Berlin
Ein schwarzes Gespenst am Checkpoint Charlie
In Berlin hat sich bereits am Samstag angekündigt, was am Sonntag in Europa passiert ist. Die Veränderung in Europa ist auch eine Absage an die deutsche Hegemonie.
Am Samstag marschierte eine Handvoll Demonstranten über die Friedrichstraße in Berlin. Ebensoviele Polizisten waren unterwegs, um sie zu bewachen. Und gleich viele Schaulustige betrachtete die vorbeiziehende Gruppe und ihre Bewacher. Die Demonstranten waren gekommen, um ihren Unmut gegen das Spardiktat der Deutschen für Griechenland zu zeigen. Die Beobachter am Straßenrand konnten nicht verstehen, warum gegen die vermeintlichen Retter Griechenlands demonstriert wurde.
Regenwolken ziehen über Mitte auf, die Demonstranten tragen schwarze Jacken; die Polizisten tragen schwarze Uniformen und Barette; die Beobachter tragen Pullover und Regenjacken. Drei hermetische Welten die auf dieser Straße gleichzeitig existieren.
Dieser Samstag ist der letzte Tag dieses Kriseneuropas, an das sich alle in den letzten Jahren gewöhnt hatten. Am nächsten Tag wurde das politische Gefüge in Europa nachhaltig verändert.
Statt eines untertänigen Premierministers in Griechenland, haben jetzt radikale Kräfte zumindest kurzzeitig das Sagen. Sie werden die Sparvorgaben ganz ehrlich nicht erfüllen, die von den Verwaltern gesetzt wurden. In einer revolutionären Wahl wurden die bisherigen politischen Eliten marginalisiert. Die radikalste Regierung in Europa seit Fidesz wird einen Gegenentwurf für das Gesundschrumpfen liefern, das die Eurozone wieder auf eine harte Probe stellen wird.
Merkel ist mit Sarkozy nicht nur noch ein Präsident abhanden gekommen, sondern auch ein verlässlicher Partner auf europäischer Ebene. Gemeinsam hat man Regierungen umgebildet, Sparpakete geschnürt, kurz gesagt: Europa gestaltet. Nun steht ihr ein sozialistischer Präsident gegenüber, der nicht um jeden Preis neben ihr an der Spitze Europas stehen will, den sein Ego nicht in den Mittelpunkt treibt. Bis zur Wahl hatte Merkel Hollande bekämpft und ihm nach der Wahl ohne Schonfrist gratuliert. Sogar Schäuble hat sich solidarisiert und die Gewerkschaften im Lohnkampf unterstützen. Deutschlands Konkurrenzfähigkeit um jeden Preis wird nun ihr Ende finden und zu einem Ausgleich der Produktionsbedingungen in Europa führen müssen.
In Kiel konnten, obwohl auch diesmal nur hundert Prozent zu vergeben waren, alle gewinnen. Die CDU ist auf Platz eins geblieben, die SPD hat dazugewonnen, die Grünen auch, die SSW wird wahrscheinlich in die Regierung einziehen, die Piraten sind in den nächsten Landtag eingezogen und die FDP konnte nicht nur im Landtag bleiben, sondern sogar mit den Piraten gleichziehen, die Linke kann sich wieder verstärkt auf ihr Kernland konzentrieren. Kleines Manko für die Parteien, die die Bundesregierung stellen und bisher auch die Landesregierung stellten, sie haben ihre Mehrheit in Schleswig-Holstein verspielt. Auch bei der Wahl in Nordrhein-Westfalen am kommenden Sonntag wird es für Schwarz und Gelb bestenfalls Achtungserfolge zu verbuchen geben. Doch solide Ergebnisse in den Ländern für die FDP, die bereits ausgestorben schien, wird die Koalition bis zu den Bundestagswahlen 2013 stabilisieren, obwohl die eine oder andere Personalrochade noch anstehen könnte. Die Sozialdemokraten werden bis dahin versuchen, sich mit dem neuen Präsidenten in Frankreich zu fraternalisieren. Bloß könnte es passieren, dass Hollande Merkel gegenüber Sigmar Gabriel vorzieht und die SPD wieder keinen Profit schlagen kann.
Auf der Friedrichstraße zieht der schwarze Tross weiter Richtung Norden. Nur die Beobachter bleiben am Straßenrand zurück und können sich noch immer keinen Reim machen, auf das, was sie gerade gesehen haben.