Reportage

Gemischter Satz

Mozart meets Monty Python: Hyung-ki Joo, englischer Pianist mit koreanischen Wurzeln und Aleksey Igudesman, russischer Geiger mit Wiener Schmäh, treten seit 2004 gemeinsam auf. Die Absolventen der Yehudi Menuhin School hörten auf sich, zu prügeln und nutzen seither ihr Talent für Musik und Comedy, um Spaß in die Konzertsäle weltweit zu bringen.


Wieso redet ein Pianist über seine Repertoireschwächen? "Rachmaninov hatte große Hände und komponierte große Akkorde. Ich habe kleine Hände", sagt Hyung-ki Joo in einem ihrer bekanntesten Sketche. Nachsatz: "Aber NUR die Hände sind klein!". Sein Assistent in Shorts betritt die Bühne, unter dem Arm eine Sammlung von Sperrholz-Latten mit Gumminoppen. Er stellt sich hinter den Pianisten, dessen Konzert nun Fahrt aufnimmt. Aleksey Igudesman reicht die passenden "Akkordhilfen" an und fängt sie wieder auf. Je höher das Tempo und je verzweifelter die Grimassen, desto mehr lacht das Publikum. Ist denn das erlaubt? Igudesman & Joo sagen "Ja!" und pflegen den entspannten Crossover von U- und E-Musik auf höchstem Niveau. Sie sprengen mit Musik & Comedy das Korsett der klassischen Konzertsäle. Die beiden Musiker, wohnhaft in Wien, nehmen sich selbst nicht zu ernst und den Rest der Musikwelt liebevoll auf die Schaufel: Konzertmeister, Orchestermusiker, Produzenten, Abonnenten, Kritiker, Geiger ("die Diktatoren unter den Streichern") - keiner wird verschont.

 

Die beiden „noch nicht Vierzigjährigen“ treten seit 2004 mit „A Little Nightmare Music“. gemeinsam auf. Ende September 2012 kommt ihr neues Programm „And Now Mozart“ ins Wiener Konzerthaus. „Es wird wahrscheinlich kein Mozart vorkommen, aber nicht einmal das ist hundertprozentig sicher“, beteuert Aleksey Igudesman. Die neuen Nummern verstecken sie im bewährten Programm und arbeiten auf diese Weise schon seit Jahren an der neuen Show. Ein harter Testlauf fand geheim an einer Musikschule in Niederösterreich statt: „Gags, von denen wir total überzeugt sind, können floppen und unvermutete Stellen sich als Highlight erweisen. Tatsächlich waren diese Leute aber zu nett und haben dreieinhalb Stunden mit uns verbracht“, freut sich Hyung-ki Joo. Nun wird weiter gefeilt und auf Konzertlänge gekürzt. Musik und Gags einzustudieren braucht gleich viel Zeit. Insgesamt dauert also alles doppelt so lang. Viele Ideen kommen sehr schnell. Bis sie ihren Ansprüchen entsprechen und musikalische Parallelen herausgearbeitet sind, kann es dennoch Jahre dauern. „Da ist eine Beethoven Sonate leichter“, seufzt Aleksey.

A nightmare a day keeps the doctor away

Für die meisten Musiker ist es ein Alptraum, wenn das Licht ausfällt, der Hocker sich nicht verstellen lässt, oder das Mobiltelefon läutet. Für Igudesman & Joo fängt der Spaß da erst an, denn das Leben ist voller Fallen und der Konzertsaal ist es auch. „Viele brechen zusammen, wenn etwas schief geht. Wir sagen: ‚Let the fun begin!’ Wer Missgeschicke mit Spontaneität und Humor aufgreift ist der größte Held. Vor sich selbst und für das Publikum!“, weiß der Geiger.

Parallel zu „A Little Nightmare Music“ haben sie in den vergangenen acht Jahren auch „A Big Nightmare Music“ mit großen Orchestern gespielt, wie dem L.A. Philharmonic Orchestra im Hollywood Bowl. Zusätzlich machen sie immer wieder Shows mit musikalischen Freunden: Joshua Bell, Emanuel Ax, Julian Rachlin, Gidon Kremer, Janine Jansen, Mischa Maisky, Victoria Mullova oder Billy Joel. Berührungsängste gibt es nicht, denn die perfekte Beherrschung des Instruments ist bei allen Basis der Arbeit. „Es gibt ein Sprichwort: You can lead a horse to the water, but you cannot make it drink it. Wir können andere Künstler inspirieren mit uns zu arbeiten. Wir können sie zum Wasser führen, wenn sie spüren, dass sie es kosten wollen. Trinken müssen sie selbst“, erklärt Hyung-ki. Viele sind sich vermutlich vorher nicht bewusst, wie viel Arbeit Timing und Pointen sind. Das Proben von lustigen Sachen ist nicht immer lustig.

Spaß mit Musik haben

Die Yehudi Menuhin School, wo sich die beiden mit zwölf begegneten, ermutigte sie zu einer breiten Basis als Menschen und Musiker. Seit Aleksey und Hyung-ki über einem Korb Fish'n Chips Freunde wurden und aufhörten sich zu prügeln, teilen sie die Begeisterung für Musik aller Art, Comedy und Theater. Zudem vereint sie die Abneigung gegen Konzerte, die mehr einem Begräbnis, denn einem Fest gleichen. An ihrer "Elite Spezialisten Klassik Schule" wurde im Fach Komposition auch die "Bohemian Rhapsody" von Queen zerlegt. Die ganze Musik wächst für Igudesman & Joo - wie der Gemischte Satz in den Wiener Weinbergen - auf dem gleichen Boden, greift auf vergleichbare harmonische Strukturen zurück. Das zeigen sie etwa mit ihrer legendären Version des Gloria Gaynor Singalongs "I will survive", die unter anderem Tschaikowsky, "The final countdown", Vivaldi und "Killing me softly" verbindet. Igudesman & Joo spielen von Los Angeles bis Taipeh, von Dubrovnik bis Dänemark. Ihr Publikum vereint Musikliebhaber und Ahnungslose, Kinder und Greise. Musikalische Vorbildung braucht es nicht. Sie wollen nicht einschüchtern, sondern unterhalten: "Wir versuchen immer auf mindestens zwei Ebenen zu arbeiten. Die einen lachen über Slapstick, die anderen über den Insiderwitz", erklärt Aleksey.

In erster Linie geht es ihnen um die Musik: "Wir machen uns nicht über Musik lustig. Wir nehmen sie sehr ernst. Wir wollen Spaß mit Musik haben", unterstreicht Hyung-ki. Und damit sind sie nicht allein. Ihre YouTube Clips vereinen 30 Million Klicks, sie haben 17.300 Freunde auf Facebook. Virales Marketing nennen das die Profis. "Wir lassen es behandeln, es juckt nur noch ein bisschen", scherzt Aleksey. Einige Zeit waren sie im Internet bekannter als im "wirklichen Leben". In kleinen Videoclips kündigen sie ihre Konzerte an, nehmen Fans so mit auf Tournee und singen mit Kim Wilde in der Garderobe schon mal den grottigen "Puppy Song" vor der Webcam. Wenn nach ihrer Vorstellung ein Kind Klavier lernen will, Menschen ihr Instrument nach Jahren wieder in die Hand nehmen oder ein Abo buchen, ist das "ein ganz fantastisches Nebenprodukt. Das Ziel mehr Publikum in einen Konzertsaal zu bekommen, wäre wie das Ziel Millionen Euro verdienen zu wollen: quantitativ, nicht künstlerisch. Wir wollen lieber mit dem Publikum Spaß mit Musik", stellt der Geiger klar.


Die Ehe der Joodesmans

Auf dem Anhänger des Geigenkastens ist der Name „Joodesman“ eingewebt. Verschmolzen sind sie trotzdem nicht. Ihre künstlerische Partnerschaft und langjährige Freundschaft ist wie eine gute Ehe: Jeder macht auch eigene Projekte. Aleksey komponiert mit Academy® Award-Winner Hans Zimmer Filmmusik, etwa den Soundtrack zu  „Sherlock Holmes“ 2009 und führte zuletzt selbst Regie („Noseland“). Hyung-ki hat mit Billy Joel dessen CD mit klassischen Kompositionen arrangiert und unterrichtet leidenschaftlich gerne. Das gemeinsame Projekt haben sie immer im Hinterkopf. Hier fließt Herzblut hin und sie hecken Ideen für die Eroberung des TV-Bereichs aus. „Wir haben uns zusammengerauft“, sagt Aleksey über Igudesman & Joo. Und Hyung-ki ergänzt:„ Therapie ist teuer und Zeit haben wir auch kaum. Also sind wir gegenseitig unsere Psychiater. Wir machen uns Luft: was wir hassen und was wir lieben“. Im Flieger gibt es nach jedem Auftritt ein Debriefing.

In Wien haben sie angefangen und das war nicht einfach. Der gelernte Wiener weiß natürlich: Es würde helfen, bereits tot zu sein. Dann würde sicher eine Gedenktafel am Wohnhaus angebracht, ein Ehrengrab auf dem Zentralfriedhof spendiert und damit hausieren gegangen, dass Igudesman & Joo in Wien ihre größten Erfolge komponiert haben. „Wien ist berüchtigt dafür, dass es seine eigenen Kinder so lieb hat, wie Kronos“, analysiert Aleksey auf seiner Couch. Ihr Freund Julian Rachlin formulierte es so: „Warum wollt ihr in Wien Fuß fassen? Genießt die Stadt, lebt hier und macht Karriere überall sonst. Dann wird Wien auch kommen.“ Das haben sie dann auch gemacht.


Aleksey wohnt die meiste Zeit seines Lebens in Wien, „aber wenn du nicht hier geboren bist heißt es: A Wiener bist ned! Ich habe das in einem russischen Wienerlied verarbeitet. Ich spüre, dass Wien offener geworden ist. Was Musik  und Kultur angeht ist Wien eine der Hauptstädte der Welt. Ich sage ganz vorsichtig: Vielleicht DIE Hauptstadt der Welt. Alle kommen gerne hierher.“ Hyung-ki vollendete seine Ausbildung in Manhattan, war aber seit 1990 immer wieder in Wien: „Ich bin froh, dass es heute mehr asiatische Lokale gibt. Damals war ich wirklich ein Ausländer. Heute halten sie mich für einen Koch oder Kellner. Nach Wien hatte ich immer Heimweh, also bin ich hergezogen. Vielleicht fühle ich die großen Geister vergangener Tage.“

Weil Wien kompakt und ein Magnet für Musiker und Musikerinnen aus der ganzen Welt ist, können sie hier relativ einfach ihr Freunden treffen. Oder Aufmerksamkeit auf wichtige Anliegen lenken. Für die UNICEF und ihren Botschafter Roger Moore, einen gemeinsamen Freund, stellten sie in ihrer Neujahrsshow 2011/12 den Weltrekord mit den meisten tanzenden Geigern auf. „Wir wollen natürlich, dass der Rekord morgen gebrochen wird. Wir hätten lieber ein ‚Igudesman & Joo Buch der Rekorde’, in dem sich Musiker kreativ ausstechen“, meint Aleksey und Hyung-ki legt nach: „ Alles was wir tun hat eine Gemeinsamkeit: Wir wollen, dass Menschen Spaß mit Musik haben. Musik ist für jedermann. Alle Arten von Musik“


  • (c) Julia Wesely

Aleksey Igudesman

Geboren in St. Petersburg, studierte in Wien am Konservatorium bei Boris Kuschnir. Mit einem Konzertmeister als Vater und einer Pianistin als Mutter lag eine Musikerkarriere nicht fern. Er spielt mit eigens angefertigten Bögen - aber auch gerne mit dem Milchschäumer - auf einer Santo Serafin 1717, die ihm von der Erste Bank zur Verfügung gestellt wird. Wie es begann: „Mir war früh klar, dass ich eine klassische Karriere als Solist oder Orchestermusiker, der Konzerte auf und ab spielt, nicht interessant finde. Bei unserem ersten verrückten Konzert haben wir meine „Bastard Sonate“ (verlegt in der Universal Edition) gespielt, sind also schon früh in eine bestimmte Richtung gegangen. Das Klassische haben wir parallel gemacht. Meine Eltern haben mich immer unterstützt. Es hat aber zum Glück nicht so lange gedauert, bis wir Erfolg hatten“.

Hyung-ki Joo

Geboren in Norwich, England, studierte bei Nina Svetlanova in Manhattan. Wenn er auf seinen Flügel einschlägt, wurde das vorher von Stefan Knüpfer bei Steinway abgesegnet. Wie es begann: „Ich habe Musik immer geliebt. Dass ich mit acht Jahren endlich Klavier lernen durfte, war purer Zufall. Für mich hätte es damals auch Saxophon, Posaune oder Trommel sein können. Ich hatte gerade zwei Jahre Unterricht, da musste meine Lehrerin das Land verlassen. Sie berief meine Eltern ein und sagte: ‚Ihr Sohn ist talentiert, er sollte auf eine Musikschule gehen und ich habe das Vorspielen schon organisiert’. Meine Eltern waren in dieser Hinsicht sehr koreanisch, also wenn es der Lehrer sagt... Sie haben nichts erwartet, aber ich war hungrig, sobald ich den Ort das erste Mal sah. Sonst wäre ich wohl Arzt geworden.“