aus dem Sinn

Eiskalt abserviert

Mit den ersten Sonnenstrahlen, leben die Erinnerungen an das Lieblingseis der 90er Kinder auf: Ein Nachruf an das Tschisi Eis


1923

Produktion von Eiscreme

1960

Unilever kauft Eskimo

1990

Tschisi kommt auf den Markt

1999

Tschisi wird aus dem Sortiment genommen

Es war Sommer und es war unsere Zeit. Unzählige Schauplätze; nur du und ich; gegen den Rest der Welt. Am türkisblauen Höllerersee habe ich dich meinen Freunden vorgestellt. Sie fanden dich süß. Bei meinen Eltern musste ich regelmäßig Überredungsarbeit leisten, doch auch sie konnten dich mir nicht wegnehmen. Wir haben getanzt, gespielt, musiziert. Die Zeit verschmolz in der Augustsonne. Das Leben schmeckte frech. Die Sonne glitzerte auf der Wasseroberfläche und ich weiß noch, wie ich mit dir in der Hand die vielen Gänseblümchen zählen wollte, die verstreut auf der saftiggrünen Wiese im Wind tanzten. Er liebt mich, er liebt mich nicht. Mit dir ging die Sonne auf und wieder unter. Ab und an sahen wir uns Tage lang nicht. Umso schöner die gemeinsamen Minuten. Doch dann warst du weg. Wie viele Jahre habe ich dich nicht mehr gesehen? Ich weiß es nicht mehr. Du zählst sie ja auch nicht, Tschisi. 

Das Tschisi Eis ist die gefrorene Kindheitserinnerung. Entwickelt, produziert, vertrieben und eiskalt wieder eingestellt von der Firma Eskimo. 1923 begann die Wiener Milchindustrie AG mit der Produktion von Eiscreme und verkaufte sie unter dem Namen Eskimo. Vier Jahre später, im Jahr 1927, gab es das erste Eis am Stiel in Wien: den Eskimo Lutscher. 

1960 erkannte der Lebensmittelriese Unilever das Potenzial von Eskimo und kaufte die Marke für eine Million Schilling. Schon bald war Eskimo in ganz Österreich bekannt. 1965 eröffnete Unilever schließlich das Werk in Groß-Enzersdorf, die erste kombinierte Speiseeis- und Tiefkühlproduktion Europas.

Fünf Schilling (0,39 Euro) kostete die gelbe Verführung mit Vanillegeschmack. Im Jahr 1990 wurde das Käseeis auf den Markt gebracht. Dass das Tschisi Eis heute nicht mehr in den Kühlregalen liegt, kann die Eskimo Presseabteilung logisch ableiten: Eistruhen unterliegen einer Platzbeschränkung, neue Produkte - so sei der natürliche Produktlebenszyklus - vertreiben das alte Sortiment und dann ist da noch die Sache mit der Nachfrage: "Die Nachfrage ging langsam aber stetig zurück, bis 1999 ein Verbleiben im Sortiment nicht mehr zu rechtfertigen war". 

Die Käse-Löcher, die charakteristisch für das Tschisi Eis waren, hätten bei der Produktion dazu geführt, "dass es immer wieder zu einem Abbrechen oder Absplittern der Eisstäbchen gekommen ist", schreibt die Presseabteilung besorgt. Heute nennt man das Qualitätssicherung. Schließlich könne man das Tschisi Eis nicht ohne die Käse-Löcher herstellen, heißt es weiter im Schreiben, denn dann wäre es nur das halbe Vergnügen. Mhm.

"Nicht genügend", sagen die Mitglieder der Facebookgruppe "Wir wollen das Tschisi-Eis zurück", die das ganze Jahr über Kindheitserinnerungen austauschen. "Ich will doch nur ein einziges Mal das Tschisi Eis essen. Ich könnte mir kein größeres Lebensziel vorstellen", schreibt etwa ein Mitglied pathetisch.

Hoffnung für Hoffnungslose

Einst schrieb der deutsche Schriftsteller Wolfdietrich Schnurre: Lieben heißt loslassen können. Und selbst wenn Dutzende Kinder der 90er Jahre längst die Finger von dir gelassen haben, loslassen werden sie dich nicht, Tschisi. Denn mit dir ging der Sommer und die kindliche Leichtigkeit und es wurde Winter. Kein Wasser- oder Milcheis kann dir das Gefrorene reichen, auch wenn sie über die Trauer kurzfristig hinweg helfen. Ich hoffe auf ein Wiedersehen, denn bestimmt hat der deutsche Philosoph Walter Benjamin recht, wenn er meint, nur um der Hoffnungslosen Willen, ist uns die Hoffnung gegeben.