aus dem Sinn
Skinheads
Das Klischee des Martens tragenden, glatzköpfigen Nazi-Skins ist dahin. Das Schläger Image haben sie abgelegt. Rechtsextreme nehmen geschickt andere Subkulturen, Styles und Musik in Beschlag und machen so ihre Lebenswelt interessant.
1960
Mods treffen auf Rude Boys
Mitte der 70er Jahre
Punk erorbert auch die Herzen vieler Skins
1980er
Die ersten Skins tauchen in Österreich auf
Die 1990er Jahre
"Deutschrock" dominiert die Nazi-Szene
Skinheads zelebrieren eine Kultur der proletarischen Ästhetik. Mods aus der Arbeiterklasse, die sich die schicken Anzüge nicht leisten konnten und sich von den eher bürgerlich geprägten abgrenzen wollten, trafen in den späten 1960er Jahren auf die "Rude Boys" aus Jamaika. Die Troublemaker aus der Karibik brachten Ska Musik in die Clubs der Arbeiterviertel in London, für die "hard Mods" vor allem interessant, weil Ska und Early Reggae, ebenso wie Northern Soul, nicht vom Mainstream besetz waren und von den Hippies nicht gehört wurden.
Laurel Aitken, Desmond Dekker oder die frühen Toots & Maytals, lieferten den Sound, aus dem die Skinhead Bewegung geboren wurde. Es ging um Vespas, Klamotten, aber auch damals schon um Fußball und Schlägereien. Mit dem Beginn des Roots-Reggae aber hörten viele Schwarze auf, Skinhead zu sein, und die englischen Arbeiterkids konnten mit den langsamen Tempi und den religiös-politischen Texten nichts mehr anfangen.
Als Mitte der 70er Jahre Punk wie ein reinigendes Gewitter über die Popwelt hereinbrach, wurde es still um die Skins, einige Jahre später kam es zum ersten Revival: Oi! war musikalisch vom Punk beeinflusst, die Haare wurden immer kürzer, der Look immer martialischer, eine Politisierung der nun vorwiegend weißen Szene begann. Vor allem die rechtsradikale britische "National Front" und die "British National Party" rekrutierten in der einst smarten und toleranten Bewegung erfolgreich neue Anhänger.
Es kam in der Folge wiederholt zu Spaltungen, während einige dem "Spirit of 69" treu blieben und antirassistische Skins sich unter dem "S.H.A.R.P." (Skinheads against racial predjudice) Logo organisierten, waren die rechten "Boneheads" bald in der Überzahl.
Sound of the 90ies
Das britische TV und der Boulevard verwendeten schon in den 1960ern den Begriff "Skinhead" für alles, was irgendwie kriminell oder gewalttätig war oder einfach nur gegen das rigide Klassensystem rebellierte. Mit der Vereinnahmung der Bewegung durch die extreme Rechte wurde der Begriff schließlich das Synonym für "Neonazi".
Die ersten Skins tauchten in Österreich in den 1980ern auf, der Kult kam schon als rein rechtsextrem im deutschsprachigen Raum an. Hooligans wechselten rasch ihre Jeanskutten gegen Bomberjacken und trugen fortan Glatzen. Aus dem Oi! Punk entwickelte sich eine dreckige, meist miserabel performte Mischung aus Punk und Metal mit rassistischen und nationalistischen Texten, Screwdriver mit dem "Bood and Honour" - Gründer Ian Stuart Donaldson waren die ersten, die offen ihre nationalsozialistische Ideologie besungen.
"Deutschrock" dominierte seit den 1990ern die Szene, während bei unseren Nachbarn nach der Wiedervereinigung rechtsextreme Gewalt rasant zunahm und hierzulande Gottfried Küssel seine braunen Kader der "Vapo" bei Wehrsportübungen trainierte und auch HC Strache im Wald "paintballerte". Nachdem Polizei und Justiz dem Treiben der Glatzen ein Ende bereiteten, die Kameradschaften verboten wurden und die öffentliche Sensibilisierung zunahm, war die Zeit reif für einen Strategie- und Imagewechsel.
„Nazi. Just do it!“
Die alten und jungen Braunen werben heute offensiv um Nachwuchs, und mit dem Ablegen des Skinhead - Looks eröffnen sich jede Menge Möglichkeiten. Marken wie Fred Perry oder Lonsdale werden zwar noch immer getragen, inzwischen gibt es in Onlineshops aber alles, was das Herz des modebewussten Rechtsextremen begehrt. Thor Steinar gilt als beliebteste Marke, die Runen und eindeutig zweideutigen Sprüche auf den Hoodies und "T-Hemden" sind Kult in der Szene.
Bei Lonsdale fehlte noch das "P" auf NSDAP, bei Consdaple setzt man gerne auch den Reichsadler dazu. Schön gesetzeskonform, versteht sich. "Junge Neonazis suchen nach kulturellen Abgrenzungsmöglichkeiten gegen ihre als altbacken und klischeebeladenen Vorgänger. Und Zugang zu den Jugendszenen - das geht nur mit einer frischen, unverbrauchten Verpackung", weiß der deutsche Politikwissenschaftler Christoph Schulze. "Wer will, bekommt brachiale Bekenntnisse zum Nationalsozialismus, für Zögernde gibt es zweideutige Marken."
Die braunen casual - Klamotten sind auch ein riesen Geschäft, das lässt die Kassen klingeln bei rechten Unternehmern und auch in der NPD. Was ein echter Nazi ist, darf sich nicht lumpen lassen. So mancher deutscher Szene-Aussteiger muss um Zuschüsse der Behörden ansuchen, weil er nur Nazi-Klamotten besitzt und sich neu einkleiden muss.
Das Anfixen funktioniert aber vor allem über Musik. Rechtsrock gibt es zwar nach wie vor, Gitarrenmusik ist aber heute in allen Schattierungen vertreten. Für die zarter Besaiteten zupfen rechte Barden wie Frank Rennicke die Gitarre, auf NS-Hardcore Konzerten brüllen die Sänger ihre Messages in die Menge. Die Black Metal Szene ist heute weniger von rechter Unterwanderung betroffen als noch vor einigen Jahren, wehrt sich aber oft nur plakativ gegen Vereinnahmung und rechtes Gedankengut. In der Dark Wave und Neofolk Szene kokettieren Bands wie Death in June mal mehr, mal weniger mit NS Symbolen.
Nazis versuchen sich auch zusehends als Rapper. "National Sozialist Hip Hop" oder "patriotischer Rap" nennen sie ihre Tracks, die Musik wird vorwiegend als Vehikel für ihre Hetze missbraucht. Entsprechend schlecht hört sich das dann auch an. Momentaner Star der braunen Hip Hop Fans ist "Dee Ex", eine Berlinerin, deren Name in wehleidiger Pose auf eine (unfreiwillig?) beendete Beziehung anspielt. In ihren Texten drückt sich eine schwülstige Heimatliebe und eine pseudokritische, vom politically incorrect Gehabe der neuen Rechten geprägte Anti-Haltung aus, die nicht offensiv rechtsextrem ausgerichtet zu sein scheint. Auf Facebook gibt sie mit Slogans wie "Zeig Mut gegen echte Gewalt" eindeutige Zeichen an die Szene, die "dissidenten Linken" seien aber ebenso willkommen, schreibt sie auf ihrer Pinnwand. Occupy Plakate à la "I'm not anti-system, system is anti-me" inklusive.
Nicht nur was politische Musik angeht verschwimmen zusehends die Grenzen zwischen Rechtsextremismus, Verschwörungstheorie, Globalisierungs- und Kapitalismuskritik. Das teilweise Abgleiten der Wiener Occupy-Bewegung ins rechte Obskuranten Eck ist nur ein Beispiel.
Devise: Offensive. Täuschen, Tarnen, Pragmatismus.
Analog dazu werden die Aktionsformen der Neonazis immer niederschwelliger, kaum eine Protestform, die nicht kopiert, adaptiert oder erfolgreich umgedeutet wird. Die "Spreelichter" sind Internet- Ableger diverser rechtsradikaler Gruppen in und um Berlin. Ihr neuestes Projekt: "Die Unsterblichen". Im Netz organisieren sie Flashmobs, bei denen sie mit Fackeln und in deutlicher Anlehnung an Anonymous-Demos mit weißen Masken durch die Straßen ziehen, Plakate wie "Die Demokraten bringen uns den Volkstod" tragen und ebenso schnell wieder verschwinden, wie sie aufgetaucht sind.
Antifaschisten oder Polizei haben keine Chance zu reagieren. "Autonome Nationalisten" sind rein optisch kaum von linken Autonomen zu unterscheiden. Bei Demos tritt man in Formation des "schwarzen Blocks" auf, aus den Lautsprechern tönen Wir sind Helden oder die Ärzte, auch Che Guevara Fahnen sind keine Seltenheit. Die Taktik hat aber nicht nur operative Zwecke, wie das Verwirren der Polizei und des Gegners. Politisch gibt es Überschneidungen mit den Themen der Linken, das Feindbild Amerika eint die Extremisten, EU und Euro bieten keine Zukunft, es braucht einen neuen Gesellschaftsentwurf.
Wer sich durch Ausländer marginalisiert oder bedroht fühlt, bei dem steigt die Bereitschaft, zumindest mal vorbeizuschauen und sich eventuell der attraktiven Lebenswelt der Nazis anzuschließen. In urbanen Zentren stilisiert man sich bewusst als progressiv, will vom Lederhosen Mief der alten Generation weg, man ist "die Alternative" und baut auf eine Abwehrhaltung gegenüber der linksliberalen Mehrheitsgesellschaft, nutz die Demokatie- und Wirtschaftskrise bestmöglich aus.
Auf der "Heimseite" der AN Wien findet sich ein bekanntes Zitat der RAF Terroristin Gudrun Ensslin: "Wir wissen, dass Reden ohne zu Handeln, Unrecht ist". Über 20% der gewaltbereiten Nazis sind inzwischen bei den Autonomen Nationalisten organisiert. In Österreich dominieren Naziskins nur noch in Vorarlberg die rechte Szene, in der Hochburg Oberösterreich nimmt die Anzahl der schlägernden Skins laut Thomas Rammerstorfer vom Infoladen Wels ab.
Auch wenn die Zeit der Glatzen vorbei zu sein scheint und anzunehmen ist, dass sich der Modernisierungstrend fortsetzt - das Image der traditionellen Skinheads ist und bleibt ruiniert. In der öffentlichen Wahrnehmung ist der Schluss "Skin = Nazi" fest verankert. In Ansätzen zeigt sich dennoch eine Rehabilitierung der Szene.
Vor allem Filme wie "This is England" brachten nicht nur den britischen Kids Ska Parties und Allnighter haben wieder Konjunktur, es gibt vereinzelt Retro-Mods und Tradskins, für die gilt, was Bad Manners Sänger Buster Bloodvessel über das Skin-sein meinte: "You have to love Ska music, you have to love your Doc Martens, you have to love football - and most important of all, you have to be anti-racist. You can't be a Skinhead if you're racist."
Factbox
Skinhead - Haartracht: #5 oder #6 crop - also 1,2 bis 1,6 cm. Skinhead, weil die Kopfhaut durchscheint.
Boneheads nennen traditionelle Skinheads deshalb abschätzig die Nazis im Skin Look, die sich den Kopf meist fast kahl rasieren oder überhaupt Glatze tragen, so dass die Knochen sichtbar sind.
Spirit of `69: 1969 ist das legendäre Geburtsjahr der Skinhead-Bewegung. Den Roots treu bleiben, heißt den Geist von `69 hoch leben lassen.
Oi! kommt wohl vom Cockney-Dialekt, ein Füllwort, das zur Begrüßung ("Oi, mate!") verwendet wird. Es gibt nach wie vor unpolitische Oi!-Skins (und auch Punks), aber auch in der Nazi-Musik lebt Oi! weiter, z.B. in Bandnamen wie "Kraft durch FrOide" oder "Oithanasie".
Fred Perry distanziert sich, genau wie Lonsdale, schon seit langem von der Vereinnahmung ihrer Polos durch Nazis, die vor allem Farbkombis wie schwarz rot weiß bevorzugen. Firmengründer Perry war der erste Wimbledon Sieger aus der Arbeiterklasse, dafür und für nichts anderes steht der Lorbeerkranz, das bekannte Logo der Marke.
Allnighter sind Ska, Rocksteady und Northern Soul Parties, die - gerne auch unter Einfluss stimulierender Pillen - die ganze Nacht dauern.
Leseempfehlung
Doku
Skinhead Attitude. Ein Dokumentarfilm von Daniel Schweitzer, 2003