Pro & Kontra

Die Große Koalition

Seit 1945 wurde Österreich fast 40 Jahre lang von Großen Koalitionen regiert. Ist die rot-schwarze Partnerschaft noch tragfähig oder hat sich diese Form des Regierens überlebt?


PRO

In Zeiten wie diesen ist nur eines noch unpopulärer als das politische System: die Verteidigung des Systems. Politikverdrossenheit ist en vogue, Generalverdacht gegenüber jedem Politiker gehört zum guten Ton und das halbernstgemeinte Liebäugeln mit Alternativen á la Piraten und Stronach ist mehr Ausdruck einer unkritischen als kritischen Auseinandersetzung mit Demokratie in Österreich.

Die große Koalition ist eine Errungenschaft

In politischen Systemen überall in Europa ist eines zu erkennen: Dort, wo Macht in wenigen Händen liegt, gibt es wenig Kontrolle. Dazu braucht es nicht einmal ein Mehrheitswahlrecht. In Systemen wie Frankreich wo der Präsident komfortabel über eine Mehrheit im Parlament verfügen kann, wird die Kontrolle der Opposition beschränkt. In Österreich ist die Opposition seit 1945 in die Regierung eingebaut, unterbrochen von Alleingänger-Versuchen der ÖVP (Klaus) und SPÖ (Kreisky). Vor Blau-Schwarz gab es auch einmal eine rot-blaue Annäherung 1983 bis 1986. Vor allem die Perioden Kreisky und Schüssel sind dem politischen Gegner als Horrorvorstellung in Erinnerung geblieben.

Die Kreisky-Ära wird von Menschen als Grund allen Übels heutiger Fiskalprobleme verteufelt, die lange nachher geboren wurden - "Staatsschulden" kommt dann immer als Schlagwort. Schwarz-Blau war sogar so schlimm, das heute nicht einmal mehr die ÖVP der FPÖ über den Weg traut. Partei-intern raunt man sich zu, man müsse für Wolfgang Schüssel geradezu dankbar sein, nicht auszudenken wäre ein Michael Spindelegger damals Kanzler gewesen, denn mit ihm wäre Jörg Haider wohl Schlitten gefahren.

Nach dem Absturz von FPÖ/BZÖ und dem Ende der Schüssel-Herrschaft, sahen sich SPÖ und ÖVP in alter Frische wieder. Man traute sich nicht über den Weg und Vizekanzler Wilhelm Molterer wollte es einfach nicht wahr haben, dass man jetzt wieder Rücksicht auf soziale Belange nehmen müsse, und ließ die Koalition 2008 platzen. Die Wahl bestätigte das Kräfteverhältnis im Land, denn auch uns Bürgern fällt nichts besseres ein und alle fügten sich dem großkoalitionären Schicksal.

Lektion gelernt

In den 1930er Jahren und während des Zweiten Weltkrieges hatten Sozialdemokraten und Christlich-soziale diese Lektion schon einmal gelernt: wenn sich zwei Streiten, freut sich der Dritte. Dieser Dritte sollte denn auch in Zukunft ausgeschlossen werden und der Proporz wurde in alle Gremien des Landes, vom Ministerium bis zum Vorstand des lokalen Fußballklubs, einzementiert. Heute finden wir das demokratiepolitisch zermürbend, dass wir als Pragmatisten uns auf einmal mit der Wahl zwischen Parteibüchern als Karriereschritt konfrontiert sehen. Damals war das eine Errungenschaft! Schattendorf, Justizpalastbrand und Selbstausschaltung des Parlaments wurden durch ein Gleichgewicht des Schreckens ersetzt, das dem Zeitalter des Kalten Krieges angemessen schien.

Fortschritt mit Neugebauer und Pendl

Dass diese Maschine gar nicht schlecht funktionierte, merkte man kaum, denn der Fortschritt, mit dem sich das Land vorwärts bewegte, erschien eher als ein Hinterherlaufen was rund um Österreich schon längst Realität war. Das macht nichts. Österreich ist ein unbedeutender Fleck und kann sich nicht mit tollem Bildungssystem, dem Prädikat "Wirtschaftsmotor" oder zumindest ein paar Königlichen schmücken. Dafür haben wir gute Straßen durch hohe Berge gebaut, ein funktionierendes Gesundheits- und Pensionssystem wachsen lassen, bei dem sich die ganze Welt inklusive uns fragt, wie sich das eigentlich finanzieren lässt.

Der Vorwurf, dass eine große Koalition Stillstand bedeutet stimmt nicht. Es tut sich was, nur eben langsam. Visionen über die Zukunft Österreichs sind bei keiner Partei vorhanden, wozu auch. Probleme lässt man auf sich zukommen, dann wartet man noch ein bisschen länger und findet einen Kompromiss. Eine Hand wäscht die andere. Zum Beispiel Bildung: Forderungen nach Investitionen in ebendiese Fehlen in keiner Rede, dass Bildung, Wissenschaft und Innovation unsere einzigen Ressourcen der Zukunft sind, stellt auch niemand in Frage. Das war vor 20 Jahren - Reformen blieben aus. Während andere Länder ihren Bildungssystemen einen frischen Anstrich für das 21. Jahrhundert verpassen, wartet man in Österreich erstmal ab - und dann bewegt man sich doch, in großkoalitionerer Manier: man tauscht. Die SPÖ lässt sich Studiengebühren abringen, dafür fordert die ÖVP seit kurzem die Gesamtschule. Figl und Schärf würden sich im Grab umdrehen - um sich die Hände zu reichen.

KONTRA

Aus der Bewältigung von Schicksalsschlägen heraus erwächst oft der Wunsch nach Halt und Sicherheit. Österreich ist ein schwer traumatisiertes Land. Es leidet nach wie vor unter Bedeutungsverlust (1918), Au(s)t(r)oagression (1934) und Selbstaufgabe (1938). Daraus resultierte lange Zeit ein starkes Verlangen nach Stabilität. Bei der ersten Nationalratswahl der Zweiten Republik am 25. November 1945, erhielten ÖVP und SPÖ gemeinsam 94,4% der Stimmen. Nachdem die KPÖ aus der Konzentrationsregierung ausgeschieden war und obwohl die ÖVP die absolute Mehrheit besessen hätte, bildeten Leopold Figl und Adolf Schärf das, was zum Inbegriff österreichischer Kompromisssucht werden sollte: eine große Koalition.

Vergangene Größe

In der Geschichte der Zweiten Republik hat diese Form des Regierens mittlerweile 13.345 Tage oder 39,3 Jahre die Geschicke des Landes bestimmt. Die große Koalition hat sich in dieser Zeit von einer historischen (1945) und politischen (1987) Notwendigkeit, hin zur reinen Verhinderungshydra neugebauerschen Ausmaßes entwickelt, die die Weiterentwicklung des Landes de facto zum Stillstand gebracht hat. Einst war es die Stärke der großen Koalition, trotz weitreichender inhaltlicher Differenzen, mit der verfassungsändernden Mehrheit auch ein höheres Reformpotential zu besitzen. Bei der letzten Wahl 2008 kamen SPÖ und ÖVP jedoch gemeinsam nur noch auf 55,3% der Stimmen. Die Zweidrittelmehrheit war futsch, die inhaltlichen Differenzen blieben.

Eine Partnerschaft von Erpressern

Die große Koalition, die keine mehr ist, übt sich mittlerweile nur noch in konsensdemokratischer Berufsverhinderung. Egal, ob es um die gemeinsame Schule, Zugangsregelungen für die Hochschulen, die Wehrpflicht oder auch nur um Bio-Diesel geht: SPÖ und ÖVP sind sich nur darin einig, dem jeweils anderen keinen Erfolg zu gönnen. Dabei behindern sie nicht nur sich selbst, sondern das gesamte politische System. Die ÖVP hat sich dabei als besonders geschickt darin hervor getan, ihren Koalitionspartner zu erpressen. Im Gegensatz zu diesem steht ihr nämlich auch eine Regierung unter Beteiligung der FPÖ offen, während Rot-Grün im konservativen Österreich nach wie vor vergeblich auf eine Mehrheit hofft.

In dieser Konstellation bewerkstelligt es die ÖVP immer wieder, ihre Inhalte durchzusetzen, auch wenn alle anderen Parteien einer anderen Meinung sind. SPÖ, FPÖ, Grüne und BZÖ möchten ein Minderheitenrecht auf U-Ausschüsse? Nicht mit der ÖVP. Aber auch die SPÖ weiß, wie man den Koalitionspartner an die Leine nimmt, wie zuletzt bei der Nichtladung des Bundeskanzlers vor den laufenden U-Ausschuss zu beobachten war. Letztlich ist keine der beiden Parteien bereit, wegen solcher Differenzen die Regierung platzen zu lassen.

Das Ende scheint nah

Warum gibt es die große Koalition aber immer noch? Die SPÖ findet abseits der ÖVP keinen Mehrheitsfähigen Koalitionspartner, die FPÖ schließt sie aus ideologischen Gründen aus. Die ÖVP hat aus der letzten schwarz-blauen Regierung durchaus ihre Lehren gezogen und ziert sich, mit einem so unzuverlässigen Partner ohne Personalreserven eine Koalition zu bilden. SPÖ und ÖVP wirken daher wie ein zerrüttetes Ehepaar auf Malta: Sie können sich nicht scheiden lassen. Die Wahrscheinlichkeit, dass es nach der nächsten Wahl keine sogenannte große Koalition mehr geben wird, ist indes trotzdem hoch. Zum einen, weil sich diese Regierungsform mittlerweile als völlig untauglich erwiesen hat. Zum anderen, weil durchaus die Möglichkeit besteht, wie eine Umfrage des Nachrichtenmagazins Profil kürzlich zeigte, dass ÖVP und SPÖ im Nationalrat keine Mehrheit mehr erreichen. Figl und Schärf würden sich im Grab umdrehen.