Moskau
Die Gegenrevolution marschiert
Nach dem Scheitern der Protestbewegung sind konservative Kräfte dabei das Ruder zu übernehmen. Die Abrechnung ist schmutzig, das Ende nicht abzusehen.
Pussy Riot war nur der Anfang. Die Nachrichten der letzten Tage zeigen eines: Die konservativen Kräfte der russischen Gesellschaft haben mit der Abrechnung mit den Liberalen und den Vertretern der Protestbewegung begonnen, um ihre Claims in der künftigen politischen Landschaft abzustecken. Keine dieser Nachrichten allein ist wichtig genug, um die Aufmerksamkeitsschwelle der westlichen Medien zu überspringen. In Summe ergeben sie aber ein klares Bild, wohin die Reise gehen wird.
Das beginnt mit der Verfolgung derer, die für die Ausschreitungen bei der Demonstration am 6. Mai verantwortlich sein sollen: 13 AktivistInnen wurden verhaftet und 1.300 Personen einvernommen. Laut Medienberichten sind 180 Ermittler mit dem Fall beschäftigt. Dann die Hausdurchsuchungen bei Angehörigen der Opposition, ausgerechnet an einem Feiertag und ausgerechnet während einer lange angekündigten Großdemonstration. In den Regionen gibt es bereits mehrere Verfahren nach dem neuen Versammlungsgesetz, laut dem allein die Einladung zu einer nicht genehmigten Demonstration mit bis zu 8.000 Euro Geldstrafe sanktioniert werden kann.
Und dann die etwas eigenartige Affäre um den Leiter der obersten Ermittlungsbehörde des Landes Bastrykin, der einen prominenten Journalisten mit dem Umbringen bedroht haben soll (hier mein Bericht auf Ö1), ohne dass es weitere Konsequenzen gegeben hätte. Alle, die an Protestveranstaltungen teilgenommen haben rechnen damit, dass auch sie demnächst an die Reihe kommen: Die Kundgebungen wurden von der Polizei gefilmt, die Teilnehmer lassen sich daher leicht ausforschen. Die Zeitschrift New Times hat in ihrer aktuellen Ausgabe einen Ratgeber erstellt, worauf man achten soll, wenn man einvernommen wird oder wenn plötzlich die Polizei vor der Tür steht.
Konservativ, rückschrittlich, gefährlich
Es bleibt aber nicht bei diesen Beispielen offener Repression. Die konservativen Kräfte, denen Putin seine Wiederwahl verdankt, versuchen ihre gesellschaftlichen Positionen zu stärken. Da ist einmal die orthodoxe Kirche, die mit immer schärferen Tönen auf sich aufmerksam macht. Patriarch Kirill hat zuletz gleich alle Kirchenkritiker für geisteskrank erklärt: Wer die Kirche kritisiere, sei in der Seele krank und müsse geheilt werden.
Wer auch dieser Meinung ist macht Karriere: Alexander Bosych sollte der Vorsitzende des neuen Jugendkomittes werden, das eine Neuausirchtung der russischen Jugendpolitik vornehmen soll. In der Öffentlichkeit ist Bosych vor allem dadurch bekannt geworden, dass er DemonstrantInnen, die für Pussy Riot auf die Straße gehen, mit der Faust ins Gesicht schlägt. Nach einiger Kritik in den Medien wurde diese Ernennung zurückgenommen bzw. dementiert, das letzte Wort in dieser Sache ist aber sicher noch nicht gesprochen.
Igor Kolmanskich war früher Vorarbeiter in einer Panzerfabrik im Ural und hat im Wahlkampf mit der Ankündigung von sich reden gemacht hat, wenn die Polizei allein nicht mit den "weißen" Demonstranten fertig werde, seien er und seine Kollegen gerne bereit in Moskau für Ordnung zu sorgen. Kolmanskich wurde unmittelbar nach Putins Wahl zum direkten Vertreter des Präsidenten in der Ural-Region ernannt und lässt jetzt mit der Meldung aufhorchen, es gebe im Land sowieso viel zu viele Akademiker. Die Jugend sollte auf höhere Bildung pfeifen und statt dessen eine Arbeiterkarriere anstreben.
Oder der Schriftsteller Eduard Bagirov, der im Wahlkampf zur offiziellen "Vertrauensperson" Wladimir Putins ernannt wurde. Er kann offen zur Tötung kritischer Journalisten aufrufen, ohne dass das Folgen hat. Auf Twitter schrieb Bagirow in Bezug auf die Journalistin Julia Latynina: "Was sollen wir mit ihr machen? Man könnte bestellen, dass sie im Stiegenhaus erschossen wird, so wie Politikovskaya." Dabei bekommen diese Kräfte Rückenwind von oben, etwa durch die Ernennung von Wladimir Medinski zum Kulturminister (hier mein Bericht auf Ö1), einem russischen Nationalisten, der die "Gehirnwäsche" Stalins gut findet und Geschichtsfälschung betreibt um die Sowejtunion unter Stalin gut dastehen zu lassen.
Abgelehnt, abgelehnt, abgelehnt
Wie absurd das Verhalten der Führung ist, zeigt die Aktion einer Aktivsten-Gruppe in Nischnij Nowgorod. Um ja nicht gegen das neue Demonstrationsgesetz zu verstossen haben sie den Antrag eingereicht, sich zu viert vor einem Geschäft um einen Wecken Brot anstellen zu dürfen - das neue Gesetz ist so formuliert, dass bereits eine solche "Zusammenrottung" von der Polizei als genehmigungspflichtige Veranstaltung gewertet werden kann. Der Antrag wurde abgelehnt.
Jetzt sucht die Gruppe um die Genehmigung an, gemeinsam bei einer Straßenbahnhaltestelle auf die Straßenbahn zu warten. Folgt man der Logik des Bescheides, mit dem die "Brot-Demo" abgelehnt wurde muss auch diese Versammlung abgelehnt werden. Als nächstes will die Grupp um die Genehmigung ansuchen sich vor dem Rathaus anzustellen, um den Antrag auf die Genehmigung einer Veranstaltung einzureichen zu dürfen. Auch dieser Antrag dürfte ziemlich sicher abgelehnt werden. Immerhin: Auch in schwierigen Situationen gibt es Menschen, die ihren Humor nicht verlieren.
Die "Siloviki" drehen durch
In den Medien wird jetzt darüber spekuliert, ob diese gesellschaftlichen Verschärfungen von oben angeordnet sind oder ob Putin nur zuschaut und seinen Anhängern erlaubt alte Rechnungen zu begleichen. Die "Siloviki" (Geheimdienstler) drehen durch, heißt es etwa im Blog The Power Vertical. Der Politikwissenschaftler Alexander Golts stellt sogar die These auf, Putin habe längst die Kontrolle über die konservativen Kräfte verloren, die jetzt auf eigene Rechnung und nach eigenem Plan agieren.
Der Kolumnist des Kommersant Oleg Kaschin fasst die Situation auf jeden Fall so zusammen: Vor den Kundgebungen im Dezember war kein Aktivist im Gefängnis, jetzt sitzen 13 in Haft. Damals gab es keine hohen Geldstrafen für Kundgebungen, jetzt gibt es sie. Damals konnte die Zeitschrift "Bolschoi Gorod" zum Rücktritt Putins aufrufen, jetzt kann sie es nicht mehr. Und damals hatte die Oppositionsführerin Ksenia Sobtschak Bargeld in ihrer Schublade, jetzt hat sie es nicht mehr (es wurde bei der Hausdurchsuchung beschlagnahmt). Proteste in Russland seien deshalb heute viel schwieriger und viel gefährlicher als noch im Dezember, schreibt Kaschin.