Kopftuch - hier hui, dort pfui

Manche sind immer ein bißchen gleicher. In Russland gilt das besonders, in diesem Fall für den Islam, der zwar die gleichen Rechte hat wie das Orthodoxe Christentum, dann aber eben doch nicht die ganz so gleichen Rechte. Das zeigt sich an einem Fall aus Südrussland, der zur Zeit das ganze Land beschäftigt. Wie in vielen anderen Europäischen Ländern ist in Russland nämlich ein Kopftuchstreit ausgebrochen. In der südrussischen Region Stavropol wurde einer Mittelschülerin die Teilnahme am Unterricht verweigert weil sie sich weigerte das Kopftuch abzunehmen. Die Schulleiterin begründete ihre Entscheidung damit dass Russland ein weltlicher Staat sei in dem ein weltlicher Dresscode gelte. Die Angelegenheit sorgte für massive Proteste und schließlich sah sich Präsident Putin persönlich genötigt den Fall zu kommentieren. Religion sei zwar wichtig, man dürfe aber nicht vergessen dass Russland ein säkularer  und multikonfessioneller Staat sei. Ein Kopftuch sei daher nicht angebracht. Und um klarzumachen was er meinte schwadronierte er dann darüber, man könne ja wie zu Sowjetzeiten eine verpflichtende Schuluniform einführen. 

Tschetschenien: Kein Unterricht OHNE Kopftuch

Was für eine Chuzpe! Wie säkular Russland ist sieht man daran dass im Fall "Pussy Riot" zwei junge Frauen gerade erst u.a. wegen Gotteslästerung (!) zu zwei Jahren Lagerhaft verurteilt wurden. Wie weltlich Russland ist zeigt sich auch daran dass gerade erst wieder verpflichtender Religionsunterricht an den öffentlichen Schulen eingeführt wurde. Und wie weltlich Russland ist zeigt sich auch daran, dass die wichtigsten Repräsentanten des Staates sich bei jeder möglichen und unmöglichen Gelegenheit mit dem russisch-orthodoxen Patriarchen Kirill oder anderen orthodoxen Würdenträgern zeigen. Aber halt, da geht es natürlich um das Christentum und nicht um den Islam.

Wie scheinheilig und doppelzüngig diese Argumentation ist sieht man auch wenn man nach Tschetschenien schaut, weniger als hundert Kilometer von dem Ort entfernt in dem der aktuelle Kopftuchstreit seinen Ausgang nahm. Im Tschetschenien des Ramsan Kadyrow ist nämlich umgekehrt der Schulunterricht OHNE Kopftuch faktisch untersagt. Menschenrechtsorganisationen berichten über Schikanen und sogar tätliche Angriffe auf Frauen die ohne Kopftuch auf den Straßen unterwegs sind. Bei meinem letzten Besuch in Grozny habe ich auf jeden Fall nur an einem Ort Frauen ohne Kopfbedeckung gesehen: Im Flugzeug nach Moskau, kurz vor Abflug. 

400 neue Kirchen, aber nur vier Moscheen

Aber so ist es eben: Manche sind immer gleicher. Auf der einen Seite wird das orthodoxe Christentum zu einer Art Staatsreligion erklärt - oder genauer gesagt zu einer Staats-Ideologie, denn von einer christlichen Ethik ist dabei wenig zu bemerken. Aber wenn es um die anderen Religionen geht ist der Staat auf einmal säkular. Etwa 15-20 Prozent  der Einwohner Russlands sind Muslime, durch den Zuzug von Gastarbeitern dürften allein in Moskau zwischen ein und zwei Millionen Muslime leben. In Moskau gibt es aber nur vier Moscheen, gegen den Bau neuer islamischer Gotteshäuser gibt es wütende Proteste. Gleichzeitig hat die orthodoxe Kirche angekündigt in Moskau in den nächsten Jahren 400 neue Kirchen zu bauen. 

Dabei ist die Religionsfreiheit in Russland sowieso weitgehend eingeschränkt, sie gilt im wesentlichen nur für die vier "traditionellen" Religionen der Russen und der ethnischen Minderheiten, also das orthodoxe Christentum, den Islam, das Judentum und den Buddhismus. Auch andere christliche Religionen wie Katholizismus oder Protestantismus haben in Russland einen schweren Stand, von anderen kleineren Religionen ganz zu schweigen.

Dabei treffen sich Vertreter aller Religion bei gewissen Themen, etwa bei der Ablehnung der Homosexualität. Ein besonders skurriler aktueller Anlass ist die Anzeige der Getränkefirma "Vimm-Vill-Dann" durch den konservativen Verein "Nationale Sammlung". Vimm-Vill-Dann vertreibt die Milchsorte "Der lustige Milchmann". Am Logo ist ein Regenbogen zu sehen. Und dieser Regenbogen sei Propaganda für Homosexualität - Propaganda, die in einigen russischen Regionen per Gesetz verboten ist. Vimm-Vill-Dann wurde nämlich vor kurzem von Pepsi gekauft, so ein Aktivist  der "Nationalen Sammlung". Und dieser ausländische Konzern versuche auf diesem unterbewussten Weg die Moral des heiligen Russland zu untergraben.

Verschwörungstheorien statt Fakten

Der Obrigkeit kommt dieser Obsurantismus gerade recht. Je mehr Verschwörungstheorien kursieren, desto schwieriger wird es Wahrheit und Lüge zu unterscheiden. Der Regierung und den Medien glaubt sowieso niemand mehr,  das Internet ist per-se keine vertrauenswürdige Informationsquelle und ausländische Medien erst recht nicht. Das staatliche Fernsehen verkündet doch jeden Tag dass das Ausland nur ein Ziel habe: Russland zu vernichten. Ernsthafte politische Betätigung, bürgerschaftliches Engagement oder gar Protest gegen die Regierung sind in einer solchen Situation, in der alles zugleich wahr und falsch sein kann, praktisch unmöglich.

Wie kraus und absurd diese russische Verschwörungstheorien sein können zeigt dieses Video, über das ich zufällig gestolpert bin. Es zeigt Alexader Dugin, einen der führen Ideologen des sogenannten "Eurasianismus", der zufolge Russland kein westlicher und kein asiatischer Staat sondern eben ein "Eurasischer" Staat sei. Die Einführung westlicher Konzepte  wie Demokratie und Liberalismus seien in Russland daher unmöglich. Dugin ist dabei nicht irgendein Spinner. Er ist Professor für Soziologie an der Moskauer Staatlichen Universität MGU, der angesehensten Hochschule des Landes, und intellektueller Mastermind des "Eurasischen Jugendbundes", einer Organisation mit angeblich mehreren tausend Mitgliedern (die durch ihre Aggressivität und Handgreiflichkeiten auch immer wieder negativ auffallen).

Das Video ist auf deutsch, es kann sich also jeder ein eigenes Bild machen. Nur ein kurzer Vorgriff, ein Teaser, quasi "Geschmack zu machen sich das ganze Machwerk anzuschauen: "Der Kampf für die Perversen, Homosexuellen, Transsexuellen und sonstigen Abartigen ist die wichtigste Grundlage des Liberalismus."