Kommentar
Alles Idioten!
Michael Schmidt-Salomon schreibt ein kurzes und knackiges Pamphlet wider der mangelnden Intelligenz seiner Zeitgenossinnen und Zeitgenossen. Diese Fahrt auf der Achterbahn der Entrüstung ist so lange rasant, bis einem davon schlecht wird.
"Es ist eine Binsenweisheit, dass größere Menschenmassen größere Probleme erzeugen. Dennoch: Der eigentliche Grund für die globale Misere liegt nicht in der gestiegenen Biomasse des Menschen, sondern in der zu wenig genutzten Hirnmasse: Wir sind schlichtweg zu doof, um so viele zu sein! Jede ökologische Nische verträgt nur ein gewisses Maß an Blödheit - und der Mensch überspannt den Bogen in dieser Hinsicht gewaltig." (aus "Keine Macht den Doofen" von Michael Schmidt-Salomon)
Mit einer knappen und markigen Sprache fährt Michael Schmidt-Salomon in seinem kleinen Pamphlet direkt in die Großhirnrinde des neugierigen Lesers. Ein Cover in knalligen Farben und dem Spruch "Keine Macht den Doofen" versehen, lädt einen auf eine abenteuerliche Reise durch die Idiotie unserer Gegenwart ein. Es wird kein Bereich des täglichen Lebens ausgespart. So viele Entwicklungen in unserer Gesellschaft stehen vor einer existentiellen Krise, dass eine Stimme, die auf die wunden Stellen der aktuellen Brennpunkte zeigt, generell wohlwollende Aufmerksamkeit bekommt.
Dieser Prophet der Intelligenz ist kein Unbekannter: Michael Schmidt-Salomon ist Mitbegründer und Vorstandssprecher der Giordano Bruno Stiftung und bezeichnet sich selbst als "evolutionären Humanisten". Es war zu erwarten, dass vom bekennenden und wortgewaltigen Atheisten zunächst fromme Menschen ihr Fett abbekommen: Zusammengefasst sind Christen, Juden, Muslime aber auch Hindus und Buddhisten die Idioten schlechthin und wenn der Ton manchmal beleidigend wird, dann kann man sich als fromme, aber traurige Figur nur damit trösten, dass nicht nur die beseelten unter den Homo Sapiens ihr Fett abbekommen.
Esoterik, falsch verstandene Ökologie, Kapitalismus, Medien, die Politik und das brach liegende Bildungssystem werden genüsslich auseinandergenommen. Die Fehlentwicklungen dieser Themenkomplexe werden auch mit schmucken Wortkreationen versehen: Es gibt demnach die Religioten, Ökologioten, Ökonomioten, Politioten, Pädagogioten, usw.
Dieses kleine Heftchen (mir liegt eine eBook-Version vor, die sich an einem verregneten Nachmittag in einem Zug durchlesen lässt) ist ein unterhaltsamer Schmöker, für Menschen, die an die Vernunft glauben wollen. Der Lesegenuss grenzt manchmal an Masochismus, weil man als Subjekt dieser Welt auch oft bei der einen oder anderen Idiotie ertappt wird und sich rüde aber gewitzt belehren lassen muss. Leider, und das ist wohl der große Nachteil der Lesung, ist für mich die notwendige Reaktion auf die verheerende gegenwärtige Situation nicht wirklich schlüssig erklärt. Der Schluss des Buches endet mit Ermahnungen und der Hoffnung auf die Durchsetzung der Vernunft und entlarvt hier eine ideologische Verfangenheit des Autors.
Abgesehen davon, dass das Konzept "Der Mensch rettet sich allein durch Vernunft" nach Ausschwitz und der Atombombe immer noch nicht das Gelbe vom Ei bedeutet, enthüllt der knappe Schluss auch eine ordentliche Portion Arroganz. Mich stört an dem Buch der unreflektierte und unbedingte Glaube an rationale Lösungsansätze, der wider besseren Wissens den Menschen auf den vernünftigen Teil seiner Existenz reduziert.
Das ist schade, weil unmenschlich. Irgendwann wäre es nämlich für die "Klugen" dann wohl definitiv "rational", "Doofe" aus dem System auszugrenzen. Eine Gesellschaft, die sich nur auf die Intelligenz der Individuen konzentrieren würde, schafft letztendlich wieder den Boden für eine elitäre Tyrannei.
So hinterlässt die amüsante Lektüre einen bitteren Nachgeschmack. Sie beweist wieder einmal, dass unser Gesellschaftsvertrag vor einem folgenschweren Paradigmenwechsel steht. Die Geduld der Menschen neigt sich dem Ende zu und sie verlangen - ganz zu recht - Veränderungen von Gesellschaft und Individuen. Aber ein wesentliches Qualitätsmerkmal eines wirklich humanistischen Systems findet sich in seinem inkludierenden Charakter: Der Mensch muss in der Welt per se seinen Platz haben, seine Existenz berechtigt ihn dazu. Wer diesen unbedingten Anspruch verwässert, weil ihm der Geduldsfaden zu reißen droht, der hat es wohl nicht schwer, gute Argumente zu liefern, wird aber keine bessere Welt hinterlassen.