Moskau
Aufräumen vor dem Tag des Sieges
Im April herrscht in ganz Russland großes Reinmachen
Der Spätwinter ist in Moskau beinahe übergangslos in den Frühsommer übergegangen. Zwischen Daunenjacke und T-Shirt lag heuer eine Zeit von gerade drei Wochen. In diesem Mini-Frühling im April bricht in Russland immer das große Reinemachen aus: In Vorbereitung auf den Tag des Sieges am 9. Mai wird das ganze Land auf Vordermann gebracht. Für jüngere Semester und Nicht-FPÖ-Anhänger (die begehen am 8. Mai bekanntlich den Tag der Trauer unter dem Namen "Totengedenken"): Gemeint ist der Sieg im Zweiten Weltkrieg. Das ist zwar schon 67 Jahre her, der Tag des Sieges wird in Russland aber immer noch so begangen als würden Weihnachten, Ostern und Silvester an einem Tag zusammenfallen. Mehr zu den etwas ... anachronistisch wirkenden Feierlichkeiten und Paraden am Tag des Sieges in einem der nächsten Blog-Einträge.
Die ganze zweite Aprilhälfte hängt über Moskau ein ständiger Geruch von Farbe und tatsächlich wird überall gemalt und gepinselt. Da die ganze Stadt zum Tag des Sieges im Hochglanz erstrahlen muss, wird alles frisch angestrichen und mit alles meine ich tatsächlich: Alles. Zäune, Laternenmasten, Tore, Türen, Parkbänke, Kanaldeckel, Wände, Fensterrahmen, Gullys, Blumentröge, sogar Bordsteine - letztere in einem schönen schwarz-weiß oder grün-gelb Muster. Seit Wochen ziehen die Brigaden von Arbeitern und Arbeiterinnen, die im Winter beim Schneeräumen im Einsatz waren, durch die Stadt und pinseln alles an. Auch im privaten Bereich wird gepinselt: In unserem Kindergarten wurden die Eltern angehalten entweder den Gruppenraum zu putzen oder die Zäune im Garten zu streichen - als Ausländer durften wir uns dankenswerter Weise freikaufen. Diese Malarbeiten sind vor allem Arbeits- und nicht Materialintensiv. Grundierung, Schleifpapier oder Reinigungsmaterial werden nicht benötigt. Die Farbe wird einfach über den ganzen Dreck, der sich im letzten Jahr angesammelt hat, drübergemalt. Und sollte zB beim Randstein einmal ein Auto im Weg stehen wird diese Stelle einfach ausgelassen und erst nächstes Jahr angemalt.
Zu Ende gegangen sind diese Putz- und Malarbeiten am vergangenen Samstag, denn am Sonntag haben die lange erwarteten Maiferien begonnen. In dieser Zeit kommt das öffentliche Leben vorübergehend zum Erliegen und alle Russen flüchten aufs Land um ihre Datschen-Wochenendhäuser für die Sommersaison fertig zu machen. Das nimmt teilweise erschreckende Formen an: Vergangenen Donnerstag musste ich im Baumarkt eine Kleinigkeit kaufen. Die Baumärkte haben hier wie die meisten anderen großen Geschäfte rund um die Uhr offen, also 7x24 Stunden. Kurz vor Mitternacht wartete ich also eine halbe Stunde an der Kassa, umgeben von Einkaufswägen voller Samen, Blumen zum Einsetzen, Gartenwerkzeug und Grillzubehör. Wie es im Baumarkt am Samstag nachmittag ausgeschaut hat will ich mir lieber gar nicht vorstellen.
Wann genau die Maifeiretage beginnen ändert sich übrigens von Jahr zu Jahr, denn eigentlich sind nur der 1. Mai (Tag des Frühlings und der Arbeit) und der 9. Mai ("Tag des Sieges") arbeitsfrei. In Russland können Feiertage und Fenstertage allerdings verschoben werden. Das heißt, wenn ein Feiertag auf das Wochenende fällt wird er "aufgehoben" und an einem späteren Datum eingeschoben. Zur Erklärung: Der 1. Mai ist heuer Dienstag, der Montag daher ein Fenstertag. Der wurde allerdings mit dem vergangenen Samstag "getauscht", dh. der Samstag war ein normaler Arbeitstag, der Montag ist dafür frei. Nächste Woche ist es wieder so, außerdem werden einige "übriggebliebene" Feiertage eingeschoben.
Und dass die Amtseinführung von Wladimir Putin am kommenden Montag ausgerechnet in diese Zeit fällt, in der jeder vernünftige Moskauer die Stadt verlassen hat, ist natürlich Zufall. Mit möglichen Protesten und Demonstrationen hat das gar nichts zu tun! Ein Schelm, wer böses dabei denkt!
Noch ein Hinweis: Ich möchte alle bitten, die Gruppe "Rettet das Funkhaus" zu unterstützen. Die ORF-Geschäftsführung hat angekündigt die drei Wiener Standorte zusammenzulegen, also Küniglberg, Funkhaus und Ö3. Glaubt man den in den Medien kolportierten Plänen und Berechnungen, wäre eine Auflassung des Funkhauses mit deutlichen Personaleinsparungen verbunden und zwar gerade in dem Bereich, in dem der öffentlich-rechtliche Auftrag eindeutig erfüllt wird: Dem ORF-Radio. Beim Radio kracht es schon jetzt an allen Enden, weitere Einsparungen bedeuten Verschlechterung der Qualität. Und das wäre wirklich ein großer Verlust!
Unterschriftenliste für "Rettet das Funkhaus"
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