Reportage

Tirol

Die Tiroler lassen sich weder gern besetzen, noch beleidigen. Dabei treibt ihr facettenreicher Konservativismus Blüten in alle nur erdenklichen Richtungen.


Beschäftigt man sich mit dem verschrobenen Bergvolk, das im Westen Österreichs einige Alpentäler besiedelt hat, muss man sich zunächst die Frage stellen, wie viele verschiedene Arten von Tirolern es eigentlich gibt. Grob unterscheiden sie sich in Nord-, Ost- und Südtiroler, wobei letztere von ersteren durch italienische Expansionswünsche nach dem Ersten Weltkrieg abgetrennt wurden. Die Tiroler, ob sie nun in Nord-, Süd- oder Osttirol leben, verbinden dennoch vor allem zwei Dinge: Einen Sprachfehler und antiquierte Waffen. Darauf sind sie auch sehr Stolz und wenn jemand sich erdreistet, einem Ex-Oberösterreicher im Landtag sein Ex-Oberösterreichertum unter die Nase zu halten, kann er von Glück sagen, wenn er nicht vor ein Exekutionskommando der Tiroler Schützen gestellt und zum Heiligen Hofer in den Himmel geschickt wird.

 

 

Sensibelchen mit Sprachfehler

Die Tiroler sind ein feinfühliges Volckch und man lässt es besser bleiben, auf ihrem Sprachproblem herumzureiten, egal ob sie jetzt Landeshauptmann oder ÖH-Vorsitzende sind. Es ist besser die Tiroler nicht zu Feinden zu haben. Ehe man sich's versieht, wartet vor der Wohnungstür eine bärtige Schlägertruppe mit Vorderladern oder die lokale Stromzufuhr wird sprengstofftechnisch unterbunden. Verhalten Sie sich in der Nähe von Tirolern also brav und still, versuchen Sie nicht wie ein Italiener oder Franzose auszusehen und stellen Sie keine Fragen, deren Beantwortung lautmalerische Probleme bereiten könnten wie „Wie nennt man unehelichen Nachwuchs noch?“. Denn Wörter wie Ckchuckchuckchsckchinder könnten bei Ihnen einen Lachanfall und bald darauf einen faustbezogenen Tod auslösen. Tiroler haben vielleicht schwerfällige Zungen, aber schnelle Hände. Sollte Ihnen also Ihr Trommelfell und ihr Ckchnackch lieb sein, folgen sie der alten Bauernweisheit: „Hände falten, Goschn halten.“


Sankt Hofer und die Landeshymne

Wenn es aber nur Sprachfehler und Waffen wären, die die Tiroler verbinden, könnten sie genausogut Schweizer sein. Nein, die Tiroler haben auch eine glorreiche Vergangenheit des Besetztwerdens und des Den-Besetzern-das-Leben-zur-Hölle-machens hinter sich und sind darauf sehr stolz. In vier Schlachten am Bergisel kämpften sie in den Befreiungskriegen gegen die napoleonischen Truppen und fielen schließlich erst der Wiener Diplomatie zum Opfer. Dass man den Landeshelden Andreas Hofer auch als Tiroler Taliban verunglimpft, weil er Frauen das Tragen züchtiger Kleidung anraten ließ, wird vom offiziellen Tirol nicht gerne gehört. Vielleicht wird die Verhöhnung der Landeshymne auch deshalb mit bis zu 2000 Euro Bußgeld bestraft. Die Hymne, die Hofers physisches Ende in Mantua umschreibt, ist textlich mehrfach umstritten, verweist sie doch sowohl auf Deutschland, als auch auf den guten Kaiser Franz. Jeder, der sich dadurch in seinem österreichischen Nationalbewusstsein verletzt fühlt, steht in Tirol aber sowieso auf verlorenem Posten. Laut Umfragen sehen sich 32% in erster Linie als Tiroler, 30% als Österreicher.

Das mag auch damit zu tun haben, dass ein erklecklicher Anteil der Tiroler im italienisch administrierten Süden lebt und dort je nach politischem Couleur einen auf deutsche oder österreichische Minderheit macht. Seit die Beutetiroler dort nach dem Ende des Ersten Weltkrieges von den Italinern als Ceteros „zivilisiert“ wurden, harren sie im Verband der Sammelpartei SVP nebst Propagandapostille „Dolomiten“ der Landeseinheit, wie die Christen der Wiederkehr des Messias. Solange sie ihre Steuereinnahmen aus Rom zurückbekommen, ist ihnen in Wahrheit alles relativ wurscht. Nur sagen würden sie das nie. Man spricht lieber vom Europa der Regionen und der Überflüssigkeit der Nationalstaaten. Um ein bisschen an die Unterdrückung durch den italienischen Staat und insbesondere durch die Faschisten zu erinnern, trägt man hin und wieder Dornenkronen spazieren oder fährt auf Schutzmachtwallfahrt nach Wien. Mittlerweile betont man zwar die positive Zusammenarbeit, wenn dann aber irgendwelche italienischen Resorgimentofeierlichkeiten anstehen, geht man doch lieber auf Distanz, schließlich - so meint der Südtiroler Landeshauptmann, der ewige Durni - hat man sie 1919 ja nicht gefragt, ob sie da mitmachen wollen. Und deshalb wollen sie es jetzt auch nicht.


Das Urteil der Literaten

Über Wesen und Aussehen der Tiroler wiederum, sind sich die internationalen Schriftsteller einigermaßen uneinig. Während Heinrich Heine meinte, sie seien „schön, heiter, ehrlich, brav und von unergründlicher Geistesbeschränktheit“ gekennzeichnet, witterte David Hume bei ihnen einen „Hauch von Menschlichkeit, Esprit, Gesundheit und Wohlstand“, der sich in jedem Gesicht zeige. Der böse Heine setzte schließlich eins drauf, indem er konstatierte, die Tiroler seien gesund, „vielleicht weil sie zu dumm sind, um krank sein zu können.“ Derlei Pamphletismus entbehrt natürlich jeder Grundlage und man sollte sich hüten, unbedarft die kränkenden Worte eines Flachlandtirolers wie Heine von sich zu geben, denn wie gesagt: Die Tiroler sind sensibel.

Die Tiroler waren aber auch feste Nazis und das nicht nur aus Naivität. Die erhoffte Landeseinheit hat ihnen aber auch Hitler nicht gebracht. Er hat die Südtiroler vielmehr mit der Option - der Möglichkeit als Italiener zu bleiben oder als Deutsche zu gehen - beglückt und damit einen Keil durch sie getrieben. Sogar Osttirol hat man damals an Kärnten angeschlossen. Die höchste NSDAP-Mitgliederquote aller ehemaligen Bundesländer und ein Gauleiter Namens Hofer hinderte die Tiroler dann doch nicht daran am Ende Innsbruck in Eigenregie zu befreien und den Amerikanern zu übergeben. Um aber den Vormarsch der Franzosen zu verhindern, trieben sie einen Eisenbahnwagon in den Arlbergtunnel, um ihn zu sprengen. Die wesentlich unprätentiöseren Vorarlberger zeigten den Franzosen daraufhin den Weg über den Pass. Als die dann aber eine Truppenfahne suchten, die Hofers Männer in den napoleonischen Kriegen erbeutet hatten, war sie schon versteckt worden. Die zweite französische Besatzung ließen die Tiroler williger über sich ergehen, die Fahne haben sie aber heute noch.


Konservativ in allen Varianten

Alte Sturschädel sind sie die Tiroler, das muss man auch noch über sie sagen. Wehrhafte Sturschädel. Wenn auf der Inntalautobahn der Lärm zu viel wird, wird die Autobahn gesperrt, oder besetzt. Wenn die Landeskorruptions- und Vetternwirtschaftsverwaltung TIWAG irgendwo ein Kraftwerk hinbauen will, sind die einen dagegen und die anderen beschimpfen sie als „undankbares Gesindel“, so wie das Herwig van Staa gemacht hat, das alte Schweigen. Wie die Nachbarn im Westen sind auch die Tiroler konservativ, oder noch konservativer. Von den sieben Zweidrittelmehrheiten, die in der Geschichte der Zweiten Republik von einer Partei erreicht werden konnten, entfielen sechs auf die Tiroler-ÖVP. Mittlerweile verfügt diese zwar nicht einmal mehr über die  absolute Mehrheit, aber die meisten der anderen Landtagsfraktionen sind in Wahrheit nur Blockparteien in der Demokratischen Volckchsrepublickch Tirol, deren Dasein sich oft darauf beschränkt, Opposition zu simulieren. Weil die Teile doch oft mehr ergeben als das Ganze, gibt es dann auch in der Landeshauptstadt Innsbruck eine Stadt-ÖVP und eine „unabhänige“ Liste, die das Vertrauen der Landespartei genoss, bis sie lieber mit SPÖ und Grünen koalierte.

Aus dem Boden gestampft hat die nämlich der Ex-Oberösterreicher van Staa, um schneller Bürgermeister zu werden. Die größte Einflugschneise der Republik wird daher nach wie vor „völlig unabhängig“ von irgendeiner Parteipolitik regiert. Währenddessen behandelt die Landes-ÖVP das Land Tirol, wie Forrest Gump seine Pralinenschachtel. Da gründet man schnell mal eine Privatuniversität, auf der sich vom Pfleger bis zur Putzfrau die ganze Landeskrankenanstaltengesellschaft zumindest zum Bachelor qualifizieren soll, bis ihr die Akkreditierungen entzogen werden. Und die landeseigene Elektrizitätsgesellschaft TIWAG sponsert auch schon mal den Wahlkampf eines ÖVP-Bürgermeisters. Man merk also: Die Tiroler sind doch Österreicher (zumindest die im Norden und Osten). Dass das auch so bleibt, dafür sorgen die Myriaden an Bundesheersoldaten, die in Tirol stationiert wurden, falls die Italiener mal wieder der imperialistische Gusto über die Alpen treiben sollte.


Wer die Tiroler wirklich sind

Wer sind nun also die Tiroler? Sie haben die Kulturform des Törggelen erfunden und produzieren im Süden mehr Äpfel als Europa verbrauchen könnte. Und zugegeben, sie sind manchmal etwas von gestern. Ihre Verfassung heißt wie zu Kaisers Zeiten noch immer „Landesordnung“ und hat eine Präambel, die „die Treue zu Gott und zum geschichtlichen Erbe“ beschwört. Die Tiroler sind nette Leute, vielleicht nicht so modern wie andere, aber doch so wie die meisten es gestern waren. Sie wallfahren - mehrheitlich - nicht mehr zum Anderl von Rinn und sie wählen nicht nur ÖVP, sondern auch ÖVP, övp und Ö-V-P. Ah ja, und SVP natürlich. Im Gegegnsatz zu den Halbwahrheiten, die böse Witze über sie kolportieren, können sie sehr wohl Banane ohne „ckch“ aussprechen und sie schlagen nicht gleich jeden tot, der ihnen zu nahe tritt. Ein kleines Koma tut's auch.


Landesordnung Tirol

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