen, ist wenig verwunderlich.

Wer wirklich vom Gratisblatt „Heute“ profitiert, wird jedoch trotz des neuen Medientransparenzgesetzes und der damit zusammenhängenden Änderungen nicht eindeutig geklärt werden. Dem Gesetz, das am 1.Jänner 2012 in Kraft getreten ist, steht neben dem ohnehin schon überlasteten Rechnungshof keine kontrollierende Kraft zur Seite. 

Fix ist: Ab 1.Juli 2012 müssen Beteiligungsverhältnisse veröffentlicht werden. Das Stiftungs-Gebilde hinter „Heute“ und die Gründungsfinanzierung über – nach Angaben der Stifter – private Gelder gilt bei Experten jedoch als wasserdichte Konstruktion.

Ernüchterndes Fazit: Fundamental neue Erkenntnisse dürfen nicht erwartet werden. Die Boulevarddemokratie Österreich unter der Schirmherrschaft der SPÖ wird weiterhin walten können – wenn auch mit Einschränkungen. Neben der genauen Offenlegung der Inseratenvergabe, darf zukünftig auch nicht mehr mit dem Kopf des Ressortchefs geworben werden. Eine beliebte Werbefläche fällt somit weg. Auf eines dürfen wir daher schon gespannt sein: Statt langweiligen Regierungsinseraten werden wir wohl öfter herzerwärmende Geschichten dieser Art zu lesen bekommen.


Factbox

"Heute"-Umsatz 2011 (Schätzung): 40-45 Mio. Euro (2010: unter 38,5 Mio, Firmenbuch AHVV Verlag)

Beschäftigte 2011: rd. 100 (2010: 77)
EGT 2010: 2,6 Mio. AHVV (2010: 2,5 Mio)

Eigentümer des AHVV Verlags: Fidelis Medien und Zeitschriftenverlags GmbH (gehört zu 51% dem Wirtschaftstreuhänder Günther Havranek) und Periodika Privatstiftung, Zweck der Stiftung: „Förderung der Allgemeinheit“

Geschäftsführung AHVV: Eva Dichand, Wolfgang Jansky

Reichweite: 13,1 Prozent national

Druckauflage: 587.093 (Quelle: ÖAK)

Änderung im Zuge des Medientransparenzgesetzes: Ab 01.07.2012 ist jede Stufe der Beteiligung (Medieninhaber an einem periodischen Medium) zu veröffentlichen. Dies betrifft auch Aktieninhaber, Stiftungen, Vereine etc.