Analyse
Faszination Wuchtl
Eine WM oder EM ist immer auch ein Feiern der Globalisierung, einer besseren, als wir sie sonst erleben. Warum Fußball so viel Macht besitzt.
„Fußball ist der am weitesten verbreitete religiöse Aberglaube unserer Zeit. Er ist heute das wirkliche Opium des Volkes.“ (Umberto Eco)
Es gibt viele Erklärungen dafür, warum ausgerechnet dieses Spiel so viel Leidenschaft in aller Welt auslöst. Fußball ist ein Spiel für jedermann und kann überall gespielt werden. "Ist doch wuascht" ist kein Satz aus der Fußballwelt. In jeder Situation liegt der Kern von Triumph oder Depression. Ein Spiel, das so stark über Gemütszustände bestimmen kann, ist nicht nur ein Spiel. Den organisierten Fußball gibt es nun seit über 100 Jahren und geschätzte 200 Millionen Menschen spielen weltweit aktiv Fußball. In Zahlen kaum benennbar sind jene, die ihre Begeisterung für Fußball im Stadion oder vor dem Fernsehgerät ausleben. Gemeinsam aber ist ihnen allen eins: die Liebe zur ledernen Frucht.
Ein weiser und mittlerweile pensionierter Fußballspieler nannte es einst das Bermuda Dreieck des Fußballs. Wir sprechen vom Wiener Breitensee, wo sich gleich drei Fußballplätze für die Wiener Unterliga anbieten: SPC Helfort, SK Slovan und SC Red Star. Und genau dorthin habe ich mich auch begeben, um vor Ort nachzufragen, was es denn nun genau ist, weswegen alle so narrisch wean?
Weidl, Karli und der Trainer
Der Umstand, dass Österreich nicht unbedingt auf die erfolgreichste Fußballgeschichte zurückblicken kann, trübt hierzulande keineswegs die Affinität und die Begeisterung dafür. Da ein Walzer nicht im Sitzen ausgeübt werden kann, begibt sich vor allem der Wiener gerne auf die Ränge der Stadien. Man liebt eher die Technik denn die pure Kraft und das künstlerische, schrammelartige Verständnis von Fußball zeigt sich beim Aufgeig‘n, das der Wiener gerne als Zweck des Fußballspiels begreift. Heimische Fußballplätze weisen besondere Spezifika auf: ein Cuvée aus billigem Rasierwasser und Kantinengeruch trifft auf den Weidl, der die Leiberl wäscht, den Karli, seines Zeichens grantiger Platzwart und auf den Trainer, von dem keiner wirklich weiß, wie er heißt. Interpretationselastische Ausrufe sind wenige dabei, wenn eben dieser Trainer am Spielfeldrand steht und sich ein Stelldichein der Extraklasse liefert.
Neulich am Helfortplatz...
In diesem Sinne - und auch mit allen anderen - freuen wir uns auf die EM und beenden mit einem Zitat von Steffen Freund: „Es war ein wunderschöner Augenblick, als der Bundestrainer sagte: Komm Steffen, zieh deine Sachen aus, jetzt geht's los.“
Quellen:
Constanze Kleis: Ballgefühle. Fischer Verlag: 2008
Wienerisch. Das andere Deutsch. Band 78
http://www.wiley-vch.de/books/sample/3527706577_c01.pdf
Foto Startseite: (c) Yvonne Widler
Video: Yvonne Widler