aus dem Sinn
Das Berufsheer der Ersten Republik
Zwischen 1920 und 1936 war in Österreich ein Berufsheer für den Schutz des Staates und die Hilfe bei Naturkatastrophen zuständig. Es war schlecht ausgerüstet, unterbesetzt und niemand wollte es, seine Assistenzeinsätze waren trotzdem erfolgreich.
1868
in Österreich wird mit RGBl. Nr. 151 erstmals die Wehrpflicht eingeführt
1920
die Konstituierende Nationalversammlung beschließt mit dem neuen Wehrgesetz die Aufstellung eines Berufsheeres
1928/29
das Heer wird zur Assistenz im besonders Strengen Winter herangezogen und hilft, die öffentliche Infrastruktur aufrecht zu erhalten
1938
die Deutsche Wehrmacht besetzt Österreich, das Bundesheer muss sich nach dem Willen der Bundesregierung kampflos von der Grenzverteidigungslinie zurückziehen
Bundeskanzler Julius Raab gab sich bei der Sitzung des Landesverteidigungsrates am 25. Feber 1958 keinen Illusionen hin. Die große Koalition hatte sich drei Jahre zuvor auf die Wiederaufstellung des Bundesheeres und die – nach 1868 und 1936 dritte – Einführung der allgemeinen Wehrpflicht in Österreich verständigt. Für den schwarzen Regierungschef aber war klar, dass dieses Heer „nie einen Krieg führen“ werde. Seine maßgeblichste Aufgabe liege vielmehr im „Erziehungsfaktor für die Jugend“.
Das ungeliebte Söldnerheer
Knapp 35 Jahre zuvor hatte die Konstituierende Nationalversammlung am 18. März 1920 das erste Wehrgesetz der noch jungen österreichischen Republik verabschiedet. Dieses sah vor, was heute wieder diskutiert wird: ein Berufsheer. Nach der Niederlage im Ersten Weltkrieg hatten die Alliierten im Friedensvertrag von Saint Germain die Aufstellung eines Heeres auf Basis der Wehrpflicht untersagt. Dies war auch der einzige Grund für die Schaffungen der Profiarmee, oder – wie es der christlichsoziale Berichterstatter Heinrich Mataja in der Debatte ausdrückte – eines Söldnersystems:
„…so verschieden die Ansichten zwischen den Politikern in diesem Hause sind, in einem Punkte sind wir und gerade in dieser Frage einig: daß das Söldnersystem die ungünstigste Grundlage für die Aufstellung der Heeresmacht für uns bedeutet und daß wir alle miteinander ein Milizsystem als Grundlage bei weitem vorziehen würden.“
- Parade des Bundesheeres im März 1930
Die Angst vor einem politisierten Heer
Interessanterweise spielte die Frage der Einsatzfähigkeit des Heeres bei Elementarereignissen in der Diskussion praktisch keine Rolle. Beherrschendes Element war vielmehr die Angst vor einer parteipolitischen Instrumentalisierung des Militärs. Daher hätten sowohl Christlichsoziale und Sozialdemokraten, als auch die Großdeutschen die Einführung eines Milizsystems bevorzugt. Ein Berufsheer sei gefährlich, so Berichterstatter Mataja, „da jede Gruppe befürchten muß, daß dieses Instrument von der anderen Gruppe zum Werkzeuge der Gewalt und zum Werkzeuge politischer Ziele ausgenutzt werden könne.“ Der spätere Bundeskanzler Prälat Seipel hielt fest die neue „Wehrmacht“ müsse so erzogen werden, dass sie „sich niemals dazu hergibt, ein Werkzeug, sei es der Revolution, sei es der Reaktion, zu werden.“
Es wirkt heute wie eine Ironie der Geschichte, dass 1920 gerade die Christlichsozialen einen parteipolitischen Missbrauch der Armee befürchteten, zumal sie es waren, die schließlich 1934 das Bundesheer auf Gemeindebauten feuern ließen. Damals gab ihnen jedoch die Tatsache Anlass zur Sorge, dass die bereits existierende provisorische Armee, die sogenannte „Volkswehr“, unter starkem Einfluss der Sozialdemokratie stand.
Die äußeren Einflüsse auf das Wehrgesetz
Das Wehrgesetz war aber nicht nur deshalb eine der umstrittensten Materien der Nationalversammlung. Diese war eigentlich eingesetzt worden, um eine Verfassung zu geben. Und nicht nur die Großdeutschen bemängelten, dass die Schaffung eines Heeres der einer Bundesverfassung vorgezogen wurde, auch die Länder hatten entsprechend in Wien reklamiert. Da man ihre politische Macht fürchtete, hatte man ihnen etliche Konzessionen machen müssen. Die Truppenkommandanten in den Ländern sollten nur mit Zustimmung der Landesregierungen ernannt werden. Außerdem wurde den Befürchtungen Rechnung getragen, dass mit der Einquartierung landesfremder Soldaten „agitatorische Elemente“ Einzug halten könnten: Versetzungen über Bundesländergrenzen hinweg bedurften daher ebenfalls der Zustimmung der Länder.
Die Nationalversammlung sah sich außerdem aufgrund der politischen Ereignisse im Deutschen Reich einem gewissen Druck ausgesetzt. Dort hatten fünf Tage zuvor national-konservative Kräfte versucht, sich im sogenannten Kapp-Lüttwitz-Putsch an die Macht zu setzten. Dementsprechend dringlich erschien die Schaffung einer eigenen bewaffneten Macht, um etwaigen Umsturzversuchen in Österreich entgegenwirken zu können. Auch deshalb peitschte die Regierungsmehrheit den Antrag in Rekordeile durch.
Der parteipolitische Hickhack
Dass aber überhaupt ein Heer aufgestellt werden sollte, fand nicht die allgemeine Zustimmung aller Parteien. Der Großdeutsche Max Friedmann etwa nannte die geplante Armee eine „Parteitruppe“ sowie „Prätorianergarde“ und warf der Koalition aus Sozialdemokraten und Christlichsozialen vor, sie präsentiere dem Parlament eine „Wehrvorlage, die Hunderte von Millionen verschlingt, um eine Wehrmacht zu schaffen, die wir einfach nicht brauchen und nicht verwenden können.“ Das Ziel der Roten sei schließlich, so Friedmann, eine „bewaffnete Gewerkschaft“.
Der Führer der Sozialdemokraten Otto Bauer wiederum begründete die Notwendigkeit der Schaffung eines Heeres auch damit, dass „der Balkan heute ungefähr bis zum Rhein“ reiche und man daher „eines gewissen Schutzes unserer Grenzen“ nicht entbehren könne. Die „Arbeiterzeitung“ sekundierte der Sozialdemokratie am nächsten Tag mit der Titelüberschrift „Ein Wehrgesetz der Demokratie“, während die großdeutsche „Reichspost“ von „Österreichs Söldnerheer“ schrieb.
Chronische Unterbesetzung
Die große Koalition scheiterte kurz darauf an der Frage der Formulierung der militärischen Dienstvorschriften. Die Christlichsozialen übernahmen das Staatsamt für Heerwesen und setzten in den Folgejahren die von ihnen zuvor befürchtete Politisierung des Heeres systematisch um. In dieser Zeit wurde die Armee mehrfach zu Assistenzeinsätzen herangezogen. Die Mehrheit dieser Verwendungen galten dem Schutz des Staates. Das Bundesheer, das – obwohl der Friedensvertrag eine Truppenstärke von bis zu 30.000 Mann erlaubt hätte – im Schnitt über nur 21.000 Soldaten verfügte, stand dabei parteipolitischen Wehrverbände mit über 100.000 Mann gegenüber.
Der niedrige Personalstand der österreichischen Streitkräfte war eine Konsequenz von Saint Germain. Die Alliierten hatten die wiederholten Bitten der Österreicher, ein Milizheer – wohlgemerkt nicht die Wehrpflicht – einführen zu dürfen, abgelehnt. Das Land, das in den 20ern besonders hart unter der Wirtschaftskrise litt, konnte sich kein voll ausgerüstetes Berufsheer leisten. Ein Milizsystem, bei dem die Soldaten nur zeitweise einrücken, wäre hingegen wesentlich billiger gewesen. Ignaz Seipel meinte, man wäre „mit einem Heer von viel kleinerem Umfang“ zufrieden gewesen, wenn man nur das Milizsystem hätte umsetzen dürfen. Die Situation im Heer war zwischenzeitlich aufgrund der Mangelverhältnisse so marod, dass der pensionierte General und spätere Bundespräsident Theodor Körner monierte, die Armee werde bald nur mehr „einzig ein ... für Paraden und Ausrückungen vorbereiteter Verein“ sein.
Das Berufsheer als Propagandamittel
Die Unbeliebtheit des Berufsheeresprinzips hinderte die österreichische Politik jedoch nicht daran, es als Pro-Argument im Kärntner Abstimmungswahlkampf einzusetzen. Da im SHS-Staat die Wehrpflicht herrschte, wurde auf Plakaten um die Stimmen der slowenischsprachigen Mütter damit geworben, dass ihre Söhne in Österreich nicht einrücken müssten.
- „Mama, stimm nicht für Jugoslawien, sonst muss ich für König Peter in die Armee!“
Die Katastrophenhilfseinsätze des Berufsbundesheeres
Trotz seiner niedrigen Truppenstärke musste das Bundesheer in der Ersten Republik immer wieder seine Kräfte mobilisieren, um bei Naturkatastrophen helfend einzugreifen. Insbesondere im strengen Winter 1928/29 konnte an vielen Orten überhaupt nur durch seinen Einsatz die Infrastruktur aufrecht erhalten werden. Anton Zettel, dessen über 300-seitige Dissertation sich mit den Assistenzeinsätzen zwischen 1920 und 1938 beschäftigt, gibt etliche Beispiele für Hilfseinsätze:
„Im Mai bis Juli [1928] hatten Naturkatastrophen auch in Oberösterreich militärischen Einsatz erfordert. Die Bekämpfung eines Hochwassers in Redl-Zipf wurde durch eine Hilfsabteilung des Alpenjägerbataillons 8 durchgeführt. Von der Bezirkshauptmannschaft Steyr war am 26. Mai eine Assistenz des Alpenjägerregiments 7 angefordert worden… Zur Bekämpfung eines Hochwassers in Nöstlbach stellte das Pionierbataillon 4 Ende Mai eine Assistenz zur Hilfeleistung bei.“
Die Einsatzfähigkeit des Streitkräfte zur Katastrophenbekämpfung wurde während der gesamten Phase des Berufsheeres bis 1936 – als der Schuschnigg-Regime, entgegen den Bestimmungen von Saint Germain, die Wehrpflicht wiedereinführte – nie ernstlich bezweifelt. Im Gegenteil überschlugen sich die Verantwortlichen Politiker, wie etwa der oberösterreichische Landeshauptmann nach einem Unwetter im Juli 1929, oft in ihrer Dankbarkeit. Die Hilfe des Heeres, so der Landeshauptmann, könne „nicht genug warm anerkannt werden.“
Das Versagen des ersten Bundesheeres
Trotz seiner Assistenzleistung in Katastrophenfällen konnte das Bundesheer der Ersten Republik letztlich nicht als Erfolgsmodell reüssieren. Wenn es auch 1931 noch den Putsch der Heimwehren zugunsten der jungen Demokratie vereitelte, so ließ es sich doch 1934 bereitwillig einsetzen um die neue Diktatur gegen die aufbegehrende Arbeiterschaft zu verteidigen. Was man dem Heer letztlich nur bedingt vorwerfen kann, sind die Geschehnisse des März 1938. Das Bundesheer hatte befehlsgemäß die Sperrstellungen an der Grenze zu Deutschland bezogen, um Österreich gegen den erwarteten Angriff der Wehrmacht zu verteidigen. Dass es zurückgerufen wurde, war letztlich die Entscheidung der Politik. Das Heer erwies sich auch in diesem Fall lediglich als Diener seines Herrn.
Was kann und was muss ein Berufsheer leisten?
In der aktuellen Diskussion um die (Wieder-)Einführung des Berufsheeres, liegt ein wesentliches Element der Kritik auf der angeblich verminderten Einsatzfähigkeit eines nicht auf der allgemeinen Wehrpflicht beruhenden Militärs. Angesichts der Leistungen des ersten Bundesheeres in der Bekämpfung von Naturkatastrophen, in einer Zeit, in der es weder Hubschrauber, noch modernes Pioniergerät gab, scheint diese Kritik widerlegt. Auch die Befürchtungen, ein Berufsheer könnte leichter gegen die demokratischen Einrichtungen der Republik eingesetzt werden, sind im Jahr 2012 – im Gegensatz zu 1920 – fehl am Platz. Dass das Bundesheer zu klein werden könnte, ist angesichts seiner historischen Bedeutung ohnehin lächerlich. Weder die Politik der Ersten, noch jene der Zweiten Republik hat in ihm jemals ein wirksames Instrument zur militärischen Landesverteidigung gesehen. Nicht umsonst war bei der Besprechung mit Bundeskanzler Raab 1958 die größte Sorge des ÖVP-Handelsministers Bock nicht ein möglicher Krieg, sondern, dass „durch die in Aussicht stehende Erhöhung der Panzerzahlen der Straßenzustand stark in Mitleidenschaft gezogen werden könnte.“
Factbox
- Das Berufsheer wurde in Österreich 1920 eingeführt und diente bis 1936.
- Der prägendste Heeresminister der Zeit war der Christlichsoziale Carl Vogoin, er hatte das Amt von 1921 bis 1933 in 15 Regierungen inne.
- Das Bundesheer war nach Länderkontingenten aufgeteilt. Das größte (9.000 Mann) war in Wien, das Kleinste (600 Mann) in Vorarlberg stationiert.
- Der Oberbefehl lag bis 1929 beim Hauptausschuss des Nationalrates (Parlamentsheer), mit der B-VG Novelle ging er auf den Bundespräsidenten über.
- Der Friedensvertrag von Saint Germain legte die Maximalanzahl der Offiziere auf 1500 und die Munitionszahl pro Geschütz auf 500 bis 1500 fest, Geschütze durften nicht mobil sein, jegliche Militärluftfahrt wurde verboten.
- Die Alliierten untersagten Österreich auch nach 1945 bis zum Staatsvertrag die Bildung einer Armee. Daher wurde ab 1949 die sogenannte B-Gendarmerie aufgestellt, aus der sich 1955 die ersten Heereskader rekrutierten. Auch sie war eine rein professionelle Einheit.
Quellen
- Gott schütze Österreichdas Bundesheer durfte es nicht! Eine militärpolitische Betrachtung im Kontext des März 1938 und dessen Folgen für das Bundesheer der Zweiten Republik - Erwin A. Schmidl
- Staatsvertrag von Saint-Germain-en-Laye
- Die Wiederaufrüstung Österreichs in der Ersten Republik - BMLVS
- Stenographisches Protokoll der Sitzung der Konstituierenden Nationalversammlung vom 18. März 1920
- Arbeiterzeitung und Reichspost vom 19. März 1920
- Die Assistenzeinsätze des österreichischen Bundesheeres 1918 bis 1938 - Anton Zettel
- Volkswehr und Bundesheer bis 1933 - M. Christian Ortner in: Österreich. 90 Jahre Republik
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