Analyse
Generation Hungerlohn?
Sie hatten gute Noten, haben in Mindestzeit fertigstudiert und währenddessen mehrere Praktika absolviert. Manche von ihnen können sogar Auslandserfahrung vorweisen und beherrschen mehrere Sprachen: junge HochschulabsolventInnen. Und doch finden sie keine feste Anstellung, sondern halten sich mit schlecht bezahlten Jobs über Wasser.
„1000-Euro-Generation“, „Generation prekär“ oder „Generation Hungerlohn“ – Schlagzeilen dieser Art werden in den Medien üblicherweise schnell gefunden. Dennoch ist es falsch, gleich von einer ganzen Generation zu sprechen – es wäre aber auch verkürzt, das Problem gänzlich zu ignorieren. Vereinzelt und in einigen Branchen findet man durchaus Anzeichen für ein Phänomen, das immer bedenklicher wird: steigende prekäre Arbeitsverhältnisse unter jungen AkademikerInnen in der sogenannten „Kreativwirtschaft“. PR-Agenturen, Medienunternehmen, Kulturinstitutionen – sie alle suchen vermehrt und in besorgniserregender Regelmäßigkeit PraktikantInnen mit Studienabschluss. Dass von dieser „Arbeit“ niemand leben kann, scheint nebensächlich. Erfahrung, nettes Teamklima, Praktikumsbestätigung hin oder her – doch wer bezahlt ihnen das stinknormale Leben?
Eierlegende Wollmilchsau
Beispiele gibt es aus der Sammelkiste der Job-Kuriositäten reichlich. Was sie gemeinsam haben? Geld gibt’s natürlich nur in den seltensten Fällen. Die Studie "PraktikantIn gesucht!" etwa erfasste die Inserate für Praktika im Mai 2008 in sieben Online-Jobbörsen in Österreich. Sie zeigt: StudentInnen und AbsolventInnen sind die meist adressierten Zielgruppen, über die Hälfte der Inserate spricht Personen aus dem Hochschulkontext an. Einige Wochen Eigenrecherche reichen aus, um etliche unbezahlte (!) Vollzeitpraktika von drei bis sechs Monaten zu finden. Ein besonderes Schmankerl: ein sechsmonatiges „Teilzeit-Praktikum“.
Ein Einstieg in den Beruf – wie er so oft gepriesen wird – ist ein Praktikum in den sogenannten „kreativen Berufen“ schon lange nicht mehr. Außer natürlich es fließt genügend Vitamin B. Denn bis die für Langeingesessene selbstverständlichen Abläufe überhaupt klar sind, muss Zeit vergehen. „Sich selbständig einzubringen“, wie so oft gefordert wird, ist in diesem Kontext schwierig. Dabei wird von den Neuen in der Medienbranche immer mehr verlangt. Schließlich müssen sie nicht nur schreiben können – nein, auch fotografieren, filmen, schneiden, bloggen und twittern gehören mittlerweile zum Repertoire.
Prekäre Arbeitsbedingungen
Viele junge AbsolventInnen pilgern daher von Praktikum zu Praktikum und befinden sich sozusagen in „Übergangsarbeitslosigkeit“. Begünstigt wird diese Entwicklung vom enormen wirtschaftlichen Druck, dem heute vor allem Medienunternehmen ausgesetzt sind. Das führt nicht nur zu Qualitätsverlust, sondern auch zu einer zunehmenden Anzahl an prekär Beschäftigten in der Branche. Denn statt abgesicherte Einstiegsjobs anzubieten, setzen die Unternehmen immer öfter auf freie MitarbeiterInnen. Diese „Neuen Selbständigen“ müssen horrende Sozialversicherungsbeiträge zahlen – trotz eher spärlicher Aufträge. Das starre System hat sich nicht an die neuen Entwicklungen angepasst, denn die derzeit geltende Mindestbeitragsgrundlage ist gerade für NiedrigverdienerInnen zu hoch und treibt viele in die Schuldenfalle. Außerdem steigt die Anzahl der sogenannten „festen Freien“ - de facto erfüllen sie alle Kriterien eines Angestelltenverhältnisses, arbeiten aber als freie MitarbeiterInnen.
In der Diskussion bleibt auch allzu oft unberücksichtigt, dass nicht jeder die gleichen Startvoraussetzungen hat. Denn für jene mit einem finanziell schwachen Hintergrund ist schlechte bis gar keine Bezahlung automatisch ein Ausschlusskriterium.
Alte Muster
Dabei steht Österreich im Vergleich zu Südeuropa noch gut da. Dort liegt die Arbeitslosigkeit der 18- bis 24-Jährigen zwischen 30 und 46 Prozent. Im Sommer hat die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) vor einer „verlorenen Generation“ gewarnt, weil mehr als 5,5 Millionen junger Menschen in Europa verzweifelt nach festen Jobs suchen. Und ohne mutige Gegenmaßnahmen von Politik und Wirtschaft wird sich daran auch nichts ändern.
Wer aber glaubt, Unternehmen setzen gerade in Krisenzeiten auf kreative Köpfe, irrt. Stattdessen werden Chefposten untereinander verteilt, gleichzeitig mangelt es an Führungskompetenz und MitarbeiterInnenmotivation. Das Arbeitsklima ist aufgrund des über den Köpfen hängenden Damoklesschwertes unerträglich, die Jungen bekommen das wegen des enormen Konkurrenzkampfes noch stärker zu spüren. Gute interne Kommunikation in Zeiten des Wandels gibt es nicht, was die Verwirrung und Frustration unter den MitarbeiterInnen nur weiter schürt. Fehlende Bezahlung, Stellenkürzungen, steigender Arbeitsdruck: In solchen Zeiten, in die Kreativwirtschaft einsteigen zu wollen, ist keine leichte Angelegenheit und sicherlich mutig – zumindest bis endlich begriffen wird, dass das Zukunftskapital in Innovationen und Investitionen liegt und nicht im Wiederkäuen alter Muster.
Junge AbsolventInnen brauchen daher mehr Mut zum „Nein“. Und Unternehmen müssen sich im Klaren sein, dass ihre Personalpolitik nur zu einem führt: zur Förderung von Einfalt.