Moskau

Russland rutscht ab

Der Fall Pussy Riot zeigt, dass Russland immer mehr in Richtung Diktatur abgleitet


Eine „Diktatur des Gesetzes“ soll für Ordnung sorgen und das Chaos der 1990er beenden – mit dieser Ankündigung begann Wladimir Putin seine Arbeit als Präsident der Russischen Föderation. Zwölf Jahre und drei Präsidentschaften später ist nur die erste Hälft dieses Versprechens eingelöst, der Diktatur fehlen Rechtsstaatlichkeit, Legalität und Unabhängigkeit der Gericht. Dabei lässt sich die Entwicklung Russlands unter Putin gut anhand von Gerichtsverfahren nachvollziehen. Die Prozesse gegen den Multimilliardär Michail Chodorkowski nach 2004 waren ein Signal Zeichen dafür, dass die regierende Elite sich den Reichtum des Russlands aneignete. Öl, Gas und die anderen Rohstoffe, die das Rückgrat der russischen Wirtschaft bilden, stehen heute zur Gänze unter der Kontrolle von Putin und seinem Clan bzw. den mit dem Präsidenten verbündeten Oligarchen. Die Justizgroteske rund um die Punkband Pussy Riot zeigt, dass jetzt auch die öffentliche Meinung endgültig dem Einfluss des Staates unterworfen werden soll, Widerspruch wird nicht mehr still geduldet, sondern bestraft. Die Obrigkeit, die auf Russisch als „Macht“ bezeichnet wird, will nicht nur die Geldbörsen ihrer Untertanen unter Kontrolle haben, jetzt sollen auch die Gedanken gleichgeschaltet werden. 


Einen willigen Gehilfen findet das Regime dabei in der Führung der orthodoxen Kirche, die das ideologische Unterfutter für die nächste Amtszeit des Präsidenten liefert: „Russland + Orthodoxie + Putin = neue Großmacht“. Nur 20 Jahre nach dem Ende des Verbotes und der Staatlichen Verfolgung während der Sowjetunion, hat sich die Kirchenführung mit dem Staat arrangiert, gibt Wahlaufrufe für den Präsidenten ab und appelliert an die Russinnen und Russen nicht an regierungskritischen Demonstrationen teilzunehmen. Das Kirchenoberhaut Patriarch Kirill geht sogar so weit, die Amtszeit Putins als „Wunder“ zu bezeichnen. Als Gegenleistung bekommt die Kirche mehrere tausend Gebäude zurückerstattet, die zu Sowjetzeiten beschlagnahmt wurden, außerdem wird mit diesem Schuljahr „Religion“ als verpflichtender Unterrichtsgegenstand an den öffentlichen Schulen eingeführt. Von spiritueller Tiefe ist diese religiöse Erneuerung allerdings weit entfernt. Weniger als fünf  Prozent der Russinnen und Russen sind mit den Inhalten des Glaubens vertraut und gehen regelmäßig in die Kirche. Dafür geben in Umfragen deutlich mehr als zehn Prozent der Befragten an, sie seien orthodox, würden aber nicht an Gott glauben. Die „Orthodoxie“ wird hier zur Staatsdoktrin, die für russische Traditionen, die Einheit des Staates und für die imperiale Macht steht, eine Doktrin in der Wörter wie Gnade, Mildtätigkeit oder Nächstenliebe keinen Platz haben.


Auch weltlich werden die Zügel angezogen: Das neue Gesetz zur Versammlungsfreiheit verhindert praktisch jede Versammlung, die der Obrigkeit nicht passt. Und mit dem ebenfalls neuen Gesetz, das offiziell dem Schutz von Minderjährigem im Internet dient, verschafft sich der Staat die Möglichkeit so gut wie jede ihm nicht genehme Information im Netz zu blockieren. Russland war im ersten Jahrzehnt von Putins Herrschaft ein autoritärer Staat, der für seine Untertanen einige Fenster offenließ, um die freie Luft des Westens in das Land strömen zu lassen. Diese Fenster werden jetzt nach und nach geschlossen.