Reportage

Innovatives Österreich

Von A wie Asbestzement bis Z wie Zionismus nahmen viele technische und theoretische Innovationen ihren Ausgang in Österreich. Manche davon waren erfolgreich, andere eher weniger.


Das Wiener Riesenrad haben Engländer gebaut, das Parlament ein Däne und das Gulasch kommt, ebenso wie die Palatschinken, aus Ungarn. Selbst das Wiener Schnitzel soll angeblich aus Italien sein, auch wenn es sicher nicht Radetzky war, der es nach Österreich brachte. Wenn es aber um die erste Gebirgseisenbahn der Welt, den rostfreien Stahl oder die moderne Verfassungsgerichtsbarkeit geht, so sind das original österreichische Produkte. Und wer nicht gedacht hätte, dass Dinge wie der Kornspitz oder die Zeitlupe einmal erfunden werden mussten, sei hiermit auch eines Besseren belehrt. Beide wurden von Österreichern entwickelt und patentiert.

Die eher kleinen G'schichten

Dass der Österreicher Anton Dreher senior 1840 in Schwechat das Lagerbier erfunden hat, mag an sich eine herausragende Leistung und für manchen Freund des untergärigen Gerstensafts eine einschneidende Entdeckung sein, für die Menschheit insgesamt war sie freilich ebenso wenig epochenändernd, wie die weltweit erste Postkarte, die 1869 in Österreich als „Correspondenzkarte“ versandt wurde. Auch die erste Zündholzmaschine mag für die Zünderfabrikanten ein unvergleichliches Novum gewesen sein, spätestens Carl Auer von Welsbach dürfte deren Bedeutung jedoch relativiert haben (siehe dazu weiter unten). Und dass die, nach einer Bleivergiftung an den Rollstuhl gefesselte, Sängerin Helene Winterstein-Kambersky die erste wasserfeste Wimperntusche weltweit entwickelte, werden ihr zumindest modebewusste Damen hoch anrechnen, für die (meisten) Männer und Burkiniträgerinnen bleibt die Relevanz jedoch bescheiden. Auch sei der Genius des Friedrich Schächter gepriesen, der Absatzmarkt für den von ihm entwickelten Weltraumkugelschreiber dürfte sich dennoch in begrenztem Rahmen halten. Der Vollständigkeit halber sei angemerkt dass auch die Schneekugel hierzulande ihren Ursprung hat und es ein Österreicher war, der 1959 im deutschen Aachen die weltweit erste Disco aufsperrte. Doch Österreich kann, oder konnte einmal, innovativ viel mehr.

Die etwas größeren Durchbrüche

Wer noch nie etwas von der NÖT gehört hat, hat doch zumindest schon von ihr profitiert, etwa wenn er durch eines der vielen ASFINAG-schuldenfinanzierten Tunelle unserer doch recht gebirgigen Republik gereist ist. Die „Neue Österreichische Tunnelbaumethode“ ist nämlich eines der weltweit am häufigsten angewendeten Verfahren zum Tunnelbau und hat seit den 50ern das lochbohrende Gewerbe technisch und finanziell revolutioniert. Ähnlich verhält es sich mit dem von der VOEST in Linz entwickelten LD-Verfahren, mit dem heute etwa Zweidrittel der weltweiten Stahlerzeugung bewerkstelligt wird. Zu den großen österreichischen Innovationen zählt auch die nach ihrem Erfinder benannte Kaplan-Turbine zur Stromerzeugung. Auf dem Gebiet der Elektrizität tat sich auch der Vorarlberger Friedrich Wilhelm Schindler hervor, der die Firma „Elekrtra Bregenz“ gründete und die erste voll elektrische Küche baute. Er war es auch, der in Kennelbach den ersten Generator Österreichs errichtete, ein Jahr bevor New York erstmals auf diese Weise mit Strom versorgt wurde. Wenn man von Licht und Strom spricht, darf natürlich nicht auf den bereits erwähnten Carl Auer von Welsbach vergessen werden, der nicht nur die Gasbeleuchtung rationalisierte, sondern auch etliche Patente auf Glühlampen anmeldete sowie die Firma OSRAM gründete. Außerdem wären Raucher heute immer noch auf Zündhölzer von österreichischen Zündholzmaschinen angewiesen, hätte er nicht den Zündstein für Feuerzeuge entwickelt. Nicht vergessen darf man natürlich auch auf den Herrn Ressel, der bekanntlich die Schiffsschraube erfunden und damit die Raddampferindustrie bankrottiert hat. Zu den ebenfalls erfolgreichen, jedoch wenig bescheidenen, Exponenten österreichischen Erfindungsreichtums ist Walter Simmer zu zählen, der die Dichtungsringe erfand und sie schlicht Simmerringe nannte – ein Bezug zum 11. Wiener Gemeindebezirk ist nicht belegt. Während aber die Simmerringe heute kaum einer mehr kennt, würde wohl niemand fragen, was Ferdinand Porsche erfunden hat. Richtig, den Volkswagen.

Militaria

Weil nichts die menschliche Erfindungskraft so ankurbelt wie der Krieg, hat auch so mancher Österreicher auf dem Gebiet der industriellen Menschenvernichtung reüssiert. Noch bevor Österreicher die beiden Weltkriege erfanden – wir waren’s aber bitte nicht allein – entwickelten sie das Hinterladergewehr. Weil aber die österreichische Armee noch nie ein Hort des Fortschritts war, wurde diese Innovation von ihr schlicht ignoriert. Die Preußen kauften dafür das neue Produkt massenweise und besiegten damit die österreichischen Truppen bei Königgrätz. Moritz von Ebner-Eschenbach, der Ehemann der berühmten Schriftstellerin, erfand unter anderem eine elektrische Minenzündung, einen modernen Torpedo und einen militärischen Scheinwerfer. Später baute der Österreicher Ferdinand Mannlicher das erste Repetiergewehr. Der Werkstofftechniker Gaston-Glock lieferte 100 Jahre später die zunächst als Plastikpistole belächelte, mittlerweile aber weltweit eingesetzte und nach ihm benannte Schusswaffe.

Kulinarischer Ideenreichtum

Wenn sie nicht gerade Kriege verlieren, kochen und vor allem essen die Österreicher bekanntlich gern, weshalb sie auch respektable Erfolge in der Herstellung von – vorzugsweise fettmachenden – Lebensmitteln vorweisen können. In der Firma Gustav & Wilhelm Heller in Wien wurde das Dragée erfunden, ob sich Enkel André deshalb für seinen frankophilen Vornamen entschieden hat, weiß man aber nicht. Doch auch andere Prominenz kann mit g’schmackiger Verwandtschaft aufwarten: Herbert Felix etwa, der Hersteller des gleichnamigen Ketchups, war der Cousin von Bruno Kreisky. Die Salzburger Mozartkugel ist aber nicht von Mozart, dafür aber in Salzburg erfunden worden. Dass auch die berühmte Sachertorte austriakischer Provenienz ist, findet hier nur der Vollständigkeit halber Erwähnung. Als international erfolgreichstes österreichisches Süßprodukt müssen wohl aber die Zuckerln der Firma PEZ nebst zugehörigen Spendern bezeichnet werden. Zum Konzern, der allein in den USA jährlich 3 Milliarden Stangen PEZ verkauft, gehören mittlerweile auch die gleichfalls österreichischen Produktmarken Sportgummi und Hustinetten.

Erstaunen wird so manchen vielleicht, dass es den eingangs erwähnten Kornspitz erst seit 1984 gibt. „Kornspitz“ ist ein international eingetragener Markenname, wobei das Patentamt 2011 entschied, dass der daraus folgende Markenschutz in Österreich nicht mehr gelte. Kornspitz habe sich mittlerweile zum Gattungsnamen entwickelt. Ähnliches ist auch mit dem Frankfurter Würstel passiert, wobei es nie beim Patentamt eingetragen war. Angeblich soll es aber 1804 von Johann Georg Lahner, einem Metzger aus Frankfurt, der in Wien zum Fleischhauer wurde, entwickelt worden sein. Das würde auch erklären, warum sie in Frankfurt Wiener heißen. Strenggenommen wären die Frankfurter dann aber keine österreichische Erfindung, weil aus hessischer Hand. Gleiches gilt auch für den Strudel, den die Österreicher von den Osmanen übernommen haben.

Die Vertriebenen

Als besagte Erfinder des Strudels 1453 Konstantinopel eroberten, flohen dessen Gelehrte ins westliche Europa, das vom byzantinischen Brain-Drain massiv profitierte. Als es in Wien 1938 schlimmer als in Konstantinopel wurde, floh gezwungener Maßen auch der Großteil der österreichischen Intelligenzija, ein Umstand unter dem die heimische Mittelmäßigkeit bis heute – zu Recht – zu leiden hat. Von 1905 bis 1938 erhielten zwölf Österreicher einen Nobelpreis, seit 1945 waren es vier, wobei zwei davon gleichzeitig bedacht wurden. Mit Perutz, Kandel und Kohn wurden gleich drei vertriebene Ex-Österreicher mit dem begehrten Preis ausgezeichnet. Seit 1945 hat kein Österreicher mehr den Nobelpreis für Physik oder Chemie erhalten.

Viele von jenen, die ihr Land verlassen mussten, leisteten später Großes. Darunter Robert Adler, ein Miterfinder der Fernbedienung oder Paul Eisler der die erste Leiterplatte entwickelte. Der Vertriebene Carl Djerassi war es, der in den USA die Pille entwickelte und damit wie kein anderer die Bevölkerungsentwicklung seit den 70ern beeinflusst hat. Der gleichfalls ausgewanderte österreichische Architekt Victor Gruen erfand gewissermaßen die moderne Seele der USA, die Shopping Mall. Die Wenigsten werden jedoch wissen, dass die österreichische Schauspielerin Hedy Lamarr, die wegen ihrer Ablehnung des Nationalsozialismus in die USA emigrierte, ein Funkverschlüsselungsverfahren durch synchronisierte Frequenzwechsel miterfunden hat.

Die Erfolglosen

Wo viel Licht ist, ist bekanntlich auch viel Schatten, weshalb es neben genialen Schneekugelerfindern und tüchtigen Waffenproduzenten leider weiters einige glücklose österreichische Tüftler gab. Der Erfinder der modernen Nähmaschine Joseph Mardersperger etwa, konnte sein Produkt nicht an den Mann bringen und starb im Armenhaus. Ähnlich erging es dem Entwickler der ersten marktreifen Schreibmaschine Peter Mitterhofer, dessen Erfindung schließlich durch andere in Amerika berühmt wurde. Kein Wunder, dass sich seine Grabinschrift leicht verbittert liest: „Die Anderen, die von ihm lernten, durften die Früchte seines Talentes ernten“.

Auch der von Anton Lenhardt 1900 erfundene „Monogleiter“ setzte sich erst knapp 100 Jahre später durch. Vielleicht wäre er erfolgreicher gewesen, wenn er ihn gleich Snowboard genannt hätte. Zumindest musste der Eternit-Gründer Ludwig Hatschek seine relative Erfolglosigkeit nicht mehr miterleben. Im selben Jahr, in dem man erstmals monoglitt, entwickelte er den Asbestzement. Viele krebskranke Häuslbauer und Milliarden an Sanierungskosten später, ruht Hatschek noch immer in Frieden, er starb schon 1914, lange bevor die desaströse Nebenwirkung seines Baustoffes bekannt wurde.

Weniger zu den Versagern und mehr zu den Hochstaplern wäre der Wiener Beamte Wolfgang von Kempelen zu zählen, der im 18. Jahrhundert mit seinem „Schachtürken“ für Aufsehen sorgte. Vorgeblich handelte es sich dabei um eine computerartige Maschinerie, die selbständig Schach spielen konnte. In Wirklichkeit saß in von Kempelens Apparatur ein kleinwüchsiger Mann, der mittels der gefinkelten Konstruktion von innen die Schachfiguren bediente und bei einer Vorführung sogar Napoleon besiegte. Trotz Schwindel war aber immerhin die Mechanik beeindruckend.

Zu den spektakulär erfolglosesten Theoretikern österreichischer Herkunft zählt wiederum Hanns Hörbiger, der Großvater der Schauspielerin Christiane. Laut seiner, auch von den Nazis sehr geschätzten, Welteistheorie besteht die gesamte Milchstraße zur Gänze aus – no na ned – Eis, wobei der Mond früher oder später auf die Erde fallen wird.

  • Der sogenannte Schachtürke bestand aus einer Figur in türkischer Kleidung, die über einen Mechanismus im darunterliegenden Kasten von einem Kleinwüchsigen bedient werden konnte um Schachfiguren zu verrücken.

Ideologen und Theoretiker

Weil aber Österreich Gott sei Dank doch größere Theoretiker zu bieten hat, als Hörbiger, soll an dieser Stelle auch noch auf die eher geistigen Wissenschafter eingegangen werden. Ob Siegmund Freud, die Ludwige Boltzmann, von Mieses und Wittgenstein, Kurt Gödel oder Erwin Schrödinger: Die österreichische Wissenschaft befand sich auch bei den Theoretikern zum Ende der Monarchie und in der Zwischenkriegszeit auf einem später nie wieder erreichten Höhepunkt. Das fängt schon bei so etwas Unscheinbaren wie dem 1891 geschaffenen Lebensmittelbuch „Codex Alimentarius Austriacus“ an, der später Vorbild für den „Codex Alimentarius Europaeus“ und den international gültigen „Codex Alimentarius“ der WHO wurde. Österreich war in dieser Zeit aber auch Wortprägend: Nathan Birnbaum entwickelte den modernen Begriff des Zionismus. Mit Karl Maria Kertbeny hat auch ein Österreicher das Wort „Homosexualität“ erfunden. Auch in der Zeit der Republik wurde noch Innovatives geleistet: 1920 begründete man mit dem Bundes-Verfassungsgesetz auf Basis der theoretischen Vorarbeit Hans Kelsens, die moderne Verfassungsgerichtsbarkeit.

Das Leuchtfeuer des österreichischen Ideengeistes verlosch 1938 und konnte nach 1945 nur mehr zum Glühen gebracht werden. Immerhin erfand Hermann Gmeiner nach dem Krieg das SOS Kinderdorf, ein humanitärer Beitrag, der vielleicht vielen Menschen mehr bedeutet als LD-Verfahren und NÖT. Die österreichischste aller Erfindungen bleibt aber mit Sicherheit die Stempelmarke. Österreich war 1854 das erste Land, das sie einführte und 2002 eines der letzten, das sie abschaffte. Innovation ist hierzulande immer relativ.