Moskau

Heiliger Putin, erhöre uns!

Putin wird 60 und bekommt Gratulationen von den Verrücktesten der Verrückten.


Es ist nur eine These, eine Beobachtung und ich weiß, dass ich mir den Vorwurf gefallen lassen muss vielleicht voreingenommen, negativ, anti-russisch, Spion des Westens, liberaler Intellektueller (in Russland ein Schimpfwort) oder sonst etwas zu sein. Trotzdem. Mein Eindruck ist folgender:

Russland scheint im Moment volkommen verrückt geworden zu sein.

Rund um den Prozess gegen die Band Pussy Riot bekommen gesellschaftliche Gruppen Oberwasser, für die die Bezeichnung „konservativ“ eine freundliche Untertreibung wäre. Das einzige Wort mit dem man diese fundamental-nationalistisch-pseudo-religiösen Gruppen bezeichnen kann ist „durchgeknallt“.  Gut, Verrückte gibt es in jeder Gesellschaft. Aber auf Österreich übertragen wäre das so, als ob die Meinung der katholischen Fundis von der Gruppe „Der 13er“ auf einmal zur Staatsideologie erhoben würde.

Das zeigt sich zum Beispiel an der Ausstellung „Ewiger Krieg“ in der Galerie Gelman, in der moderne Interpretationen von Ikonen gezeigt werden, die sich unter anderem dem Thema „Pussy Riot“ widmen. Bereits zwei Mal wollten Kosaken, orthodoxe Fundamentalisten und Aktivisten des etwas dubiosen „Eurasischen Jugendbundes“ diese Ausstellung stören. Doch statt die Freiheit der Kunst und die Redefreiheit zu schützen, hat die Staatsanwaltschaft Ermittlungen gegen die Künstlerin und die Aussteller eingeleitet, geprüft wird jetzt ob die Bilder „extremistisch“ sind.

Man könnte das als Episode abtun, wenn nicht gleichzeitig in der Duma ein Gesetz in Vorbereitung wäre, das für „Beleidigung des Glaubens“ eine Haftstrafe von bis zu zwei Jahren vorsieht. Und das eigentlich faszinierende: Ein großer Teil der Gesellschaft scheint das alles mitzutragen und zu unterstützen. Russland sei  eben ein orthodoxer Staat, müsse seinen eigenen Weg gehen und sich verteidigen. Noch überraschender wird es wenn auch westliche Russland-Experten wie Alexander Rahr diese Linie vertreten. Kritik am Urteil gegen die Band „Pussy Riot“ sei Heuchelei der liberalen Eliten des Westens.  Dass man das Urteil einfach deshalb kritisieren kann, weil es eine Verhöhnung des Rechtsstaates und Polit-Justiz ist, hat in diesem Schwarz-Weiß-Schema keinen Platz. Rahr sieht in der Auseinandersetzung einen Zusammenstoß der Kulturen: Der Westen könne Russland einfach nicht verstehen und  Russland sei nicht mehr bereit sich die Belehrungen des Westens gefallen zu lassen.

 

Und vielleicht hat Rahr tatsächlich Recht. „Werte“ in Russland scheinen etwas anderes zu sein als im Westen. Ein Beispiel: Laut einer aktuellen Umfrage  halten 62 Prozent der RussInnen Homosexualität für moralisch verwerflich, die Todesstrafe finden hingegen nur 21 Prozent für  unmoralisch.  

Und zum Glück gibt es einen der diesen russischen Sonderweg verteidigt und das große Russland vor Anfeindungen und Bevormundung durch den Westen schützen kann: Den heiligen Wladimir. Diese Putin-Ikone hängt bereits in der Kirche einer orthodoxen Sekte im Gebiet Nischnij Nowgorod (gegen diese ganz offensichtliche Gotteslästerung hat es übrigens keine Proteste  gegeben, zumindest nicht von den ultra-orthodoxen Gruppen). Das Oberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche, Patriarch Kirill, hat die Amtszeit Putins wörtlich als „Wunder“ bezeichnet. Und in einem Video eines tadschikischen Sängers, das letzten Winter recht populär war, wurde  Putin überhaupt als „Von Gott gesandt“  bezeichnet. Der Sänger hat übrigens auch ein Lied zum 60en Geburtstag des Heilsträgers produziert.

 

Vielleicht meint jemand ich übertreibe und sei auch nur so ein weicher westlicher Liberaler, der nicht verkraften könne, dass sich Russland endlich auf seine eigenen Füße stellt, die Bevormundung durch den Westen abschüttelt und seinen eigenen Weg als moralisch überlegene, orthodoxe Großmacht geht. Dieses Video sagt glaube ich alles. Mitglieder der „orthodoxen Fahnenträger“ verbrennen ein Bild der Sängerin „Madonna“, weil diese eine Hexe sei. Wenn moralisch Überlegenheit so aussieht, dann bleibe ich gerne ein jammernder, westlicher Liberaler.