Moskau
Die nächsten Putin-Jahre können heiter werden!
Die Inauguration Wladimir Putins zeigt, dass Russland von der versprochenen "Stabilität" weit entfernt ist.
"Nennen wir das Kind beim Namen: Moskau ist eine besetzte Stadt." Solche Sätze lese ich in den letzten Wochen immer öfter auf Facebook und in verschiedenen Internet-Foren. Der Gedanke ist nicht so absurd wie er auf den ersten Blick klingt. Gestern, am Tag der Inauguration von Wladimir Putin, hatte ich selbst den Eindruck, dass Moskau von einer fremden Macht besetzt ist, die mit dem normalen Leben der Bevölkerung nichts zu tun hat. Was ich meine zeigt am besten dieses Video, das die Fahrt des Konvois von Putin quer durch die Innenstadt zur Inauguration im Kreml zeigt. Ich habe mir das Video mehrmals angeschaut: Bis auf Polizisten ist darauf kein Mensch zu sehen. Keiner.
Weiße Bändchen gegen die russische Trikolore
Was ist das für ein Staatsoberhaupt, das sich so vor seinem eigenen Volk verstecken muss? Wie unsicher muss die Führung sein, dass sie nicht einmal traut bezahlte Claqueure am Straßenrand zu platzieren, die auf Kommando in Jubel ausbrechen und mit Fahnen schwenken?
Tatsächlich gab es gestern solche pro-Putin-Aktivisten, aber offenbar nicht genug um die ganze Strecke damit zu füllen. Im Internet hatte die Opposition dazu aufgerufen sich am Nikitskij Bulvar zu treffen, um dem Convoi Putins wenigstens von der Ferne zuzuwinken. Lange vor der Opposition trafen sich dort Gruppen von Jugendlichen, die aus der Provinz nach Moskau gekarrt worden waren, aus Orten wie Orel oder Belgorod, Städten die mehrere hundert Kilometer von Moskau entfernt sind. Sie hatten Plakate mit Losungen wie: "Putin liebte alle" und verteilten Bändchen mit den Farben der russischen Fahne - ein wichtiges Accesoire, wie sich später zeige sollte.
Verhaften, verprügeln, einschüchtern
Nach und nach versammelten sich vor der Absperrung der Einsatzpolizei auch einige Dutzend Oppositionelle, erkennbar an weißen Bändern, und als auf dem Novij Arbat eine Autokolonne vorbeizog wurden die üblichen Losungen skandiert: "Schande", "Russland ohne Putin" etc. Daraufhin wurden innerhalb weniger Minuten mehrere hundert (!) Einsatzpolizisten zusammengezogen, die damit begannen die Demonstranten "einzusammeln", wie das auf russisch heißt: Eine Kette von Polizisten mit Vollvisier, Körperpanzerung und Schlagstöcken macht eine Kette quer über die Straße und drängt die Demonstranten und alle anderen zufällig Anwesenden ab. Wer die geringste Form von Widerstand leistet wird verprügelt und festgenommen. Gleichzeitig griffen Gruppen von Einsatzpolizisten von hinten an und verhafteten jeden, an dem sie ein weißes Band entdeckten. Mit dem Einsatz von Schlagstöcken wurde dabei nicht gespart.
Inzwischen waren etwa 500 bis 1.000 Demonstranten zusammengekommen, die von der Einsatzpolizei mehrmals auf dem etwa eineinhalb Kilometer langen Nikitski-Bulvar hin und hergescheucht wurden. Gleichzeitig lieferten sich die Demonstranten und die Pro-Putin-Aktivisten Wortgefechte und kleinere Rangeleien, bei denen auch die Einsatzpolizei immer wieder eingriff: Die Leute mit weißen Bändchen wurden festgenommen, die mit den weiß-blau-roten Bändchen durften weiter agitieren.
Hauptsache es tut weh
Damit aber nicht genug, die Oppositionellen lieferten sich in der Folge ein Katz und Maus-Spiel mit der Einsatzpolizei in mehreren Teilen der Innenstadt, das bis bis zum nächsten Tag andauerte. Dabei nahm die Polizei völlig willkürlich Leute fest, viele davon Passanten, die zufällig in der Nähe der Aktion unterwegs waren und damit nichts zu tun hatten. Und wieder: Schlagstock, Körperpanzerung, Helm wurden voll eingesetzt. Das Motto: Abschreckung. Wenn es weh tut umso besser.
Noch einmal: Was ist das für ein Regime, dass an einem solchen Tag nicht bereit ist, auch nur den kleinsten Wiederspruch zuzulassen? Dass sich durch die Polizei von der eigenen Bevölkerung schützen lassen muss?
Im Internet kursieren viele Photomontagen wie diese hier: Auf der einen Seite Bilder von der Inauguration Barack Obamas. Auf der anderen Seite Bilder vom gestrigen Tag in Moskau.
- Quelle: Мы были на Болотной площади и придем еще
Die "Schneerevolution" ist an ihren eigenen Fehlern gescheitert
Die Spitze des Regimes glaubt vermutlich, mit solchen Aktionen Stärke zeigen zu können um eventuelle Gegner abzuschrecken. Tatsächlich zeigt sie, dass das politische System auf tönernen Füßen steht, weil Putin zumindest in der Hauptstadt keinen Rückhalt in der Bevölkerung hat. Die gesamte Inszenierung ist derart grotesk, dass sogar politisch wenig interessierte Moskauer sich davon abgestoßen fühlen. Je härter die Repression, desto größer wird die Sympathie für die Gegner des Systems.
Gleichzeitig fehlt der Opposition jede Art von Führung. Die bekannten Anführer der Protestbewegung der letzen Monate wie der rechts-liberale Anwalt Alexej Navalnij oder der linke Aktivist Sergej Udalzov haben die in sie gesetzten Erwartungen weitgehend enttäuscht: Strategische Fehler, Streitigkeiten zwischen verschiedenen Gruppen und persönliche Eitelkeiten haben dazu geführt, dass die große Welle der Empörung über die Wahlfälschungen inzwischen in sich zusammengebrochen ist ohne institutionell irgendeine Form von Wirkung ode Erbe hinterlassen zu haben.
Putin hat keinen Gegner - und genau das ist sein Problem
Auf der Ebene der Machtpolitik ist es Wladimir Putin in den letzten Monaten gelungen, alle Andersdenkenden auszumanövrieren, das Regime hat keine Zugeständnisse gemacht die das System in Frage stellen und es gibt keine Organisation, keine Institution, keine Partei, Gewerkschaft oder Ähnliches, die Putin auch nur im Entferntesten herausfordern könnte. Noch mehr: Da das Regime mit der zersplitterten Protestbewegung der letzten Monate so leicht fertiggeworden ist dürften viele im Kreml sich jetzt noch sicherer als vorher fühlen nach dem Motto: Wenn das alles war, was die Opposition uns entgegenzusetzen hat müssen wir uns wirklich keine Sorgen machen.
Das bedeutet aber auch, dass niemand die immer größer werdende Unzufriedenheit auffangen und kanalisieren kann. Besonders an den linken und rechten Rändern der Protesbewegung gibt es immer mehr Anzeichen für eine Radikalisierung bis hin zu einem Abgleiten in die Gewalt. Der Kreml müsste jetzt versuchen die Brüche in der russischen Gesellschaft zu kitten und die Gegner zurück ins Boot zu holen. Statt versöhnlicher Gesten zu setzen schickt die Führung aber lieber die Einsatzpolizei.
Wie es politisch in Russland weitergehen wird ist völlig offen, klar ist nur eines: Dem Land stehen unruhige Zeiten bevor.