Kommentar

Lustig ist das Zigeunerleben...

… faria faria ho“ heisst es in einem alten Volkslied. Es beschwört das wilde, freie Zigeunerleben. Mit der Realität hat es allerdings wenig zu tun. Über kaum eine andere Volksgruppe gibt es so viele Vorurteile und Klischees wie über Europas größte Minderheit. Der Musiker Harri Stojka wehrt sich jetzt öffentlich dagegen, "Zigeuner" genannt zu werden


Das Wort hat ihm seine Kindheit versaut. Er, der kleine "Zigeunerbua'" aus Floridsdorf, flüchtete damals vor Beschimpfungen und Anfeindungen in seine eigene Welt; eine Welt, in der er nicht der "dreckige Zigeuner" war, eine Welt, die nur aus Tönen und Klang bestand. Aus dem kleinen Jungen, den sie wegen seiner ethnischen Herkunft auf die Sonderschule schickten, der stundenlang auf seiner Gitarre üben konnte, den die Musik rettete, aus diesem kleinen Jungen wurde einer der bekanntesten Musiker Österreichs, ein Ausnahmegitarrist von Weltrang. Doch das Wort verfolgt ihn bis heute. Harri Stojka will nicht mehr Zigeuner genannt werden. „Ich verabscheue das Wort, ich verachte es“ sagt er. „Weil ich weiß wie es angewendet wird gegen uns.“ Uns, das sind die Roma, wie sie sich selbst nennen, von Rom, Mensch oder Mann. Doch für viele waren und bleiben sie vor allem eines: "die Zigeuner".

Es schleicht sich wieder ein in den Wortschatz der Österreicher, wird wieder salonfähig, meint Stojka. Er hat deshalb die Aktion „Ich bin gegen das Wort Zigeuner“ ins Leben gerufen, bei der sich verschiedene Menschen mit ebendiesem Satz ablichten lassen – darunter  Prominente wie etwa Markus Binder von Attwenger oder der Schauspieler Wolfgang Böck.

  • Harri Stojka mit seinen Schwestern © Reinhard Loidl
  • Walter Schmögner © Reinhard Loidl
  • Dompfarrer Toni Faber © Reinhard Loidl
  • Kellner des Café Korb © Reinhard Loidl
  • Markus Binder (Attwenger) © Reinhard Loidl
  • Colette Schmidt (Der Standard) © Reinhard Loidl
  • Chris Tresper (Manager von Alkbottle) © Reinhard Loidl

Harri Stojka verlangt nicht viel. Er will sich nicht aufschwingen zum Anwalt der Sache der Roma. Er will kein Politiker sein, der die Minderheitenrechte der Roma verteidigt. Und der repräsentative Vorzeigemusiker der Roma will er schon gar nicht sein. Er möchte einfach nicht Zigeuner genannt werden. Doch das allein scheint schon zu viel gefordert, wie die Reaktionen auf seine Fotoaktion zeigen. Neben Zustimmung und Unterstützung schlägt ihm nun auch wieder Ablehnung und Hass entgegen. „Es ist, als hätte man in ein Wespennnest gestochen“ sagt Stojka. Die Häme derer zu ertragen, die ihn nicht verstehen wollen oder können, der Menschen, für die er immer „a Zigeiner“ bleiben wird, wirft ihn zurück, ins Floridsdorf der 60er Jahre, zum kleinen Jungen von damals, den seine Gitarre rettete.

Wahrsagerinnen, Bettler und Diebe

Wie groß ist der Schritt vom Zigeunerschnitzel zum dreckigen Zigeuner? Überall findet sich das Wort, vom Schnitzel zur Sauce, herumzigeunern, Zigeunermusik. Das wilde Zigeunerleben, ungebunden und frei, exotische glutäugige Frauen, Wahrsagerinnen und Lagerfeuerromantik. Das fahrende Volk, geheimnisvoll und mächtig. Das ist die eine Seite. Die andere ist die dunkle, die gefürchtete Seite. Kleinkriminelle, Bettler und Diebe, beargwöhnt und verfolgt, damals wie heute. Es scheint, als gäbe es nur Stereotypen und Klischees über die Roma, ebenso falsch wie verhängnisvoll. 

Seit der EU- Osterweiterung gehören die Roma zur größten ethnischen Minderheit in Europa, Schätzungen gehen von etwa 10 bis 12 Millionen Menschen aus. Doch es scheint, als wollte Europa nichts wissen von seiner größten Minderheit, schlimmer noch: als wollte es vergessen, dass es sie gibt. So wurde zwar im Jahr 2005 von der EU die „Dekade der Roma Integration“ ausgerufen, aber wer weiß schon davon?

Die Diskriminierung der Roma von offizieller, staatlicher Seite - insbesondere in den osteuropäischen Ländern - geht einher mit den Ressentiments innerhalb der Bevölkerungen. So würde sich rund ein Viertel der Europäer unwohl fühlen, einen Sinti oder Roma zum Nachbarn zu haben – das zeigt eine repräsentative Umfrage von Eurobarometer aus dem Jahr 2008. Im Vergleich zum nachbarschaftlichen Wohlfühlfaktor bei anderen ethnischen Minderheiten ist das ein beträchtlicher Prozentsatz.

Vorurteile und Klischees

Was das mit dem Begriff "Zigeuner" zu tun hat? Das Wort war immer schon eine Fremd- statt Eigenbezeichnung, untrennbar verbunden mit zahlreichen rassistischen Zuschreibungen und Klischees. Ein Beispiel dafür ist die – falsche – volkstümliche  Erklärung, das Wort "Zigeuner" würde von „Zieh- Gauner“, also „umherziehenden Gaunern“ stammen.

Eine Mehrheit der Roma lehnt den Begriff als diskriminierend ab. Daran ändert auch nichts, dass es durchaus Roma gibt, die sich selbst als "Zigeuner" bezeichnen oder versuchen, den Begriff positiv zu besetzen. Gerade im deutschen Sprachraum wurde der Begriff allerdings durch die Verfolgung der Roma im Nationalsozialismus noch stärker negativ geprägt. 

Seit die Roma, ursprünglich aus Indien stammend, Anfang des 15. Jahrhunderts westeuropäische Länder erreichten, werden sie verfolgt und ausgegrenzt. In vielen Ländern wurde es ihnen nicht erlaubt, sich dauerhaft niederzulassen, ein Umstand, der zum Klischee des „fahrenden Volkes“ führte. Ein anderes ist der Glaube, „die Zigeuner stehlen Kinder“. Dabei waren es ab dem 18. Jahrhundert vielerorts die Behörden, die Romakinder ihren Eltern wegnahmen, um sie „besser“ zu erziehen – die „kinderraubenden Zigeuner“, waren also nur Roma, die ihre eigenen Kinder wieder haben wollten.

Mit Vorurteilen und Klischees hat auch Harri Stojka zu kämpfen. „Wenn wir Musik machen, nährt das leider nur das Klischee des geigenspielenden Zigeuners“ meint er. „Wir haben bildende Künstler, Maler, die interessiert kein Mensch. Wir sind nur interessant als Musiker.“ Deshalb werde er aber nicht aufhören, Musik zu machen. Zum Glück.

Natürlich kann ein Wort allein nicht schlagartig die Realität verändern. Das schweizer Magazin "Die Weltwoche" zeigte das unlängst anschaulich mit ihrer Titelstory "Die Roma kommen". Das Cover zeigt einen kleinen Rom (später wurde bekannt, dass er im Kosovo lebt), der mit einer (Spielzeug-) Pistole direkt auf den Betrachter zielt. In dem dazugehörigen Artikel "Sie kommen, klauen und gehen" wimmelt es nur so von falschen Behauptungen, angeblichen Expertenmeinungen und rassistischen Unterstellungen. Passender wäre da der Titel "Die Zigeuner kommen" gewesen - gehen die Autoren doch mit keinem Wort auf die Ursachen von Kriminalität und Armut ein. Stattdessen zeichnen sie das uralte Klischee der "ziehenden Gauner" nach, nur schlecht übertüncht von scheinbarer journalistischer Objektivität und der korrekten Bezeichnung "Roma". 

"Beschimpf mich als Roma!"

Und in Österreich? Kaum jemals empört sich der gemeine Österreicher so sehr, wie wenn von ihm verlangt wird, bestimmte, zumeist rassistische, Bezeichnungen aufzugeben. Beim "Neger" hat’s schon fast geklappt, doch Widerstand und Unverständnis sind nach wie vor enorm. Da wird auf die so genannten „Gutmenschen“ geschimpft, auf die „Betroffenheitsindustrie“, die sich anmaßt, einen bestimmten Sprachgebrauch zu hinterfragen und zu kritisieren.

Welch Empörungspotential! Würde es doch genutzt, um gegen Zwangsräumungen von Roma-Siedlungen etwa in Rumänien oder Italien zu protestieren oder gegen die Zwangssterilisation von Romafrauen in der Slowakei. Würde nur ein Bruchteil der Empörung sich gegen die populistische Romapolitik Frankreichs richten oder dagegen, dass in vielen osteuropäischen Ländern Romakinder immer noch automatisch in Sonderschulen landen. 

Nun, zumindest Harri Stojka ist persönlich betroffen. Auch wenn er nicht der Sprecher aller Roma, oder, in seinen Worten „nicht der Bob Marley der Roma“ sein will, sondern einfach nur bei seinem Namen genannt werden möchte: „Wenn du mich schon beschimpfen musst, dann beschimpf mich mit meinem Namen, beschimpf mich als Roma nicht als Zigeuner“. Es geht also nicht darum, dass Harri Stojka euch das Zigeunerschnitzel wegnehmen will, liebe österreichischen Nicht-Roma. Kulinarisch gesehen erfüllt das Letschoschnitzel schließlich denselben Zweck. Nein, es geht ganz einfach um Respekt. Ist das wirklich so schwer zu verstehen?


 Das Musikprojekt "Listen to Roma Rights" wurde von Amnesty International ins Leben gerufen, um auf die Diskriminierung der Roma in Europa aufmerksam zu machen. Verschiedene Roma- Musiker haben dazu beigetragen, neben Harri Stojka unter anderem auch der serbische Musiker KAL: 

 


Der Begriff "Zigeuner"

Die tatsächliche Herkunft des Wortes Zigeuner ist immer noch nicht zweifelsfrei geklärt – sicher ist aber, dass es seit jeher eine Fremdbezeichnung ist. Wahrscheinlich abgeleitet vom griechischen „Atsinganoi“ (Unberührbare) hat es Eingang in verschiedene europäische Sprachen gefunden, etwa das italienische "zingaro" oder das tschechische "cikáni". Dagegen ist das englische "gypsy" nicht nur bloße Übersetzung, sondern hat auch einen anderen etymologischen Ursprung. Es geht zurück auf die Siedlung "Gyppe" (Klein-Ägypen) in der Nähe der Stadt Methoni an der westlichen Küste des Peloponnes. "Klein-Ägypten" war also ein Ort in Byzanz, wo entweder tatsächlich Ägypter lebten oder Menschen, von denen man glaubte, sie kämen aus Ägypten – wahrscheinlich Roma. Mit dem Vordringen der Türken im 15. Jahrhundert flohen auch viele Roma nach Europa und so verbreitete sich der Mythos über ihre "ägyptische Herkunft". Das spanische "gitano" oder das französische "gitan" leiten sich davon ab. 

Die nächste Fotoaktion...

"Ich bin gegen das Wort Zigeuner" findet am 17. Juli ab 19 Uhr im Rahmen der "Ruby Night" Benefizveranstaltung im MQ, Salon Leopold statt. Um 20 Uhr gibt es ein Konzert mit dem legendären Harri Stojka Express, mit Musikern wie Werner Feldgrill (Bass), Mario Gonzi (Schlagzeug), Martin Wöss (Klavier & Keyboard) und Thomas Kugi (Saxophon). Der Erlös des Konzertes kommt - da bisher keine Sponsoren zu finden sind - dem Druck der Plakate der Fotoaktion zugute.