Reportage

Flugzeuge im Kopf

Kilez More, Eva Richlik und Renate Ljatifi fühlen sich vor dem Kopf gestoßen. Thomas Rammerstorfer hatte in seinem Gastkommentar Vorwürfe gegen den Wiener Rapper erhoben, er hätte im Rahmen eines Schulbesuchs Verschwörungstheorien verbreitet. Nicht nur die Schulleitung unter Richlik sondern auch die damals verantwortliche Lehrerin Ljatifi wehren sich gegen die Vorwürfe


Als der Wiener Musiker Kevin Mohr, alias Kilez More, 2009 die Kooperative Mittelschule Pazmanitengasse besuchte, hätte er nicht ahnen können, welche Folgen sein Besuch knapp drei Jahre nachträglich haben wird. Später wird er sagen, dass eine entspannte und harmonische Atmosphäre geherrscht habe. Er wird sagen, dass es sein Ziel war, den Schülern der Klasse 4a kritisches Denken beizubringen oder sie zumindest darauf hinweisen, dass es noch andere Wahrheiten gibt, als jene, die in Lehrbüchern stehen oder übers Fernsehen vermittelt werden. Er wird nicht verstehen, warum man ihn als Verschwörungstheoretiker abstempelt, nur weil er beispielsweise die Ereignisse rund um die Anschläge des 11. September nicht so einordnet, wie sie medial dargestellt wurden. 

Kevin Mohr, 24 Jahre alt, ist gebürtiger Österreicher, der seine Jugend in Stuttgart verbracht hat. Seine Eltern und sein sechs Jahre älterer Bruder seien für seine kritische Einstellung der gesellschaftlichen Norm gegenüber maßgeblich verantwortlich. Die kritische Auseinandersetzung mit den politischen und wirtschaftlichen Weltereignissen, bezeichnet er als innerlichen Drang: "Das ist doch letztendlich die Aufgabe eines mündigen Bürgers. Einfach nur alles hinnehmen und immer brav Ja sagen, führt doch zu nichts", sagt er und stellt sich gegen "Repeater, Ja Sager, Kopfnicker, Arschkriecher".


Der Gastkommentar von Thomas Rammerstorfer dürfte seine Skepsis gegenüber Medien und Journalisten bestätigt haben, denn Kevin Mohr möchte das Gespräch ebenfalls aufzeichnen. Damit er später den Wahrheitsbeweis auf Band hat? "Wenn Journalisten ein Ereignis oder eine Person schlecht darstellen wollen, dann schaffen sie das auch. Dabei werden Wortfetzen oder Zitate aus ganzen Absätzen herausgerissen", sagt er mit fester Stimme. Kurz vor dem Interviewtermin saß er noch in einem Lehrsaal der Universität Wien. Er studiert Psychologie, Philosophie und Germanistik. Auf Lehramt. Das derzeitige Bildungssystem greift ihm zu kurz, wenn es um kritische Auseinandersetzung mit geschichtlichen oder wirtschaftlichen Geschehnissen geht: "Die Schule schreibt sich kritisches Denken auf die Fahne, aber wenn einmal eine Meinung vom Mainstream abweicht, dann wird das nicht honoriert. Gute Noten bekommt man, wenn man die Fakten aus dem Lehrbuch auswendig lernt und diese bei der Prüfung wiedergibt". 

Seit drei Jahren verpackt Kevin Mohr seine kritischen Gedanken in Rapmusik und tritt Österreichweit als Kilez More auf. Seine Musik bezeichnet er als Truthrap oder Inforap. "Ich möchte mich mit dieser Bezeichnung von den Gangster Hip Hoppern, die nur über Titten, dicke Autos und Drogen reden, abgrenzen. Die Leute sollen sich mit meinen Gedanken und Vorstellungen genau so kritisch auseinandersetzen, wie sie es mit allen anderen Dingen auf der Welt machen sollen". Einige seiner Lieder drehen sich um die Anschläge von 9/11, oder von mächtigen Bündnissen wie Freimaurern, die in Wahrheit die wirtschaftlichen und politischen Machenschaften lenken sollen, aber auch von Chemtrails, ein vermeintliches Geheimprojekt der USA, die mittels Flugzeugen Aluminium und Bariumverbindungen in die Atmosphäre absondern. Manche würden sagen, das seien klassische Verschwörungstheorien. Kevin sagt, dass sind überprüfbare Fakten. 


Wenn er von den Anschlägen vom 11.September spricht, kommt er in Fahrt. Wie im Höhenflug, zählt er hektisch ein Faktum nach dem anderem auf, warum er der medial verbreiteten Meinung keinen Glauben schenken kann. Er sagt, dass die Zwillingstürme in Freifallgeschwindigkeit runtergekommen seien; dass vor dem Zusammenstoß bereits Explosionen im Keller zu vernehmen waren; dass das World Trade Center 7 in sich zusammengefallen sei wie ein Kartenhaus, verursacht durch eine gezielte Sprengung; dass viel aufgezeichnetes Material nicht veröffentlicht wurde. Seine Augen blitzen auf, wenn er über George W. Bush und Dick Chaney spricht, die nicht unter Eid aussagen wollten. "Ist das nicht Grund genug? Da ist doch was faul an der ganzen Sache!"

Er sage nicht, dass es so gewesen ist, er stelle lediglich Fragen. Also nur reine Denkmodelle? Wenn ja, warum müssen diese in einer Mittelschule unterbreitet werden? Müssen sich 14- bis 16-jährige Schüler mit solchen Theorien auseinandersetzen, um medienkritisch sensibilisiert zu werden? Wenn ja, wieso wird kein Experte eingeladen sondern ein Musiker, für den seine Gedankenmodelle als überprüfbare Fakten erscheinen?

Eva Richlik ist Direktorin der Kooperativen Mittelschule Pazmanitengasse und hat in erster Linie Angst um den Ruf ihrer Schule. Am Telefon noch überrumpelt, wählt Richlik in ihrer schriftlichen Stellungnahme klare Worte. Der Gastkommentar hätte eine große Empörung im Lehrerzimmer ausgelöst. „Als geradezu pervers müssen nun der betroffene und schockierte Lehrkörper und die Direktion den medialen Anwurf des Herrn Rammerstorfer empfinden, dass hier ein Forum für faschistoid-obskure Verschwörungstheorien, Rassismus, Intoleranz und Gewalt ermöglicht oder auch nur geduldet wird“, schreibt Richlik. Man wollte bei den Schülern doch nur „ein medienkritisches und konsumkritisches Verhalten fördern“. Sie erwähnt Auszeichnungen und Preise, welche die Mittelschule in jüngster Zeit gewonnen habe und ist bemüht, die Wörter Toleranz, Reflexion und Integration oft zu erwähnen.


Auch Renate Ljatifi, die damals Lehrerin in der 4a war, ist verwundert über die Kritik. Sie verstehe die ganze Aufregung nicht. Es sei nichts Schlimmes vorgefallen. Im Gegenteil: Kilez More sei ein sympathischer, höflicher, junger Mann, der gemeinsam mit den Kindern ein Musikvideo gedreht hat. Doch warum wurde ausgerechnet er als Musiker eingeladen? "Die Schüler selbst sind auf den Rapper gestoßen, weil sie überrascht waren, in seinen Texten nichts über Sex, Drogen und wilden Partys zu lesen". Ljatifi hätte sich Tage zuvor mit den Schülern auf den Besuch von Kilez More vorbereitet.

"Natürlich habe ich mir seine Lieder angehört und die Texte durchgelesen und sehe seine Gedanken und Ideen als Denkanstoß und nicht als die absolute Wahrheit", sagt Ljatifi. Die 53-jährige Lehrerin kann in den Texten und Liedern von Kilez More keine Verschwörungstheorien erkennen. Sie sagt, Begriffe wie "neue Weltordnung" oder "Chemtrails" waren bereits aus den Geschichtsbüchern bekannt. Dass bis dato keine wissenschaftlichen Belege für Chemtrails existieren, erwähnt Ljatifi mit keinem Wort.

Noch vor einigen Tagen war das Schulprojekt mit Kilez More sowohl auf der Website der Schule als auch auf der des Musikers abrufbar. Mittlerweile ist das Projekt auf beiden Seiten offline. "Ich habe mit Renate Ljatifi telefoniert und sie hat mich gebeten, die Bilder von der Website runterzunehmen. Sie hat Angst um den Ruf der Schule", sagt Mohr.

Während sich die Beteiligten um ihren Ruf sorgen und die Kritik nicht auf den Besuch von Kilez More beziehen sondern gleich auf die gesamte Schulführung, scheinen die tatsächlichen Fragen verloren zu gehen: Sollten Verschwörungstheorien Gegenstand des Unterrichts sein? Sollten Schüler nicht durch Experten auf Medienkritik und Medienethik aufmerksam gemacht werden? Fundierte Antworten jedoch bleiben aus.