Reportage
Oberösterreich
Oberhalb der Enns – also eigentlich mehr links davon – liegt, gebildet aus 444 Gemeinden, Oberösterreich. Wie die meisten anderen Bundesländer ist es ein Opfer seiner Vorurteile, aber auch seiner Geschichte. Wie sieht Österreich ob der Enns abseits seiner braunen Vergangenheit und jenseits von Industrie- und Salzkammergutklischees aus?
Die Märchen der Gebrüder Grimm beginnen häufig mit „Es war einmal...“. In Ungarn fangen sie mit „In einem weit, weit entfernten Land, hinter Ob der Enns...“ an. Wie die Ungarn zu diesen Märchen gekommen sind, weiß man nicht genau. Aber sie spielen scheinbar jenseits des am weitesten entfernten Landes, das sie damals kannten: Oberösterreich. Dieses Land ist das Produkt von etwas, das in Österreich Seltenheitswert hat und wovor alle anständigen Beamten noch immer zittern: einer Verwaltungsreform. So wie es sich auch heute noch zu Zeiten der Europäischen Union zeigt, sind die meisten Reformen, die in Österreich wirklich etwas verändern, von außen aufgezwungen. Und daher verdankt Oberösterreich seine Existenz auch nicht einem innovativen Babenberger oder Habsburger, sondern dem König von Böhmen Ottokar II. Přemysl.
Der nahm den Steirern 1254 den Traungau weg und formte daraus und aus Teilen des Herzogtums Österreich Ansätze dessen, was heute von Josef Püringer regiert wird. Weil es aber ein gutes Land ist – wohl wert, dass sich ein Fürst sein unterwinde – blieb der gute Ottokar damit nicht lange glücklich und fand bald sein bitteres Ende. Österreich ob der Enns ging an seinen Bezwinger, den Schweizer Rudolf von Habsburg. Die Zeit verging, Epidemien, Gegenreformation und Kriege rafften die Bevölkerung dahin.
Schließlich erwarb man 1779 das Innviertel und schickte gezielt österreichische Lehrer hin, um den Bayern das ordentliche Sprechen zu lehren. Später kam dann der Kaiser gern nach Ischl, wo er sommerfrischte und am 28. Juli 1914 mit der Kriegserklärung an Serbien auch den Totenschein seines Reiches ausstellte. Nach fast 700 Jahren hatten die Habsburger zwar ihr eigenes Aussterben überlebt, aber nach dem Ende des Ersten Weltkrieges doch so abgewirtschaftet, dass sie das Land verlassen mussten. Am 2. November 1918 übergab der letzte kaiserlich-königliche Statthalter Baron Handel seine Amtsgeschäfte per Schreiben an die provisorische Landesregierung und nannte das Land darin erstmals offiziell Oberösterreich.
Die dunkle Vergangenheit
Den Namen behielt es aber nicht lang, weil um die Jahrhundertwende zusammen mit dem späteren Philosophen Ludwig Wittgenstein ein Knabe aus Braunau in Linz eingeschult wurde, der - gelinde gesagt - noch eine Menge Ärger machen sollte. Denn als der böhmische Gefreite – Hindenburg kannte nur das Braunau in Böhmen und nannte Hitler deshalb so – 1938 in seine „Patenstadt“ Linz zurückkehrte und dort auf eine nicht gerade ablehnende Bevölkerung stieß, verlor Oberösterreich zunächst seine Würde und bald darauf seine Benennung. Hitler ließ den Namen seines Geburtslandes tilgen wo man ihn nur finden konnte – während der NS-Diktatur behielten ihn nur der Österreichische Bundesverlag und die Österreichische Sparkasse – aus dem ehemaligen Oberösterreich wurde der „Gau Oberdonau“.
Der „Führer“ „belohnte“ seine Heimat in mehrerlei Hinsicht. Mit den „Hermann Göring Werken“ – der späteren VÖST – wurde in Linz ein Schwerindustriebetrieb errichtet, die Stadt sollte nach Hitlers Plänen auch sein Museum mit in ganz Europa zusammengetragener Raubkunst beherbergen und in Mauthausen wurde ein KZ für die Opfer des Regimes errichtet. Gauleiter Eigruber war auf diese Todeseinrichtung ganz besonder stolz: „Wir Oberösterreicher erhalten aber noch eine andere, besondere Auszeichnung für unsere Leistungen während der Kampfzeit. Nach Oberösterreich kommt das Konzentrationslager für die Volksverräter von ganz Österreich.“
Alte Wunden - neue Perspektiven
Den Makel der Massenmörder und des Massenmordes kann Oberösterreich bis heute nicht abschütteln und wird es - wie ganz Österreich - wohl auch niemals können. Mit seinem Namen sind und bleiben Braunau und Mauthausen, Hitler, Kaltenbrunner und Eichmann verbunden. Tragisch auch, dass manche aus der Geschichte scheinbar nur mäßig gelernt haben. Die oberösterreichische Neonaziszene nimmt in den Verfassungsschutzberichten des Innenministeriums immer wieder eine prominente Stellung ein. Dass auch Jörg Haider gebürtiger Oberösterreicher war, passt vielleicht zudem irgendwie in dieses Schema.
Aber es gibt auch ein Oberösterreich nach 1945, das wieder Oberösterreich heißen darf und im Guten von sich reden macht. Die Voestalpine ist mittlerweile ein innovativer Industriebetrieb mit über 12 Mrd. Euro Jahresumsatz und in Sachen Kultur beschränkt man sich nicht mehr nur auf Bruckner, sondern geht mit der Ars Electronica und der Linzer Klangwolke auch neue Wege. Statt eines zusammengeklauten „Führermuseums“ steht in der Landeshauptstadt das moderne Lentos Kunstmuseum. Seit 1966 wurden vier Universitäten und vier Fachhochschulstandorte errichtet. Im Jahr 2009 war Linz gemeinsam mit Vilnius Kulturhauptstadt Europas.
Eine starke Wirtschaft
Oberösterreich kann sich mittlerweile also sehen lassen. Jedenfalls hat es sich seiner Vergangenheit gestellt, wenn diese auch noch nicht bewältigt ist. Und abgesehen von den Abgasen der Linzer Stahlbetriebe, hat man sich wohl auch an die eigene Verfassung gehalten, die dem Land in Artikel 15 etwas geschwollen die „Hebung der Lebensqualität seiner Bürger“ zur Aufgabe macht.
Im Bundesländervergleich hatte es 2011 mit 3,2% die drittniedrigste Arbeitslosenrate. Beim Bruttoregionalprodukt und der Forschungsrate lag es jeweils im Mittelfeld. Das Land verfügt über fast 23% aller österreichischen Industriearbeitsplätze. Kein anderes Bundesland hat soviele Arbeitnehmer im sekundären Sektor. In diesem Bereich gibt es in Oberösterreich 500 Betriebe mehr als im größeren Niederösterreich. In mancherlei Hinsicht ist Oberösterreich also vielleicht zu jenem paradiesischen Land geworden, das in ungarischen Märchen „Operencia“ genannt wird und hinter den Glasbergen und dem obderennsischen Meer liegt.