Kommentar

Das Ende der Zeitung

Manchmal, am Frühstückstisch, frage ich mich, was besser riecht: Die frischen Semmeln oder die druckfrische Zeitung. Das Gefühl hält nur so lange an, bis ich den gedeckten Tisch wieder halb abräumen muss, um für das Qualitätsmedium meiner Wahl Platz zu schaffen.


Die Diskussion über die Zukunft von Zeitungen gibt es seit uns digitale Darstellung bis in die Hosentaschen folgt und sie wird auch noch eine Weile dauern – bis sich der Bildschirm an Frühstückstischen durchgesetzt hat. 

Es spielt keine Rolle, wie sich Zeitungen finanzieren. Es ist für alle schwierig. Sinkenden Abonnementzahlen und schwacher Inseratenbewirtschaftung stehen online die Gratiskultur und das Fehlen innovativer Bezahlmodelle gegenüber. Aber wenn es ums Geld geht, haben digitale Medien klare Vorteile. Einfache und sichere Methoden per Klick zu bezahlen sind in der Gesellschaft noch nicht angekommen, die Entwicklung steht aber erst am Beginn. Werbung, die Dank Analysen des Nutzerverhaltens maßgeschneidert ist und ja, paywalls, die funktionieren können, wenn die Leistung besser ist. Der Schwarm wird sich immer dorthin bewegen, wo es die gleiche Qualität umsonst gibt. Oder noch einfacher: wenn der Printartikel etwas später online gratis zu lesen ist.

Nostalgie für Genießer - Papierzeitungen sind die neue Dampfschifffahrt

Zeitungen müssen besser werden und dafür ist Papier nicht geeignet. Papier hat eingeschränkte Gestaltungsmöglichkeiten, Papier ist langsam, es kann nur in eine Richtung kommuniziert werden, die Produktionsstrukturen sind aufwendig und teuer. Und: Das „haptische Argument“ widerspricht schon jetzt der Lebensrealität des 21. Jahrhunderts.

Hätte es das Feuilleton schon gegeben, als die Bibliothek in Alexandria abgebrannt ist, es wäre es ein Volksfest für die Steintafel-Fraktion gewesen. Überschrift: „Die größte Wissensvernichtung in der Geschichte - das Papier ist das Ende unserer Zivilisation“. Das Argument ist das gleiche, die Wörter lassen sich ersetzen und diesmal ist Papier der Anachronismus. 

Schaut man sich die Meldungen anlässlich der sinkenden Auflagenzahlen an, muss in den Redaktionen eine Stimmung herrschen wie in den letzten Stunden der Titanic: „Wir haben weniger verloren als die anderen!“ heißt es anlässlich der jüngsten Auflagenzahlen. Falls das nicht selbstironisch gemeint ist, dann sollten die Alarmglocken in den Verlagen und Redaktionen spätestens jetzt unüberhörbar sein.

So wie wir uns fragen, wie Menschen vor 20 Jahren ohne Google zurechtkamen, werden Menschen in 20 Jahren die Stirn runzeln und sich fragen, welchen Sinn es machte, Nachrichten des Vortags am Abend abzudrucken, sodass man sie am nächsten Tag lesen kann. Da könnte man ja gleich eine Postkutsche schicken. Faszinierend wie diese Postkutschen, die am gleichen Tag, Großteiles die gleiche Information ablieferten, sich überhaupt so lange im Geschäft halten konnten.

Nachrichten leben von ihrer Aktualität, sie müssen schnell und direkt sein. Und weil wir im digitalen Zeitalter angekommen sind, müssen sie medial aufbereitet sein: Fotos, Video, Ton und Grafik. Nachrichten müssen auch keine Feststellung eines Status quo sein, sondern können sich mit den Ereignissen in Echtzeit mitentwickeln.

Die Herausforderung ist es mit diesen Informationen umzugehen. Wir brauchen Journalisten, die uns dabei helfen aus allem auch ein bisschen schlauer zu werden. Einen Präsidentschaftskandidaten heimlich mit dem Handy zu filmen, da ist nicht viel dabei. Die Information wird aber erst wertvoll, wenn sie von Menschen interpretiert und in Kontext gesetzt wird. Wir kommen ohnehin kaum mit der Nachrichtenflut zurecht, nicht auszumalen was passieren würde, müsste jeder selbst die neuesten Wirtschaftsprognosen interpretieren. Unterschiedliche Sichtweisen sind natürlich möglich und auch erwünscht. Das Internet bietet die Chance den User selbst auswählen zu lassen, von wem er was lesen möchte. 

Redakteur/in gesucht

Neben dem "Berichten" war das "Interpretieren" schon immer die Aufgabe von Journalisten. Jetzt kommen noch ein paar weitere Aufgaben dazu. Ging ein Journalist früher zu einer Pressekonferenz, im Schlepptau einen Fotografen, und schrieb dann ein paar gerade Sätze, während der Grafiker die Zahlen hübsch aufbereitete, wird das in Zukunft in Personalunion geschehen. Das bedeutet, dass jemand, der es mit dem Journalismus ernst meint, heute noch immer sehr viel Wissen und handwerkliches Können mitbringen muss. Schließlich muss er sich aber auch mit der Digitalkamera geschickt anstellen, mit Bild- und Videobearbeitungsprogrammen umgehen und seine Werke am besten gleich selbst effizient auf den sozialen Marktplätzen bewerben können. Ein guter Redakteur muss die Möglichkeiten seines Mediums mitdenken. Was wird mit Text beschrieben, was mit Fotos dargestellt? Macht das Interview als Video Sinn? Sind die Daten so umfangreich, dass die Grafik interaktiv sein muss? Früher war das einfacher: Geschichte zum gesetzten Thema, 300 Zeichen Platz, fertig. Diese Zeiten sind vorbei!
Blickt man sich heute in Redaktionen um, ist das ein bisschen wie auf einer 60er Jahre-Party. Man frönt der Nostalgie, Innovation passiert wo anders. Alle sind fasziniert von Twitter, und manche haben sogar einen Account, aber eigentlich dann lieber doch nicht. "Daten-Journalismus" ist das In-Wort auf allen Branchenparties, aber was das ist und wie das geht, das will dann doch niemand verraten. Die Websites und Apps von Zeitungen fristen ein vernachlässigtes Schattendasein und strotzen vor fast mutwilliger Unkreativität. Da müssen Menschen am Werk sein, die Computer entweder hassen oder nicht verstehen. Dabei ist das die Chance für Zeitungen von morgen. Mehr mediale Darstellung, die Chance zur Interaktion und zur Vernetzung von Inhalten. Es gibt frische Impulse, doch wenn Ideale ökonomischen Zwängen weichen müssen, dann fährt man auch am besten, die „alte“ Medienlogik zu verinnerlichen.

Zeitungen lösen sich auf – und werden vom User neu zusammengebaut

Das Aussehen von Zeitungen wird sich verändern, so wie auch die Leute, die diese neuen Zeitungen machen, neue Fähigkeiten vereinen müssen. Aber wird es das Konzept Zeitung überhaupt noch geben?

Agenturen beliefern schon heute verschiedene Medien, vor allem in der Außenpolitik, denn Korrespondenten sind teuer. Das gleiche Konzept kann auch mit anderen Ressorts funktionieren. Eine Redaktion die sich auf Wirtschaft, Sport oder Kultur spezialisiert und verschiedene Medien mit Inhalten versorgt. Gut gemacht und an das Endmedium angepasst.

Was denn dann mit dem Lieblings-Musikredakteur oder mit der bevorzugten Innenpolitikkommentatorin passiert? Verloren im Einheitsbrei? Keinesfalls: In Zukunft kann man sich eigene, virtuelle Zeitungen zusammenbauen.

Der Titel „Das Ende der Zeitung“ ist eine glatte Übertreibung. Zeitungen werden noch besser werden – nur eben nicht auf Papier.