Reportage

Die Schattenseite der Bauwirtschaft

Die Herren sehen recht unauffällig aus und sie geben sich auch so. Soeben sind sie aus einem Kleinbus gestiegen, der an einer Tankstelle im 21. Wiener Bezirk parkt. Die Herren schlendern langsam, unauffällig langsam, zu der Baustelle vis-á-vis. Sie sondieren das Gelände und bleiben vor dem Bauzaun stehen. Einer greift in seine Tasche und holt ein neonfärbiges Bündel hervor: Signaljacken. Die Herren streifen sie über; einer sagt: „Jetzt geht´s los.“ Sie gehen auf einen Bürocontainer zu und öffnen die Türe.


In Wien gibt es hunderte Baustellen und auf vielen sind Arbeiter im Einsatz, die nicht oder falsch angemeldet sind. Das bedeutet: Sozialversicherungsabgaben werden nicht bezahlt oder falsch bezahlt; oft wissen die meist ausländischen Arbeiter gar nicht, dass das Unternehmen und damit sie selbst gegen Recht verstoßen. Die Kontrolleure der Wiener Gebietskrankenkasse sind dazu da, diese Missstände aufzudecken. Ernfried Jaklitsch ist für diese mobile Einsatzgruppe der Abteilung „Beitragsprüfung“ zuständig. Er mag gemütlich und freundlich wirken, doch wenn es um die Rechte der Arbeiter und jene der Gebietskrankenkasse geht, versteht er keinen Spaß. Mit seinen fünf Kollegen ist er in ganz Wien unterwegs, um die Sozialversicherungsabgaben zu überprüfen. 

 

So wie an diesem Tag: Im Bürocontainer der Baustelle im 21. Bezirk treffen sie auf den Baustellen-Leiter, der prompt aufgefordert wird, alle Personalunterlagen vorzulegen. „Kein Problem“, sagt er und gibt sich betont kooperativ. Das macht stutzig. Die Unterlagen werden dann mit den Daten bei der Gebietskrankenkasse verglichen. Inzwischen haben sich zwei der Kontrolleure aufgemacht, um stichprobenartig auf der Baustelle die dortigen Arbeiter um Namen und Ausweise zu bitten.

Ernfried Jaklitsch erzählt, dass die meisten Baufirmen mit Sub-Unternehmen arbeiten. Bei diesen ist nicht immer alles rechtlich im Lot; einige dieser Sub-Unternehmer bezahlen ihre Mitarbeiter schlecht, melden sie nicht an oder melden sie falsch an. „Damit entgeht den Sozialversicherungen eine Menge Geld – Geld, das anderswo fehlt“, berichtet Jaklitsch. Und plötzlich ist er gar nicht mehr so freundlich. Auf der Strecke bleibt dann nämlich nicht nur die Sozialversicherung, sondern vor allem auch der betroffene Mitarbeiter – der hat kein Anrecht auf Krankengeld und ähnliche Selbstverständlichkeiten.    


Kontrolleure bei der Arbeit

  • (c)Johanna Schwarz
  • (c)Johanna Schwarz
  • (c)Johanna Schwarz
  • (c)Johanna Schwarz
  • (c)Johanna Schwarz
  • (c)Johanna Schwarz

Auf der Baustelle im 21. Bezirk ist aber alles sauber. „Die Daten stimmen“, sagt einer der Kontrolleure der Gebietskrankenkasse. Alle Mitarbeiter sind ordnungsgemäß angemeldet und versichert. Händeschütteln zum Abschied, es geht weiter zur nächsten Baustelle – gleich zu Fuß. Einen halben Kilometer weiter ein altes Wohnhaus, das von einem Gerüst umgeben ist. Die Mitarbeiter der Krankenkasse bleiben hundert Meter davor stehen. Hier sieht die Sache schon vielversprechender aus, was die Ermittlung angeht – meist sind es eher die kleineren, weniger bekannten Baufirmen, die nicht korrekt vorgehen. Sie beschäftigen besonders gerne billige Subunternehmer aus dem Ausland. Mit schnellen Schritten gehen die Kontrolleure über die Straße und sprechen die Arbeiter an, die an der Außenfront des Gebäudes Putz auftragen. „Guten Tag. Bitte Ihren Namen und Ihre Papiere.“ Die Arbeiter sind nicht überrascht, Kontrollen gehören zum Arbeitsalltag. Wenn es nicht die Krankenkasse ist, kommt das Arbeitsinspektorat, das Finanzamt, manchmal auch die Fremdenpolizei. Ihre Ausweise haben sie daher stets parat.  

Im Inneren des halbrohen Gebäudes überprüfen weitere Kontrolleure der Krankenkasse einstweilen die Personalunterlagen; sie haben einen Laptop auf ein paar Ziegel gestellt und vergleichen die Daten. Auch hier stimmt alles – oder fast alles. Einer der Arbeiter berichtet von Kollegen, die ausgerechnet heute nicht da sind und deren Unternehmen niemand kennt. Jaklitsch macht sich Notizen – diese Baustelle werden sie wohl nochmals besuchen müssen. Er berichtet, dass so gut wie jeden Tage einige Fälle aufgedeckt werden. „Die Versuchung ist für viele der Unternehmer einfach zu groß: Sie wollen sparen und fangen damit natürlich beim Personal an.“ Der Kampf dagegen ist fast hoffnungslos – eine Handvoll Krankenkassen-Mitarbeiter gegen hunderte, ja tausende Baustellen. „Der Kampf gegen den Betrug, speziell gegen Sozialbetrug ist aber eine ehrenvolle Aufgabe“, sagt Jaklitsch. Man glaubt es ihm.