Reportage
Burgenland
Von Nordosten nach Südwesten erstreckt sich auf über 160 km Diagonale das bevölkerungsmäßig kleinste österreichische Bundesland. Über Jahrhunderte besiedelt von Ungarn, Kroaten, Roma, Protestanten und Juden, bildet das Burgenland noch heute ein ethnosoziales Potpourri, ohne dabei in Kärntner Zustände zu verfallen
Klein aber bunt
An seiner schmalsten Stelle bei Sieggraben ist die einzige österreichische Beute des Ersten Weltkrieges gerade einmal 4,6 km breit und seine Hauptstadt Eisenstadt (ung. Kismarton, bkr. Željezno) schafft es in der Liste der größten österreichischen Gemeinden nur auf Platz 43. Obwohl flächenmäßig größer als Wien, bleibt das Burgenland klein. An Einwohnerzahl übertrifft es unter den anderen Teilstaaten der EU lediglich die Deutschsprachige Gemeinschaft Belgiens. Dennoch tummelt sich auf den etwa 3.962 km² eine erstaunliche Vielfalt an Minderheiten. Etwas mehr als 16.000 Burgenlandkroaten und etwas weniger al 5.000 Ungarn sowie ca. 260 Roma leben laut der letzten Volkszählung im Land östlich der Leitha. Mit 13,3% verfügt es unter den österreichischen Bundesländern über den größten Bevölkerungsanteil an Protestanten. Die lange Zeit ansässige jüdische Bevölkerung fiel zum größten Teil dem nationalsozialistischen Völkermord zum Opfer oder war zur Auswanderung gezwungen. Lange Zeit war das Burgenland auch Zufluchtsort für die Wiener Freimaurerei, die – vom österreichischen Staat verfolgt – in das damals liberalere Ungarn auswichen.
Die burgenländische Globalisierung
Als das Burgendland durch den Vertrag von Trianon zu Österreich kam und über eine getürkte Volksabstimmung seine natürliche Hauptstadt Ödenburg verlor, war es vor allem eines: bitterarm. Große Teile der burgenländischen Bevölkerung sind in den letzten beiden Jahrhunderten ausgewandert, vornehmlich in die USA, weswegen Chicago als die „größte Stadt der Burgenländer“ gilt. Angeblich leben genauso viele Burgenländer im Ausland wie im Burgenland selbst. Sie sollen sogar 80% der Auslandsösterreicher ausmachen. Und immerhin über 20.000 Arbeitnehmer aus dem östlichsten Bundesland pendeln immer noch nach Wien. Man sieht: Die Wirtschaft ist nicht unbedingt die Stärke des Burgenlandes. Auch wenn etwa Güssing mit seiner Entwicklung hin zur energieautarken Gemeinde beeindruckt, so muss man doch wissen: Güssing ist praktisch pleite.
Unfälle und Uhudler
Ein böses Klischee über die transleithanischen Österreicher besagt, sie sprächen gerne dem Alkohol zu. Nun ist der gemeine Österreicher ja im Durchschnitt schon Alkoholiker. Immerhin ist der Weißweindoppler kein ausschließlich burgenländisches Phänomen. Das gesamtösterreichische Trinkverhalten zu steigern – so möchte man meinen – wäre schwierig. Man kann auch von einem Ausreißer sprechen, wenn zum Beispiel 2011 im Burgenland drei Verkehrstote durch Autounfälle unter Alkoholeinfluss zu beklagen waren und in Wien nur einer. Wenn dann aber von den zehn österreichischen Bezirken mit den prozentuell meisten Alkounfällen drei im Burgenland liegen… Vielleicht hätte man den einst aus dem Weingesetz getilgten, aus unveredelten Trauben gewonnenen Uhudler doch nicht wieder zulassen sollen.
Eine gute Neuerwerbung
Mit der Angliederung des ehemaligen Westungarn als damals achtes Bundesland (Wien und Niederösterreich trennten sich erst später) musste auch ein neuer Name für das Gebiet gefunden werden. „Heinzenland“, in Anlehnung an den lokalen Dialekt, empfanden viele als zu abwertend. Der auch diskutierte Begriff „Vierburgenland“ – nach den ehemaligen Ungarischen Komitaten (Wieselburg, Ödenburg, Eisenburg, Preßburg), auf deren Gebiet das neue Land entstehen sollte – wurde schließlich zu Burgenland verkürzt, auch weil man von Preßburg keinen Anteil erhielt. Seit dem bemüht sich das jüngste Kind von Österreich, wie die Landeshymne es ausdrückt, „an Kraft und Treue allen gleich“ zu sein. Zumindest im Hinblick auf die Treue gab es bislang keinen Grund daran zu zweifeln. Mit dem Burgenland hat Österreich auch seinen nunmehr größten See, den Neusiedler See, den tiefsten Punkt (114 m üA bei Apetlon) und seit 2005 die bislang einzige gegenderte Landesverfassung („Bürgerinnen- und Bürgerinitiative sowie Bürgerinnen- und Bürgerbegutachtung“). Die ungarische Melancholie und kroatische Lebensweise wiederum macht das Burgenland zu einer weiteren Besonderheit im Schmuckkästchen der österreichischen Kultur. Sie führen wohl auch dazu, dass man sich dort nicht wegen mehrsprachiger Ortstafeln wie die Karawankenbewohner gegenseitig die Schädel einschlägt. Dafür kann man den Burgenländern die Erfindung des Uhudlers direkt nachsehen.