Analyse
EU-Krisenmanagement von unten – wie wir die Krise selbst meistern
Wer die Tagesnachrichten über die Schuldenkrise verfolgt, müsste glauben, die Europäische Union sei dem Untergang geweiht und dies könne nur durch hartes Durchgreifen „von oben“ vermieden werden. Warum dem nicht so ist, wie engagierte EU-Bürger der Wirtschaftskonjunktur trotzen und was europäischer Journalismus damit zu tun hat
Eine Main-Stream Berichterstattung, die mit Finanzvokabular, Euro-Geldern in Milliardenhöhe und den Namen Merkollande (vormals Merkozy), Juncker und dergleichen jongliert, verschleiert gleichzeitig zivilgesellschaftliches Engagement in Zeiten der Konjunktur.
Die Krise als Chance? So verstehen es gewissermaßen einige EU-Bürger, die vor allem der persönlichen Wirtschaftsmisere trotzen. Denn Armut macht bekanntlich kreativ und so heißt die neue Devise „am Euro vorbeiwirtschaften“. Mit Zeitbanken, Tauschhandel und ähnlichen Initiativen setzen Betroffene – wenn auch nur einen bescheidenen - Wendepunkt im gegenwärtigen Kapitalismussystem und warten nicht auf Lösungen aus der oberen EU-Politschicht.
Netzwerken statt zahlen: die Zeitbank
Der Handel mit Dienstleistungen beispielsweise muss nicht zwangsläufig den Weg des Euro passieren. In Spanien und Deutschland haben engagierte Bürger je eine Zeitbank initiiert, deren Mitglieder ihr Wissen und Handwerk zum Tausch anbieten. Kurzum: Arbeit wird mit Gegenarbeit bezahlt. Geleistete Tätigkeit wird in Form von dafür verbrauchter Zeit gutgeschrieben und wer Hilfe benötigt, löst seine gearbeitete Zeit gegen die gewünschte Aktivität (sofern angeboten) ein.
So haben sich europaweit ähnliche, kleine Netzwerke gebildet, die alternativen Tauschhandel betreiben. Positiver Nebeneffekt: gesellschaftliches Engagement wird gefördert und negative Gefühle des „Nicht-Gebraucht-Werdens“ in Zeiten der Arbeitslosigkeit relativiert.
Der gute alte Tauschhandel
Aber auch der klassische Tauschhandel erfährt erneut Aufschwung. Das bis dato wohl berühmteste Beispiel ist die Initiative des griechischen Nationaltheaters in Thessaloniki, wo während fünf Vorstellungen im März und April dieses Jahres statt Eintrittsgeldern Nahrungsmittel verlangt wurden. Diese sollen dann sozialen Einrichtungen, Waisen und alleinerziehenden Müttern zugutekommen.
Auch die Bürgerinitiative „Kartoffelbewegung“ stammt aus Griechenland: das Nahrungsmittel wird direkt vom Bauern zum Endverbraucher gebracht und so unnötige Transaktionskosten umgangen, die den Originalpreis des Produkts künstlich in die Höhe schnellen ließen. Und zu guter Letzt ermöglichen Internetplattformen wie xariseto.gr den unentgeltlichen Tauschhandel mit diversen Alltagsprodukten.
Bedingungsloses Grundeinkommen
Zugleich werden Diskussionen rund um das bedingungslose Grundeinkommen wieder laut. Die Idee wurde teilweise bereits umgesetzt, wenn auch unter anderem Namen. Man denke an Arbeitslosengeld, Sozialhilfe und dergleichen in Österreich oder Hartz IV in Deutschland.
Der Ansatz ist durchaus erwägenswert, wenn auch utopisch. In Zeiten des „Generation Praktikum“, in denen sich ein Teil der Arbeitsbevölkerung unter vermehrt prekären Anstellungsverhältnissen quasi versicherungslos durch den Kapitalismusdschungel schlagen muss, wäre das bedingungslose Grundeinkommen allerdings eine Art Absicherung (so auch für Selbstständige mit abwechselnden Jobs).
Einer für alle, alle für einen – wo bleibt die Europäische Identität?
Mit den genannten Initiativen wolle man den Euro nicht abschaffen, aber sehr wohl den Wert des Geldes relativieren – zum Nachdenken über Quantität und Qualität anregen. Es geht dabei auch um den überlegten Umgang mit dem eigenen Kapital und weiterführend dem eigenen Können und Wissen.
Allerdings bleibt folgende Frage offen: inwiefern helfen diese Initiativen Europa als Gesamtunion?
Denn was man bei der Diskussion über die Schuldenkrisen oft außer Acht lässt: die Europäische Union ist nicht bloß Wirtschaftsgemeinschaft, zumindest auf dem Papier. So steht es in Artikel 3 der EU-Verfassung: „Sie fördert den wirtschaftlichen, sozialen und territorialen Zusammenhalt und die Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten.“
Über durchaus positive regionale Initiativen hinaus, ist also auch Umdenken in größerem Maßstab gefragt - eine europäische Identität der EU-Bürger muss her. Und diese entsteht, nach einer Definition des Politikwissenschaftlers Thomas Meyer, „durch das Zugehörigkeitsgefühl zu einem gemeinsamen Gemeinwesen. Die Mitglieder der Gemeinschaft, in diesem Fall die EU-Bürger, müssen von den politischen, wirtschaftlichen und sozialen Projekten überzeugt sein, sie akzeptieren“. Dazu ist neben der Mitarbeit am Gesamtprojekt auch adäquate, umfassende und verständliche Information, kurzum eine europäische Öffentlichkeit notwendig: Hier zählt Klasse statt Masse an Information. Wird der EU-Journalismus dieser Aufgabe gerecht?
Juncker beteuerte in einem Interview im Tagesspiegel, dass „die Erfolge des Euro systematisch verschwiegen“ wurden. Nach dem Motto „only bad news is good news“ berichtet man gegenwärtig – zu Recht - ausgiebig über Fehler der verschuldeten Mitgliedsstaaten sowie der EU-Politiker. So umfassend allerdings diese Berichterstattung ist, so wenig wurden – zu Unrecht – die Erfolge der Eurozone erwähnt.
Permanent schlechte Nachrichten können die europäische Identität logischerweise nicht stärken. Das wiederum mindert das Vertrauen in eine erfolgreiche Lösung der Krise. Damit wir uns selbst wieder aus dem Konjunkturloch hebeln, ist allerdings beides – sowohl engagierte Initiativen, als auch die europäische Identität – unerlässlich.
Quellen
Meyer, Thomas/ Eisenberg, Johanna: Europäische Identität als Projekt. Innen- und Außensichten. VS Verlag für Sozialwissenschaften. Wiesbaden, 2009
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