Reportage
Vorarlberg
Am Wurmfortsatz Österreichs hat sich eine seltsame Gruppe von stoisch, geizigen Wienhassern niedergelassen. Ihre Heimat ist Vorarlberg, ein weithin unbekanntes Land.
Im äußersten Westen unserer Republik befindet sich ein kleines, vom Rest Österreichs durch hohe Berge getrenntes, Land: Vorarlberg. Mit ängstlichem Argwohn beäugt dort eine kleine Population von Alemannen die korrupten Manöver der Wiener Politik und freut sich dabei vor allem über eines: die geographische Distanz.
Verarlbergerisch isch a schwere Språch
Die wenigsten Österreicher haben es bislang nach Vorarlberg geschafft. Zu weit scheint vielen der Weg, zu unbekannt die Sprache, zu seltsam die Kultur. Und tatsächlich unterscheiden sich die Vorarlberger vom Rest des Landes deutlicher, als die Bewohner irgendeines anderen Bundeslandes. Sie sprechen alemannische Dialekte, die für die meisten anderen Österreicher so unverständlich klingen, dass mitunter sogar Südsteirer als Menschen von wohlfeinem Zungenschlag erscheinen. Ein Kinderwagen heißt dort „Schesa“ und in Lustenau gibt es sogar ein eigenes Wort für die Fensterladenrückhaltescharniere des elterlichen Schlafzimmers: Gadaladalella.
Fleiß, die Ziede des Vorarlbergers
Am weitaus schlimmsten aber ist die Einstellung der „Gsiberger“ zur Arbeit. Während ein Wiener sein Leben lang „hacklt“, um über die Runden zu kommen, wird in Vorarlberg „g’schafft“. Überall sonst wird das täglich Pensum nur runtergebrochen, dem Vorarlberger geht es darum, etwas zu schaffen. Die biedere alemannische Arbeitsmoral wirkt sich auch auf die Statistik aus. Während das österreichische BIP pro Kopf 2008 bei 34.000€ lag, kam das Vorarlberger Bruttoregionalprodukt auf 35.800€. Im Vergleich dazu erwirtschaftete jeder Burgenländer lediglich 22.000€. Nicht umsonst trägt ein landläufiges Sprichwort („Schaffa, schaffa husa, d’Katz vrkofa, sealba musa.“) jedem auf, ein Haus zu bauen und nach dem Verkauf der Katze die Mäusejagd selber zu übernehmen. Ja, die Vorarlberger sind auch ein kleinwenig geizig.
Gefühle sind etwas für Wiener
Was die emotionale Schiene anbelangt, geht’s vor dem Arlberg jedoch einigermaßen unterkühlt zu. Das fängt bei den Volksweisheiten betreffend Ehe an („Hürot a rieche, wüascht werren se alle.“ – „Heirate eine Reiche, hässlich werden sie alle.“) und geht bis hin zur widmungswidrigen Verwendungen der holden Angetrauten („A wüaschts Wieb isch da beschte Zu ums Hus.“ – „Eine hässliche Frau ist der beste Zaun ums Haus.“). Dass es im Vorarlbergerischen kein Wort für Liebe gibt, versteht sich da von selbst. Man hat sich maximal gern.
Die dunkle Seite des Arlbergs
Wie alle Österreicher leiden aber auch die Vorarlberger unter einem veritablen Minderwertigkeitskomplex. Sie verachten die Ostösterreicher und dabei insbesondere die Wiener zum Teil bis aufs Blut, sind aber gleichzeitig gekränkt, wenn man ihnen dort nicht die erwünschte Aufmerksamkeit schenkt. In Floridsdorf glauben die meisten wahrscheinlich, dass Götzis etwas zum Essen ist, geschweige denn, dass es richtig ausgesprochen wurde. Diese tiefwurzelnde Kränkung resultiert klarerweise in ausgeprägtem Chauvinismus. Man hält sich für was Besseres. Die Wiener sind brutal und korrupt, die Vorarlberger sanft und anständig, die Dornbirner Testamentsaffäre hat anderes bewiesen. Der ehemalige Landesamtsdirektor und passionierte Geschichtsklitterer Elmar Grabherr, dienstbarer Beamter für Vaterländische Front, NSDAP und ÖVP, fasste es so zusammen: „Es ist aber durch Erfahrung erwiesen, daß dem Vorarlberger, seiner Art entsprechend, Gewalt wesentlich weniger liegt als vielen Deutschen und Österreichern.“ Dementsprechend stellte er auch die Vorarlberger als Oberopfer des März '38 dar: „Ohne jeden Zweifel war es die geschlagene, zum Schweigen gezwungene Mehrheit, die sich an diesen Tagen in den Häusern versteckte oder nach Möglichkeit in Ried und Wald verschwand. Wehrlos aber gefaßt, erwarteten sie die hinterhältigen Überfälle der SS.“ Wer's glaubt...
Kanton Übrig
So gesehen wären die „Gsiberger“ eigentlich Überösterreicher, wenn sie nicht so fleißig wären. Den alten Vorwurf, sie hätten sich hinterrücks der Schweiz anschließen wollen, sollte man jedenfalls mit Vorsicht genießen, immerhin haben damals die Salzburger und Tiroler mit größerer Mehrheit für Deutschland gestimmt. Freilich wollten auch die Schweizer das zu dieser Zeit bitter arme österreichische Bundesland nicht geschenkt und verspotteten es als „Kanton Übrig“. Das panalemannische Verhältnis ist seitdem etwas abgekühlt. Aber zugegeben, ein bisschen eigenbrötlerisch sind sie doch, die Vorarlberger. Immerhin, so steht es in Artikel 1 Absatz 2 der Landesverfassung, ist Vorarlberg ein „selbständiger Staat“ und das wird dort auch geglaubt.