Interview
"Die Viennale ist Eventkultur"
Hans Hurch, Direktor der Viennale im paroli Interview. Für ihn sind die Österreicher ein Volk von Untertanen, die Viennale ist ein freies Festival, weil es ein Grundvertrauen zwischen Publikum und Festivalleitung gibt und was daran mehr ist als „sentimentaler- retro Schmelz“.
paroli: Sie entscheiden bei der Viennale in letzter Instanz, welche Filme laufen, im Gegensatz zu anderen Festivals wo in Gremien darüber entschieden wird. Glauben Sie, dass dadurch das Programm schärfer wird, oder sind Sie ein Entscheidungs- Diktator?
Hans Hurch: Beides ist nicht der Fall. Ich will kein Diktator sein, obwohl ich schon gerne Entscheidungen treffe und zugleich gibt es auch die Erfahrung, dass bei Programmen, die in Jurys diskutiert werden schon sehr viel gedealt wird und Mittelmäßiges entschieden wird. Ich finde auch Filmemacher müssen entscheiden können, nehme ich diesen Schnitt, jenen Schauspieler.
Aber auch Filmemacher stehen bei ihren Entscheidungen nicht alleine da.
Aber ein Filmemacher, den ich ernst nehme, entscheidet selber.Wenn er seinen Produzenten entscheiden lässt, über grundsätzliche Sachen wird kein guter Film draus. Ein Film, bei dem der Produzent stark mitredet, wird so ausschauen. Es gibt gute und interessante Produzenten, hat´s früher auch gegeben, die in einem großen Konflikt mit ihren Regisseuren waren. Aber letztlich muss es trotzdem einen geben der die Verantwortung übernimmt. Die andere Seite ist, dass ich ja auch der bin, der kritisiert werden kann. Ich höre immer wieder von Leuten, sie haben da jemanden, an den sie sich wenden können. Eine Jury steht nie da, die ist nicht greifbar.
Die Viennale feiert ihr 50. Jubiläum. Was bedeutet das für ein Filmfestival?
Zuerst heißt es, dass es 50 Jahre durchgehalten hat. Die Viennale gehört schon zu den alten, nicht den ganz alten, aber den alten Festivals. Es heißt aber auch, dass es nicht ein und dasselbe Festival sein kann. 50 Jahre aus einem Guss. Da hat es unterschiedliche Direktoren gegeben, Entscheidungen. Es hat sich sehr viel geändert. Die 50 Jahre sind einerseits eine Zeit, ein halbes Jahrhundert. Und zugleich gibt es aber auch, innerhalb von drei, vier Jahren, schon wieder ganz eigene Entwicklungen innerhalb des Festivals.
Gibt es auch Beständiges?
Es gibt viel Wiederkehrendes. Die größte Gefahr, die man bei einem Festival haben kann, ist, dass alle Jahre wieder dasselbe kommt. Auf der einen Seite bleibt eine Grundstruktur gleich, die selben Personen. Viele von meinen Mitarbeitern arbeiten schon so lange dort wie ich, manche sogar länger. Die Kinos sind zum Glück gleich. In vielen anderen Städten gibt es das gar nicht mehr. Ich will jetzt nicht über Festivals schimpfen, aber die Berlinale, das ist schon hart: Im Februar, wenn des Wetter meist schlecht ist, unterirdisch, in einer Shopping Mall und danach in dem Cinemaxx. Ich bin danach wie in einem Tunnel, ich muss wieder an die Luft kommen, wieder raus kommen.
Was macht das mit dem Festival?
Viele der Kritiken der Viennale fangen so an: `Ich gehe aus meinem Hotel, durch einen herbstlichen kleinen Park und komme in eine Seitengasse in ein verträumtes kleines Kino. Und bin wie in einer anderen Welt.´ Das ist nicht nur sentimentaler-retro Schmelz, sondern wenn sie mich fragen, was der Unterschied ist zwischen einer Shopping Mall, wo ich von Kino 7 in Kino 9 herüber gehen muss oder ob ich an einem lebendigen Ort bin, an dem ich mich bewege, zwischendrin ein Kaffehaus hab; das macht eine physische Attraktion und Besonderheit aus.
Sie kommen aber nicht aus Wien?
Ich komme aus einem kleinen Ort aus Oberösterreich. Ich hab meine ersten Kinoerlebnisse in Passau gemacht, in den Donau- Inn- Ilz- Lichtspielen . Da hat`s jeden Donnerstag eine Reihe gegeben, die hieß „Der besondere Film“. Mit dem Moped hin, und dann oft in der Nacht und im Regen zurück. Das hat mich geprägt: dass das Kinoerlebnis nicht etwas ist, was man automatisch hat. Sondern das war etwas, das mussten wir uns erschwindeln und erringen. Das habe ich als intensive Erinnerung. Und um die ganz großen Kracher zu sehen, Woodstock, Easy Rider, sind wir nach München gefahren.
Zurück nach Wien. Sie sind, zumindest vom Alter her, ein Kind der ´68er. Wie haben Sie das in Wien erlebt?
Kein Kind, eher ein Jugendlicher. Ich werd dieses Jahr 60! In Wien ist immer alles zehn Jahre später, diese Bewegungen, Hausbesetzungen, wie Gassergasse, das war alles später. Aber ich glaube, verschiedene Länder haben verschiedene historische Entwicklungen. Ein Grundproblem in Österreich ist, und das soll nicht nestbeschmutzend sein, dass dieses Land keine republikanische Geschichte hat. Wir waren immer von Kaisern regiert, die Nazis sind wir selber nicht losgeworden. Das österreichische Volk war nie souverän, war immer ein Volk von Untertanen. Nicht einmal eine bürgerliche Revolution hat es 1848 gegeben. Da wurde bei uns der Tierschutzverein gegründet. Uns fehlt das Selbstbewusstsein eines wirklichen Bürgers. Einer der sagt, „Ich“ bin dieses Land, dieser Staat; nicht der Herr Faymann. Wenn es Bewegungen gibt, dann sind sie so schnell wieder vorbei. Was ist aus der Audimax Besetzung geworden? Wir waren damals dort, während der Viennale, haben dort einen Film gezeigt und zwei Wochen später war alles vorbei. Bei uns gehen diese politischen Wurzeln einfach nicht so tief.
Das Publikum liebt die Viennale, die Besucherzahlen steigen. Besonders junge Leute, die sonst wenig ins Kino gehen, zieht es zur Viennale. Warum ist das so?
Einerseits ist die Viennale Eventkultur. Das finde ich nicht so spannend. Das andere ist, dass es tatsächlich ein Defizit bei uns gibt. Es gibt viele Filme, Arbeiten, die nicht mehr zu uns kommen. Man hat einmalig die Gelegenheit, Sachen zu sehen, die man nie mehr wieder sehen wird. In den kommerziellen Kinos sieht man kaum Dokumentarfilme. Wenn´s was ist, dann Michael Moore. Es gibt wahnsinnig schöne Dokumentarfilme. Dieses Jahr zum Beispiel der Film `El Etnógrafo´. Er handelt von einem Indianerstamm im Norden von Argentinien. Mit ihnen lebt ein Ethnograph. Das ist die Geschichte dieser Gemeinschaft und des Fremden der Teil dieser Gemeinschaft wird. Zugleich ist es so, dass ihr Lebensgebiet bedroht wird von Erdölgesellschaften und Soja- Anbauflächen. Für mich ist es so interessant zu sehen, was es auf der Welt gibt. Der Film kann eine lebendige Zeugenschaft von etwas sein. Während wir reden, sind diese Menschen dort und leben dort. Das kann das Kino.
Auf anderen Festivals verzichtet man ganz auf Dokumentarfilme und setzt lieber auf Fernsehfilme.
Da stehen wieder andere Interessen im Vordergrund. Die Fernsehunternehmen oder Produktionsgesellschaften, die sagen, sie wollen auch ihren Platz haben. Das ist legitim. Ich möchte das Fernsehen nicht bei dem Filmfestival promoten. Success is the best revenge. Wenn jemand was von mir will und sagt es fehlen Fernsehfilme, kann ich sagen, mach´s besser! Frag mal die Hunderttausenden die in den zwei Wochen ins Kino gehen! Das andere was wir erreicht haben, ist ein Verhältnis zu unserem Publikum zu finden, eine Art kritisches Vertrauensverhältnis. Das führt dazu, dass ich mich sicherer fühle. Am Anfang war ich unsicher, zum Beispiel die Dokumentarfilme. Da wusste ich am Anfang nicht, wie das Publikum darauf reagiert. Und dann sehe ich, dass das Gartenbaukino mit 750 Leuten ausverkauft ist.
Die Viennale gilt als Publikumsfestival. Wie wichtig sind dann Publikumsbewertungen?
Ich hasse Publikumsbewertungen. Das ist das Pogrom der kleinen Leute. Ich finde das ungerecht, ein Film ist etwas, das sich entwickelt, etwas lebendiges. Da muss man sich nicht an seine Lehrern rächen und selbst Noten vergeben. Ich möchte den Leuten etwas zeigen, möchte ihnen dieses Angebot machen und die Leute haben selbstverständlich ihr gutes Recht, das zurückzuweisen. Aber was ich nicht in Ordnung finde, dass Leute Zensuren vergeben und sie dann zusammen rechnen. Das ist ja kein Ski fahren.
Wo soll´s noch hingehen mit der Viennale?
Wir leben in dieser Welt, wo es immer weitergehen muss, reicher und schneller. Auch wenn mal weniger Leute kommen, das ist nicht schlimm. Wenn ich merke, es geht den Berg runter, wird’s wer anderes machen. Was gefährlich ist, wenn man mal die Maschine in Gang gesetzt hat, ist sie schwer wieder aufzuhalten. Alle haben dann ein Interesse an dem Festival: die Politik, die Sponsoren, die Zuschauer, alle wollen mehr. Ein Festival soll nicht zu klein sein, und nicht zu groß. Es soll was persönliches haben, man muss spüren, dass es noch ein Ganzes ist. Einen Organismus hat. Dann funktioniert es. Ich würde gern schauen, dass die Viennale weiterhin ein gesundes Herz hat und noch weiter schlägt, mal schneller, mal langsamer.
Skandal am Rand: Filmemacher Ulrich Seidl wollte seine Filme aus der "Paradies"- Reihe im Hauptprogramm der Viennale vorführen. Hans Hurch war dagegen und setzte die Filme ins Randprogramm. Ulrich Seidl hat daraufhin seine Festivalteilnahme abgesagt.
- (c) Hans Hochstöger
Seine besonderen Tips für diese Viennale: Der Stargast Michael Caine. Fritz Lang, da bekommt man die ganze Geschichte des Kinos. Der Film „Leviathan“ und das Konzert mit Betty Smith.