Moskau

Am Weg in den Polizeistaat

Wladimir Putin zieht die Schrauben an und weiß die Mehrheit der Russen hinter sich


Seit Samstag werden Demonstrationen und Versammlungen in Russland durch ein neues Gesetz geregelt und diese neue Regelung hat nur ein Ziel: Politisch missliebige Personen materiell zu ruinieren. Nachdem die Einschüchterung durch die Einsatzpolizei, Vorladungen beim FSB und Schmutzkübelkampagnen in den Medien nicht genug sind, setzt die Obrigkeit jetzt auf das, was im neuen Russland wirklich wichtig ist: Die Geldbörse.

Mit dem neuen Gesetz werden die Strafen für die Organisation oder die Teilnahme an nicht erlaubten Demonstrationen drastisch angehoben. Auf den ersten Blick liegt die Höchststrafe für einfache Demonstranten bei relativ moderaten 500 Euro - etwa die Hälft eines durchschnittlichen Moskauer Monatsgehaltes. Organisatoren müssen bis zu 7.500 Euro zahlen. Schaut man sich das Gesetz aber genauer an sieht man, dass praktisch jeder zu dieser Höchststrafe verurteilt werden kann, selbst wenn er gar nicht an einer Kundgebung teilnimmt.

Ein Eintrag auf Facebook macht einen zum Demo-Organisator

Das beginnt bei der Definition von "Organisator". Es reicht öffentlich zur Teilnahme aufzurufen, anderes gesagt: Wer auf Facebook einen Link teilt wird vom Gesetz bereits als Organisator gesehen. Und es endet bei der Definition einer nicht genehmigten Veranstaltung: Kundgebungen müssen in Russland mit einer maximalen Teilnehmerzahl angemeldet werden. Sobald auch nur eine Person mehr anwesend ist, kann die Veranstaltung von der Polizei aufgelöst werden, ebenso wegen Abweichung von der vorgesehenen Marschroute, nicht zum Thema passenden Transparenten, etc. "Organisatoren" sind auch für alle Zwischenfälle verantwortlich.

Im Extremfall könnte daher eine Facebook-Nutzer zu einer Strafe von 7.500 Euro verurteilt werden weil er zu einer Kundgebung aufgerufen hat, bei der Provokateure für Unruhe gesorgt haben (etwa von einer Kreml-treuen Jugendorganisation), selbst wenn er nicht mehr getan hat, als einen Link zu teilen.

Die Einschüchterungen wirken bereits

Das neue Gesetz hat bereits Auswirkungen. Zur großen Protestkundgebung am 12. Juli gab es auf Facebook fast nur verschlüsselte Aufrufe á la "Wissen Sie schon was Sie morgen um 12.00 Uhr vorhaben? Dann teilen sie das doch möglichst vielen Freunden mit!" Wobei vor einem gefügigen Richter wohl auch dieser Eintrag ausreichen würde, um als "Organisator" durchzugehen. Bei der Kundgebung waren trotzdem mehrere zehntausend Menschen, deutlich mehr als die Veranstalter erwartet hatten. Und die Führung war offenbar (noch) nicht bereit, die Veranstaltung gewaltsam niederzuschlagen. Hier mein Bericht über die Demo auf Ö1.

Dafür setzte sie im Vorfeld auf eine massive Einschüchterungskampagne. Die Wohnungen führender OppositionsaktivistInnen wurden durchsucht, die Durchsuchungen dauerten zum Teil mehrere Stunden. Und die wichtigsten Köpfe der Opposition wurden ausgerechnet während der Kundgebung zu Vernehmungen bei der Staatsanwaltschaft vorgeladen - dass der 12. Juli in Russland Feiertag ist, an dem normalerweise alle Behörden geschlossen sind, tut da nichts zur Sache. Vermutlich waren es gerade diese plumpen Einschüchterungsversuche, die viele RussInnen trotz ihrer Bedenken dazu gebracht haben auf die Straße zu gehen. 


Nach der Polizei die Steuerprüfung

Ob das so bleiben wird ist fraglich: Sobald im staatlichen Fernsehen die ersten Fälle berichtet werden, in denen Demonstranten tatsächlich zu hohen Geldstrafen verurteilt werden, dürfte die Bereitschaft zum Demonstrieren bei vielen Angehörigen der Mittelschicht rasch schwinden. Interessant ist ein Nebenaspekt der Hausdurchsuchungen, dem in den staatlichen Medien große Beachtung geschenkt wurde. Bei der Fernsehmoderatorin Ksenia Sobtschak wurde Bargeld im Wert von über eineinhalb Millionen Euro sichergestellt - jetzt soll die Steuerbehörde prüfen ob dieses Geld rechtmäßig verdient und versteuert wurde. Für große Teile der russischen Mittelschicht, die ihre Geld mit "Business" verdient haben, klingt ein Besuch der Steuerbehörden wie eine gefährliche Drohung.

Denn überall lässt sich etwas finden: Wie durch Zufall kam es Anfang des Monats bei der Security-Firma von zwei Abgeordneten der Oppositionspartei "Gerechte Sache" zu einer Überprüfung der Sicherheitsstandards. Und, welche Überraschung, die Standards wurden verletzt. Die Firma wurde deshalb geschlossen. Eine klare Botschaft: Wer sich mit uns anlegt, bekommt echte Probleme, nicht nur ein paar tausend Euro Strafe oder ein paar Wochen Gefängnis. Und während die Kundgebung in Moskau friedlich verlief, gab es in den Regionen bereits die ersten Festnahmen.

Die Mehrheit ist für Putin

Aber die Führung rund um Wladimir Putin muss sich keine Sorgen machen. Die Mehrheit der RussInnen unterstützt diesen harten Kurs, das zeigen Umfragen ganz deutlich. In einer aktuellen Umfrage des Meinungsforschungsinstitutes Levada, spricht sich eine knappe Mehrheit für die Erhöhung der Strafen aus (43% dafür, 38% dagegen). Eine klare und wachsende Mehrheit ist gegen die Proteste (52% zu 32%), die Bereitschaft an Protestaktionen teilzunehmen sinkt auf einen einstelligen Prozentbereich.

Seit Beginn der Protestwelle ist die Zustimmung zu Putin und Medwedew nicht gesunken sondern gestiegen, bei Putin von 53% im Februar auf aktuell 57%. Die Diskussionen um Wahlfälschungen und die Proteste haben der Führung in den Augen der breiten Öffentlichkeit also nicht geschadet sondern genützt - Putin hat sich mit seiner harten Linie durchgesetzt und wird weiter als wichtigste Garant für Stabilität im Land gesehen.


Noch ein Detail aus einer anderen Umfrage von VCIOM zum Thema, was die RussInnen sich von der Zukunft erwarten. An erster Stelle steht "Aufstieg Russlands zu einer globalen Großmacht" (16%). Mehr soziale Gleichheit, wirtschaftliche Entwicklung oder der Kampf gegen die Korruption folgen erst auf den hinteren Plätzen. Die ständige "Wir sind Großmacht"-Propganda in den staatlichen Medien wirkt offenbar. 

Während der Proteste im Dezember und Jänner sah es eine Zeitlang so aus als würde das Regime von Putin wenn schon nicht wanken, dann doch zumindest etwas nachzugeben. Doch die Ereignisse haben der Führung gezeigt, wie schwach ihre Gegner sind. Einem weiteren "Schraubenanziehen" steht daher nichts im Wege.