aus dem Sinn
Spiegel der Gesellschaft
Wie in einem Land mit Bettlern umgegangen wird, ist auch ein Indikator dafür, wie man mit Armut generell umgeht. Seit einigen Jahren ist, nicht nur in Österreich, die Tendenz zu beobachten, um Almosen bittende Menschen aus dem öffentlichen Raum zu verbannen.
1970er Jahre Bettelverbote werden in Salzburg und Tirol erlassen
1996 Aus der Slowakei treffen Bettler in Graz ein
2008 Wegen der EURO wird in Wien das Verbot verschärft
2010 Als Reaktion auf Wien zieht Niederösterreich nach
3. Mai 2011 In der Steiermark tritt das allgemeine Bettelverbot in Kraft
2012 Polizei Graz erlässt 15 Anzeigen
März 2012 Vfgh beginnt Beratungen
In der Steiermark jährt sich das allgemeine Bettelverbot zum ersten Mal. Ist es der selbsternannten Reformpartnerschaft aus ÖVP und SPÖ gelungen, bettelnde Menschen aus dem Stadtbild zu verdrängen? Welche Folgen hat das für die Armen, die vor allem aus den östlichen Nachbarstaaten nach Österreich kommen? Und welche Konsequenzen hat das für den Rest Österreichs?
1989 endet das Sowjet Regime und der eiserne Vorhang fällt. Viele Menschen in den ehemaligen Sowjet- Staaten verlieren ihre Arbeit. Besonders Minderheiten leiden unter der schlechten wirtschaftlichen Entwicklung. Anhänger der Roma Volksgruppen leben am Existenzminimum, trotz einer staatlichen Arbeitslosenhilfe. Für viele war es jahrelang der einzige Ausweg im reicheren Österreich betteln zu gehen. Doch im prosperierenden Nachbarstaat stört man sich nicht nur am Betteln, es ist sogar vielerorts strikt verboten.
Stadt ohne Bettler- vom Gesetz geregelt
Ein allgemeines Verbot existiert in Salzburg und Tirol schon seit den späten 1970er Jahren. Im Gegensatz zu den anderen Bundesländern wird Betteln und Hausieren in Vorarlberg im Sammlungsgesetz geregelt und nicht im Sicherheits- oder Polizeigesetz. Auch dort dürfen „Armutszeugnisse zur Sammlung milder Gaben nicht ausgestellt werden.“
Im Jahr 1996 füllen sich in Graz die Straßen der Innenstadt mit Menschen, die still am Boden hocken und den Passanten ihre Hände entgegen strecken. Es sind die Bettler aus Hostice. Pfarrer Wolfgang Pucher und die Vinzenzgemeinschaft Eggenberg nehmen sich den etwa 70 Personen an und besorgen ihnen Quartiere.
Wien verschärft kurz vor der EURO 2008 das Bettelverbot: „Kinderbettelei ist nun in Wien verboten“. Für die Besucher aus aller Welt sollen bettelnde Kinder nicht das Stadtbild verschandeln. Bedürftige Menschen wecken gemischte Gefühle. Aber genauso auch die Diskussion um die Bettelverbote. 2010 wird das Gesetz erneut ausgeweitet. Gewerbsmäßiges und aggressives Betteln sind fortan verboten. Bettler tauschen untereinander Geld aus, um für den anderen etwas zu essen zu besorgen. Wie man also die organisierte Bettelei von den einfachen Clochards unterscheidet, bleibt ein Geheimnis.
Ein Rest Menschlichkeit?
Einzig das Burgenland verzichtet auf ein gesetzliches Bettelverbot. Niederösterreich orientiert sich an Wien und verbietet seit 2010 gewerbsmäßiges und aufdringliches Betteln. Wenn sich in einer belebten Straße eine Frau oder ein Mann nähern und jemanden direkt um Geld bitten, gilt das bereits als aufdringliches Betteln. Oberösttereich und Kärnten erlassen 2011 restriktive Bestimmungen.
In Graz sind die Bettler und ihre Familien geblieben. Die Vinzenzgemeinschaft hat für einige von ihnen Beschäftigung in Pfarrhäusern gefunden. Die Übrigen verbringen den Tag auf der Straße und sind abhängig von dem Großmut der Bevölkerung. Nachts schlafen sie in einer aufgelassenen Fabrikshalle, dem Vinzinest.
Roma in Hostice und Graz
- Kinder in Hostice (c) VinziWerke
- Roma Familie in Hostice (c) VinziWerke
- In Graz gilt seit einem Jahr das Bettelverbot (c) Chris Schreiber
- Demo gegen das Bettelverbot (c) VinziWerke
- Viele kolportieren auf Plätzen in Graz (c) Chris Schreiber
- Elendes Leben in Hostice (c) VinziWerke
- Arbeit für die Roma (c) VinziWerke
Die Wählerstimme zählt
Das schärfste Verbot Österreichs ist seit einem Jahr in Kraft. In Graz, der ehemaligen Hauptstadt der Menschenrechte, ist Betteln im öffentlichen Raum seitdem komplett verboten. Laut Pfarrer Wolfgang Pucher ist der Grund für das strikte Gesetz klar: „Der rechtspopulistische Druck wird auch auf die großen Parteien stärker. Ein großes Thema ist Armut und die Volksparteien haben Angst Stimmen zu verlieren.“ Der Moment im Frühjahr 2011 als das Gesetz beschlossen wurde, war schlimm: „Anfangs sind viele gar nicht mehr gekommen. Ein Mann hat drei Tage nichts mehr gegessen, um seine Kinder weiter ernähren zu können.“ So haben viele der Betroffenen reagiert.
Die etwa 50- 70 Bettler, die sich in Graz aufhalten, gehören der Roma Volksgruppe an und kommen alle aus dem ostslowakischen Dorf Hostice. Generell ist ein Großteil der Bettler in Österreich Anhänger der Roma- Minderheit. Sie kommen aus der Slowakei, aber auch aus Ungarn und Rumänien.
Bis zuletzt hat die Vinzenzgemeinschaft, die sich seit 15 Jahren um die Bettler in Graz kümmert, versucht das Gesetz zu blockieren. In Hostice sind 98 Prozent der Roma arbeitslos. Koordinatoren der Vinzengemeinschaft haben berechnet, dass sie dort trotz Sozialhilfe von 55 Cent pro Tag leben: „Zum Sterben zu viel, zum Leben zu wenig.“ Also nehmen sie den fünf stündigen Weg nach Graz auf sich und bleiben ein, zwei Wochen. Mit den gesammelten Almosen reisen sie zurück, um ihre Familien eine Zeitlang ernähren zu können.
Bleiben- trotz Verbot
Aus Graz haben sich die Roma Familien trotz des Bettelverbots nicht vertreiben lassen. Sie stehen dort wo sie früher standen und verkaufen die Zeitschrift „Global Player“ des Bürgerrechtlers Di-Tutu Bukasa. Als Kolporteure verdienen sie etwa 8- 10 Euro am Tag, früher waren es bis zu 15 Euro. Harald Gutschi von der Polizeidirektion Graz sieht darin eine neue Form des Bettelns: „Es ist so, dass jetzt auch andere kommen, die nicht Global Player verkaufen, sondern alte, faserige Zeitschriften.“ Gutschi glaubt aber trotzdem nicht, dass das Mitglieder eines illegalen Bettelrings sind. „Das sind Menschen, die müssen das zu ihrem Lebensunterhalt machen.“ Widersetzungen gegen das Bettelverbot werden geahndet- Ersttäter zahlen bis zu 50 Euro. Das Geld wird von Menschen verlangt, die vollkommen mittellos sind. „Wiederholungstäter gibt es nur ein oder zwei. 2012 wird die Zahl der Gesetzesübertretungen verschwindend gering. Etwa 15 Anzeigen haben wir bisher verteilt.“ Die Höchsstrafe liegt in der Steiermark bei 2000 Euro, die bisher aber noch nie ausgestellt wurde, so Gutschi.
Diskriminierung von allen Seiten
Die Roma kommen nach Österreich, weil es hier mehr Wohlstand als in der armen Ostslowakei gibt. Aber in Bratislava gäbe es auch Möglichkeiten für sie zu betteln. „Es gibt grauselige Berichte über die Roma in der Slowakei. Was mit denen passiert und wie sie diskriminiert werden, ist menschenunwürdig“, sagt Pfarrer Pucher. Er setzt weiterhin auf die Hilfe in Graz, aber auch vor Ort. So hat das Land Steiermark kürzlich 20.000 Euro an Hostice gespendet, um die marode Schule zu renovieren. „Durch das Bettelverbot kann die Landesregierung vor den Bürgern argumentieren, warum sie Steuergelder an ein fremdes Land gibt.“
Trotz solcher Bestrebungen hat die Vinzigemeinschaft gemeinsam mit einem Slowaken Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof eingereicht. Das Erkenntnis der obersten Richter lässt auf sich warten: „Schon im November letzten Jahres hat man dort gesagt, dass der Sachverhalt noch in dieser Periode behandelt wird. Aber die wollen absolut sicher gehen.“ Im März 2012 beginnt der Gerichtshof mit Beratungen über Anträge gegen das Oberösterreichische und Wiener Bettelverbot. Die Klage ist vom Sommer 2010.
Bettelverbot- Verstoß gegen die Menschenrechte?
Geprüft wird, ob das Gesetz formale oder inhaltliche Mängel aufweist. Der Antrag aus Oberösterreich bringt vor, „dass ein Landtag ein solches Bettelverbot aus Kompetenzgründen gar nicht hätte beschließen dürfen, da der Bund zuständig sei.“ Das hätte Folgen für die Bettelverbote auf Bundesebene.
Ob eine Verletzung der Menschenrechte vorliegt, entscheiden inhaltliche Kriterien. Dafür gibt es zwei Argumente: es kann niemandem verboten werden, seine Not kund zu tun. Außerdem hat jeder Mensch das Recht, den Weg seines Lebensunterhaltes frei zu wählen. Welches Erkenntnis die obersten Richter auch treffen. Fest steht, die Armut wird durch Bettelverbote nicht bekämpft. Es ist ein Kampf gegen die Armen.
Factbox
Großteil der Bettler in Österreich sind Roma
Familien schließen sich zusammen und reisen gemeinsam für einige Zeit nach Österreich, um zu betteln
Die Verbote zwingen viele zum Kolportieren
Bettelverbote existieren in fast allen Bundesländern. Ausnahme ist Burgenland
Verfassungsgerichtshof beschäftigt sich mit Klagen aus fünf Bundesländern (Wien, Oberösterreich, Steiermark, Salzburg und Kärnten)
Quellen
Betteln in Österreich aus theologisch- ethischer Perspektive (Diplomarbeit)
Institut für Menschenrechte Graz
Interview mit Pfarrer Wolfgang Pucher
Interview mit Harald Gutschi (Landesolizeidirektion Graz)