aus dem Sinn

Geburtstag eines Prügelkindes

Die Liste ihrer Feinde ist lang: Otto Bauer nannte sie einen zusammengebauten Spuk, Haider eine „Missgeburt“, der rechte Universitätsprofesser Borodajkewycz einen „blutleeren Literaturhumunkulus“. Bisher hat die österreichische Nation alle Anfeindungen überlebt, auch wenn sie nur mäßig gefeiert wird.


12. November 1919

Durch Beschluss der Nationalversammlung wird der 12. November, in Erinnerung an die Ausrufung der Republik, fortan als Staatsfeiertag begangen. Gefeiert wird er jedoch fast ausschließlich von der Sozialdemokratie. Die Christlichsozialen lehnen den Tag ab.

1. Mai 1934

Die Bundesregierung Dollfuß erlässt unter Bruch der alten eine neue ständisch-autoritäre Verfassung. Mit ihr erhält „das österreichische Volk für seinen christlichen, deutschen Bundesstaat auf ständischer Grundlage“ eine neue diktatorische Regierungsform.

30. Oktober 1943

Die Alliierten erklären in der Moskauer Deklaration sie seien „darin einer Meinung, dass Österreich, das erste freie Land, das der typischen Angriffspolitik Hitlers zum Opfer fallen sollte, von deutscher Herrschaft befreit werden soll.“

21. Dezember 1945

Der eben ernannte Bundeskanzler Leopold Figl distanziert sich und Österreich in seiner Regierungserklärung vor dem Nationalrat vom Deutschnationalismus und spricht erstmals von einer eigenständigen österreichischen Nation.

25. Oktober 1955

Der letzte alliierte Soldat muss zu diesem Zeitpunkt österreichisches Gebiet verlassen haben. Der Nationalrat beschließt Tags darauf einstimmig die immerwährende Neutralität Österreichs.

25. Oktober 1965

Der Nationalrat beschließt das Nationalfeiertagsgesetz. Zwei Jahre später wird der 26. Oktober zum arbeitsfreien Feiertag erklärt. Die FPÖ spricht sich vehement gegen den „sogenannten Nationalfeiertag“ aus.

23. August 2005

FPÖ-Chef Strache antwortet im ORF-Sommergespräch auf die Frage, ob er Deutscher sei, er sehe sich als „leidenschaftlicher Österreicher“ und spricht von Österreich als „Staatsnation“.

 

Hatte man in der Monarchie noch den Kaiser an seinem Geburtstag hochleben lassen, so wurde 1919 der 12. November, der Tag der Ausrufung der Republik, zum Staatsfeiertag erklärt. Von Nationalfeiertag sprach nur der Sozialdemokrat Otto Bauer, dachte dabei aber an die deutsche Nation. Von einer österreichischen zu sprechen wäre den meisten nicht eingefallen, wenn auch einige Beamte der ehemaligen k. k. Hofbibliothek sich über deren Umbenennung in Nationalbibliothek unerfreut zeigten. Man könnte so den irrigen Glauben befördern, es gebe eine österreichische Nation und damit gar den allseits angestrebten Anschluss hemmen.


Keine Nation - kein Nationalfeiertag

Eine selbständige österreichische Identität war zur Zeit der Ersten Republik de facto inexistent. Alle Parteien strebten unisono den Anschluss an Deutschland an. Mangels Nation sah man daher auch keinen Bedarf für einen Nationalfeiertag. Dennoch wurde in den ach so deutschen Jahren bis 1938 der Same für die Nachkriegsgeburt eines eigenständigen österreichischen Nationalbewusstseins gelegt. Seine frühen Förderer waren ausgerechnet Kommunisten und Monarchisten. Der erste österreichische Nationstheoretiker war Alfred Klahr, der meinte, die Auffassung das österreichische Volk sei ein Teil der deutschen Nation sei „theoretisch unbegründet“. Bis heute weiß man nicht, ob Klahr schrieb was er dachte, oder im Auftrag der Sowjets handelte. Die Austrofaschisten legten den Staatsfeiertag dann auf den 1. Mai, um die Arbeiter zu triezen und ihre neue Verfassung zu feiern. Auch wenn das Schuschnigg-Dollfuß-Regime nach Kräften versuchte die österreichische Identität zu fördern – und vor allem für sich zu verwerten –, konnte es sich doch nicht von der Formel des „besseren deutschen Staates“ lösen, die schließlich direkt in den Ideologiesuizid des Jahres 1938 führte.


Plötzlich nicht mehr ganz so deutsch

Auch wenn sozialdemokratische und konservative Politiker bereits während des Krieges ihre deutschen Kollegen mit der Forderung, Österreich möge auch nach dem absehbaren Untergang des Dritten Reiches ein Teil Deutschlands bleiben, hatten abblitzen lassen: Hauptmotor der österreichischen Unabhängigkeitsbestrebungen war neben den Kriegserfahrungen das Moskauer Memorandum, in dem die Alliierten 1943 die Wiederherstellung Österreichs als eigenständigen Staat beschlossen hatten. Nach 1945 sah dann alles plötzlich ganz anders aus. Schon in der Unabhängigkeitserklärung hatte die provisorische Staatsregierung mit den Nazis abgerechnet. Diese hätten Österreich ausgeplündert und Wien „zu einer Provinzstadt degradiert“. In seiner Regierungserklärung vom 21. Dezember 1945 meinte der frisch ernannte Bundeskanzler Leopold Figl das neue Österreich dürfe „weder eine Wiederholung von 1918 noch von 1933 noch eine von 1938 werden.“ Österreich, so Figl weiter sei „kein zweiter deutscher Staat“ und „kein Ableger einer anderen Nationalität“. Damit war die Tür zum österreichischen Nationalbewusstsein aufgestoßen.


Das ewige Opfer

Auch wenn heute kein ernstzunehmender Sozialwissenschafter mehr behaupten würde, dass Nationen etwas anderes sind als Konstruktionen, so werden doch Politiker nicht müde anderes zu unterstellen. Nationen sind gut fürs Geschäft und jede Nation braucht eine Geschichte. Die der österreichischen Nation ist jene eines Opfers. Der Psychotherapeut Erwin Ringel schrieb, der Österreicher sei durch nichts so einfach zu fangen als wenn man ihm sage: „Du bist ein ungerecht Behandelter, ein Getretener und Unterdrückter“. Neben Nationalmythen wie Neutralität, Zwentendorf und der Vorstellung Österreichs als „Brücke nach Osten“, ist die wichtigste Lebenslüge des geschlagenen Österreichers nach wie vor die Opferthese. Schon Figl betonte 1945 Österreich sei „das erste Opfer des faschistischen Imperialismus in der Welt“ gewesen. Diese Theorie hatten schon die Alliierten mit dem Moskauer Memorandum den Weg bereitet. Österreich sah die ausgestreckte Hand und Griff danach. Da es in einem Opferstaat nicht allzu viele Täter geben darf, war die mangelhafte Entnazifizierung eine logische Konsequenz. Die neuerwachte österreichische Identität war dabei nicht für alle eine „Herzensangelegenheit“, für viele diente sie lediglich als Feigenblatt für braune Stellen.


Die Nation hat andere Probleme

Übermäßig wurde die eben aus der Taufe gehobene Nation dann auch nicht gefeiert. In der Besatzungszeit glaubte man andere Probleme als einen Nationalfeiertag zu haben und mit der Wählerschicht der Ex-Nazis wollte man es sich mit allzu überschwänglichem Österreichpatriotismus auch nicht verderben. Die Nation blieb daher vorerst Feiertagslos. Nur die Sowjets schufen mit dem 13. April als „Tag der Befreiung“ ab 1946 einen Jubeltag für die Rote Armee und ihre Verdienste. Als die Staatsvertragsverhandlungen sich hinzogen und man den Russen die Schuld dafür gab, wurde der von der Bevölkerung ursprünglich gut angenommene – weil arbeitsfreie – Tag wieder abgeschafft. Erst nachdem mit Frist vom 25. Oktober 1955 die letzten Soldaten abgezogen sein sollten – in Wirklichkeit lungerten noch ein paar Briten in Kärnten herum – wurden die Feiertagsdiskussionen in Österreich wieder intensiver. Der Unterrichtsminister ließ den Tag des Truppenabzuges in den Schulen des Landes feierlich begehen. Ein Jahr später wurden die Festivitäten auf den 26. Oktober als „Tag der Fahne“ verlegt, man wollte lieber die ein Jahr zuvor beschlossene Neutralität feiern.


Was lange währt wird endlich Feiertag

Danach wurde wieder länger diskutiert. Die ÖVP wollte einen Nationalfeiertag, die SPÖ eine Nationalfeiertag. Am Ende wurden beide Großparteien zufrieden gestellt: Ab 1965 wurde nicht mehr nur die Fahne sondern die Nation hochgehalten, zwei Jahre später wurde der Tag arbeitsfrei. Die Schaffung des Nationalfeiertages ging trotzdem nicht ganz glimpflich von Statten. Als vehemente Gegnerin desselben positionierte sich die FPÖ, deren Abgeordnete in der Nationalratsdebatte am 28. Juni 1967 stets nur vom „sogenannten Nationalfeiertag“ ansonsten aber nur vom „Staatsfeiertag“ sprachen, woran man im Übrigen bis heute Personen deutschnationaler Couleur erkennt. Besonders verbittert äußerte sich Obersturmführer a. D. FPÖ-Chef Friedrich Peter. Die Begriffe deutsch und österreichisch schlössen „einander nicht aus, sondern verbinden und ergänzen einander.“ Außerdem, so Peter, bedaure er es zutiefst, dass „die Verfechter der österreichischen Nation Haß und Zwietracht predigen. Ich bedaure ebenso, daß einzelne Vertreter der österreichischen Nation das Volk geradezu verhetzen.“


Die Rechten kapern eine Nation

Die Ablehnung durch die Rechten brachte der Österreichischen Nation den einzigartigen Bonus über keine Nationalisten zu verfügen. Wenn man in Österreich von „den Nationalen“ spricht, sind bis heute jene schwarz-rot-goldener wenn nicht schwarz-weiß-roter Ausprägung gemeint. Es verwundert daher nicht, dass sich auch ein Anton Pelinka am „Österreichischen Nationalinstitut“ mit dem Ziel „auf den Gebieten der Wissenschaft, Kultur, der Schule, Volksbildung und der Politik in Wort und Schrift für die österreichische Nation einzutreten“ engagierte. Mittlerweile hat aber auch die FPÖ den Österreichpatriotismus für sich entdeckt. Parteichef Strache sprach 2005 sogar verschämt von der „Staatsnation“ Österreich und ergänzte, um seine Stammklientel nicht zu sehr zu vergrämen, es gebe aber auch eine andere „Kulturnation“. Dass die Freiheitlichen im Kern Deutschnationale bleiben, hindert sie aber nicht daran bei diversen Veranstaltungen ihren Parteichef in ein Meer aus rot-weiß-roten Flaggen zu tauchen. Dafür sind nun die Zeiten des linken Patriotismus Geschichte. Seit einigen Jahren nützen ein paar Dekonstruktivisten den Nationalfeiertag um ihre klassenlosen Botschaften unters konstruierte Volk zu bringen. Die historische Bildung der „Antinationalfeiertag“- und „Still not loving Austria“-Organisatoren lässt dabei aber mitunter sehr zu wünschen übrig. So beklagt sich etwa die „autonome ANTIFA“ auf ihrer Homepage, dass nicht „der 8. Mai, der Tag der Niederringung des Nationalsozialismus und damit das Ende der mordenden ,Volksgemeinschaft‘, sondern der Tag an dem der letzte alliierte Befreiungssoldat ,österreichischen Boden‘ verlassen hat“ gefeiert werde, ein klassischer Irrtum. Auch wenn man von dieser Seite wohl auch Argumente gegen die Neutralität finden könnte, die Sache mit dem letzten Soldaten hätte – wären da nicht die paar besagten Briten gewesen – am Tag davor stattfinden sollen.


Ein feierloser Feiertag

Man darf den Gegnern des Nationalfeiertages aus der Unkenntnis seiner Bedeutung aber keinen allzu großen Vorwurf machen. Nach verschiedenen Umfragen wissen nicht einmal die Hälfte der Österreicher, was am Nationalfeiertag – außer der Nation an sich natürlich – überhaupt gefeiert wird. Der prominenteste Irrtum bleibt dabei der letzte fremde Soldat, der angeblich Österreich verlassen habe. Diesem Bild ist nicht zuletzt auch Frank Stronach aufgesessen, wenn er am heutigen Tag in österreichischen Zeitungen ganzseitige Inserate schalten lässt, in denen er davon spricht, das Land habe am 26. Oktober 1955 seine Unabhängigkeit zurückbekommen. Überhaupt ist das nationale Interesse am Nationalfeiertag sehr begrenzt. Das Bundesheer zeigt seine tatsächlichen und scheinbaren Fähigkeiten am Heldenplatz – heuer als Propagandaauftakt für die Wehpflichtvolksbefragung unter dem Titel „Profis bringen Sicherheit“ – hie und da gibt es Fitnessveranstaltungen, der Bundespräsident spricht staatstragend im Staatsfernsehen und alle zehn Jahre ruiniert eine Militärparade den Straßenbelag am Ring. Von Feuerwerken und ausgiebig beflaggten Privathäusern wie in der Schweiz oder in Skandinavien ist in Österreich nichts zu sehen. Der Nationalfeiertag ist eher ein national freier Tag. Vielleicht sind die Österreicher ja eher Werktagspatrioten. Ob all der Verwirrung um die Bedeutung des Nationalfeiertages muss man sich wenigstens nicht die Frage stellen, was eigentlich aus ihm wird, sollte es die Neutralität einmal nicht mehr geben. Es wäre wohl sehr konsequent österreichisch, ihn einfach weiterhin am 26. Oktober nicht zu feiern.


Faktbox

  • 1964 glaubten nur 47% der Österreicher, dass Österreich eine eigenständige Nation sei, aber 23% dass es sich zu einer entwickle.
  • 2007 lagen die Werte bei 82% bzw. 8%, der Anteil jener die glaubte es gebe keine österreichische Nation lag bei 7%.
  • Laut Art. II des Nationalfeiertagsgesetzes wird der Nationalfeiertag „im ganzen Bundesgebiet festlich begangen“.
  • Laut einer US-Umfrage liegt Österreich beim Nationalstolz weltweit auf Platz 4. Außerdem glaubten 64% dass Österreich besser sei als die meisten anderen Länder.
  • 2007 gaben 90% der befragten Österreicher an stolz (35%) oder sehr stolz (55%) auf Österreich zu sein. Der Anteil jener die gar nicht stolz waren lag bei 3%. Aufgrund der Vergleichswerte aus den Vorjahren titelten mehrer österreichische Medien der Nationalstolz sei gesunken.

Quellen

Bruckmüller, Ernst: Nation Österreich. Kulturelles Bewußtsein und gesellschaftlich-politische Prozesse

Heer, Friedrich: Der Kampf um die österreichische Identität

Ringel, Erwin: Die österreichische Seele

Washietl, Engelbert: Österreich und die Deutschen

Wespennest, Nr. 161: Austria as it is


AEIOU: Stolz auf Österreich

ANTIFA Wien: Still not Loving Austria

RIS: Bundesgesetz vom 28. Juni 1967 über den österreichischen Nationalfeiertag

Spann, Gustav: Zur Geschichte des österreichischen Nationalfeiertages

Stenographisches Protokoll der 62. Sitzung des NR, XI GP